Anke Stelling: Bodentiefe Fenster Verbrecher Verlag

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Anke Stellings Roman „Bodentiefe Fenster“ hat soeben den Melusine-Huss-Preis 2015 erhalten, der für unabhängige Verlage von unabhängigen BuchhändlerInnen verliehen wird. Er ist im Berliner Verbrecher Verlag erschienen.

Meine anfängliche Skepsis stellte sich nach Abschluß der Lektüre wieder ein. Zwischendurch habe ich das Buch durchaus mit Interesse gelesen. Das lag sicher daran, dass ich etwas aus einer mir seltsam fernen Welt erfahre, die dennoch genau um die Ecke liegt, Prenzlauer Berg, Berlin. Und daran, dass ich das Gefühl hatte, mich irgendwie einmischen zu müssen, der Protagonistin zureden zu müssen, damit sie endlich endlich wieder mehr lebt und weniger „gelebt“ wird.

Die Hauptprotagonistin Sandra wohnt mit ihrem Mann und den 2 Kindern in einem Haus, in dem alle Mieter gemeinschaftlich Entscheidungen treffen – selbstverwaltet, generationenübergreifend. Jeder kann sich einbringen, muss aber nicht. Für Sandra, deren 68er-Mutter Kinderläden gründete und aktiv an der „Verbesserung der Welt“ arbeitete, scheint dies zunächst eine gute Entscheidung, die sie allerdings immer stärker in Frage stellt. Was dann in generellem Hadern und Zweifeln über die Richtigkeit der eigenen Lebensform endet und in Exkursen in die eigene familiäre Vergangenheit. So richtig verstanden fühlt sich Sandra nirgends, weder von Hendrik, ihrem Partner, noch von den Mitbewohnern, auch nicht von der eigenen Schwester. Die Grübeleien, die Überforderung, die Angst nehmen schließlich Überhand und führen zum Zusammenbruch – Diagnose Burnout. Dieses sich Zuspitzen ist im Aufbau des Romans deutlich spürbar, was anfangs noch ironisch komisch wirkt, wird im Laufe der Lektüre düstere Wirklichkeit.

Der Titel, der einem erst einmal so merkwürdig vorkommt, wird im fortlaufenden Lesen immer stimmiger und greift imgrunde die vorherrschende Thematik auf: Die dauernde Sichtbarkeit, das dauernde nach Außen agieren, weil jeder sieht, was man tut und das vermeintlich ständige unter Beobachtung stehen, der fortwährende Vergleich mit den Anderen, das „Alles-richtig-machen-wollen“. Und das ist wohl nicht nur die Problematik von Sandra, sondern eine allgemein gesellschaftliche in einer Zeit, in der es immer mehr Transparenz gibt bei gleichzeitig immer stärkerem Individualisierungswunsch.

Mir ist dieses Buch nicht ans Herz gewachsen. Da gab es keine Lese-Glücksmomente. Dennoch ist es möglicherweise in anderen Leserhänden gut aufgehoben, könnte eine wichtige Lektüre sein, denn die Geschichte hat aktuellen Bezug und wirft jede Menge kritischer Fragen auf.

4 Gedanken zu “Anke Stelling: Bodentiefe Fenster Verbrecher Verlag

  1. Ich dachte bei dem Titel auch, ohne das Buch zu kennen, an den Sandkasten auf dem Cover, der einem auf die Erde gelegten Fenster ähnelt – in dessen Rahmen sich die Erwachsenen aufführen wie die Kinder? Vielleicht ist das eine weitere Bedeutungsebene.

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    • Ein neuer Blickwinkel – und eine neue Sparte: Coverrezensionen! Ich muss gestehen, dass ich den Sandkasten erst jetzt entdeckt habe…ich hielt das für ein bodentiefes Fenster mit Blick auf eine Gartenharke. Scheint ein Vexierbild…

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  2. Habe ich im Rahmen meines LL-Lesens auch gelesen, vorher habe ich die Autorin nicht gekannt, am Anfang habe ich es sehr spannend gefunden, danach war es irgendwie ermüdend und ich wollte die Protagonistien öfter am Ärmel schütteln und „Nein!“, sagen, brüllen.
    „Laßt euch doch von euren Kindern nicht alles gefallen!“
    Und ich bin auch eine Kindergruppen und Alternativschulmutter, aber die Probleme mit dem ungesunden Essen etc waren wohl nicht so schwirierig.
    Aber wahrscheinlich entsteht so ein Burnout und in ein solches kommt man wohl, wenn man sich nicht abgrenzt und als Superfrau alles selber machen will.
    Anke Stelling hat aber damit einen Preis gewonnen und das Cover ist eigentlich egal

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    • Ja. Sie hat einen Preis gewonnen und das freut mich vor allem für den Verbrecher Verlag, der gleich bei mir um die Ecke seinen Sitz hat.
      Ansonsten finde ich schon, dass Cover durchaus für den Inhalt sprechen und wirken sollten. Für mich sind sie Teil des „Kunstwerks“ Buch. Die meisten Verlag achten dabei aber vor allem auf Verkäuflichkeit…

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