Die israelische Lyrikerin Tal Nitzán ist eine Entdeckung!
Unverhofft flog mir diese herbstliche Neuerscheinung des Verlagshaus Berlin zu, welches ja seit geraumer Zeit mit seinen ausgewählten Lyrik(erst)veröffentlichungen von sich reden macht.
Ich verfolge das Programm seit Jahren und bin vom ästhetischen Anspruch an Text und Bild und Gesamtwerk ganz beeindruckt. Da wird nichts dem Zufall überlassen – alles passt, alles ist stimmig. Da findet sich entdeckenswerte Lyrik der Gegenwart und wird aufs Schönste zusammengeführt mit den passenden Illustrationen.
Gerade wurden die Bände der Reihe „Edition ReVers“, in der vergessene, wiederentdeckte Lyrik erscheint, von der Stiftung Buchkunst als „Schönste deutsche Bücher“ im Bereich Belletristik ausgezeichnet.
„Poetisiert euch!“ Allein der „Weckruf“ der drei Verleger ging mir schon immer direkt ins lyrische Herz…
In der Reihe „Edition Polyphon“ erschien nun neben der indonesischen Autorin Dorothea Rosa Herliany mit „Hochzeit der Messer“ eben auch der Band der Israelin Tal Nitzán als zweisprachige Ausgabe.
Es ist ein kleines Kunstwerk. Aufmachung und Farbgebung(wie so oft im Verlagshaus dominiert von Schwarz) springen ins Auge. Beim Durchblättern wundere ich mich über die vermeintlich falsch gehefteten Seiten in Originalsprache, denke dann, das soll so sein, man soll das Buch drehen, bis ich mich erinnere, dass Hebräisch von rechts nach links geschrieben wird. Und ich merke, wie mich dieses Schriftbild anspricht, wie schön und beinah kalligraphisch es wirkt und welche Bereicherung der Originaltext, obgleich ich ihn natürlich nicht lesen kann, für das Buch ist.
“ […]
Wir haben keine Straße, um dort aufeinander zu stoßen:
Im gespaltenen Gesicht meiner Stadt berühren sich die Zweige,
Raben ritzen in deine Hügel ihre bittere Hymne – […]“
Ich lese die Gedichte und tauche tief. Ich spüre Gegenwart im Beisein der Vergangenheit. Ich spüre die Widersprüchlichkeit in den Versen und die Echtheit ihrer Sprache. Ich beginne zuzuhören, zu lauschen…
Ich spüre ein mir fernes Land, das mir näher kommt. Israel ist präsent, zerrissenes Land, die Stadt Tel Aviv. Alles spiegelt sich im Menschlichen. Großes spiegelt sich im Alltag, im Kleinen. Was außen geschieht, geschieht auch im Innen. Kindheit – Erwachsensein – Dasein.
Wenn
Wenn ich ein Einsamkeitstier bekäme,
dann wäre es ein Flamingo.
Der rosa Farbfleck wäre weithin sichtbar,
die scheinbar-bangen Beinchen
kreisten mich trippelnd ein,
das dünne Hälschen fände stets
den schmalen Spalt
zwischen mir und allen anderen
und wickelte sich ergeben um den meinen.
Tal Nitzáns Gedichte sind wirkkräftig. Es liegt Schönheit darin und Düsternis. Empfindsamkeit und Stärke. Sie spielt mit Gegensätzen und verdichtet Unvereinbarkeiten, bis man kaum mehr Unterschiede merkt. Ihre lyrischen Bilder bleiben haften. Ein Leuchten!
Tal Nitzán ist eine der wichtigsten israelischen Lyrikerinnen der Gegenwart und lebt in Tel Aviv. Sie übersetzt außerdem aus dem Hebräischen ins Spanische. „Zu deiner Frage“ wurde ins Deutsche übertragen von Gundula Schiffer. Ergänzt werden die Gedichte durch aufschlussreiche Illustrationen von Jul Gordon.