Arno Camenisch: Die Kur Verlag Engeler

Die Kur - Coverbild
Camenischs kleiner Roman ist eine echte Entdeckung!
Wie ein Theaterstück inszeniert er seine Geschichte und schickt zwei großartige Protagonisten auf die Bühne….
Ein älteres langjähriges Ehepaar gewinnt in einer Tombola einen Aufenthalt in einem Grandhotel in den Schweizer Alpen. Sie freut sich, kann sich für alles begeistern, ist glücklich, endlich mal raus zu kommen, er hat an allem etwas auszusetzen und wünscht sich eigentlich bloß nach Hause. Sie hat ihr „Glitzerkleid“ dabei und freut sich auf die Gesellschaftsabende, er sitzt lieber in der Bibliothek und schneidet Todesanzeigen aus den Lokalzeitungen aus. Zum Glück hat er seinen „Plastiksack“ immer dabei, in dem sich ein unerschöpflicher Vorrat an notwendigen Dingen für alle Lebenslagen befindet.
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Beim Wegweiser vor dem Hotel – Am Ende fügt sich alles, sagt er und lehnt gegen den Pfosten vom Wegweiser, das ist meine letzte Reise, bevor wir zum großen Schlaf ansetzen, er hält sich die Stirn. und im nächsten Leben schauen wir dann, er nimmt die Dächlikappe vom Kopf und streicht sich durch die Haare. Jetzt gehts erst richtig los, sagt sie, jetzt sind wir pensioniert, das ist der Anfang. Ich habe mir eine Liste gemacht mit den Sachen, die ich machen will. Jaja, sagt er, das Ende vom Anfang, die Versprechen der Nacht sind die Messer am Morgen, dann gehen wir halt wandern…“
Seine ewigen Nörgeleien werden immer wieder von ihren naiv klugen Entgegnungen abgefedert und bilden ein letztlich perfektes Zusammenspiel. Für mich zeigt sich sogar darin ihre Liebe. Am Ende der Reise begeben sich die beiden auf eine Wanderung ins Gebirge, werden von einem Unwetter im Wald überrascht – eine Szene, wie sie sie ganz am Anfang ihrer Beziehung schon einmal erlebten – und so schließt sich der Kreis.
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Wer heiratet denn an einem Mittwoch, sagt er, da kann man auch gleich an einem Montag heiraten. Mut bereut man nicht, sagt sie und hängt den Arm bei ihm ein. Aber was der Mut anrichtet, sagt er, das schon. Da fahren sie den Hügel hoch, steigen aus und heiraten, fahren wieder runter, lassen sich scheiden, und fahren mit der nächsten Kutsche wieder hoch. Wer weiß, wie oft die bereits in der Kutsche vorgefahren sind, das wollen wir gar nicht wissen. So fahren sie halt das ganze Leben im Kreis. Das hat auch seinen Reiz, sagt sie. Die armen Pferde, sagt er und isst eine Waffel.“
Die Geschichte besteht beinah vollständig aus den Dialogen der beiden. Ein köstliches Ping-Pong-Spiel. Jede Episode beginnt mit „Auf dem Zimmer“ oder „In der Hotelbar“  oder „Beim Brunnen neben dem Kreuz“ etc., so dass man sich die Kulisse dieser Tragikomödie bildreich vorstellt. Camenisch schafft es dabei in ganz kurzer Zeit einen exakten Einblick in das Leben der Eheleute zu schaffen und dabei tiefe Lebensthemen anzusprechen. Die ständige Unzufriedenheit des Ehemanns und die unbedarfte Freude und Lebenslust der Ehefrau sind beide zutiefst berührend und menschlich.
Es ist ein skurriles Buch, ein absurdes Kammerstück, das ich mit wachsender Begeisterung las. Es hat mich zum Lachen gebracht, um im nächsten Moment sogleich still und nachdenklich zu werden. Ich empfehle es uneingeschränkt!
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Der Roman des Schweizer Autors aus dem Urs Engeler Verlag ist auf die Shortlist „Die besten Bücher aus unabhängigen Verlagen“ gewählt worden. Mehr darüber: http://www.hotlist-online.com/die-hotlist-2015/engeler/
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