Carl-Christian Elze: Diese kleinen, in der Luft hängenden, bergpredigenden Gebilde Verlagshaus Berlin

Das Verlagshaus Berlin, bekannt für seine Lyrikbände, kombiniert mit ergänzenden Illustrationen hat kürzlich in der Berliner Buchhandlung Ocelot sein diesjähriges Frühjahrsprogramm vorgestellt. Die drei Verleger haben nun auch ebooks im Programm, in der neuen Reihe Edition Binaer, die sie mit einem ausgeklügelten „Lesecode“ speziell für Lyrik anbieten.
Der Abend stand allerdings im Zeichen der Bücher aus Papier. Vier neue Titel sind es in der Reihe Belletristik, alle vier Autoren lasen aus ihren Büchern, darunter Carl-Christian Elze, dessen Gedichte mir am besten gefielen. Sein Buch trägt den wunderbaren seltsamen Titel „Diese kleinen, in der Luft hängenden, bergpredigenden Gebilde“.
Gar nicht mehr sonderbar jedoch wird der Titel, sobald ich einige der Gedichte höre und später nachlese. Im Prinzip geht es um eine Verknüpfung von Naturwissenschaft und Religion, was Elze auch selbst über seine Gedichte sagt. Diese kleinen Teilchen, diese Atome, jedes durchdrungen vom Göttlichen und alles zugleich in der Atmosphäre.

Der Band ist in mehrere Kapitel unterteilt, die sich recht unterschiedlichen Themenbereichen widmen, dem Tod eines Freundes, dem Vater, den eigenen Kindern, der Geliebten, und die doch bei genauer Betrachtung immer auf das große Ganze hinauslaufen: Leben und Tod, Geburt und Sterben, Wachstum und Verschwinden – und dazwischen der Mensch, eine gut(?) konstruierte Maschine und gleichzeitig ein soziales Wesen mit Gefühlen, Körperbedürfnissen, Gehirn und Seele.

Wenn es beispielsweise im Eingangskapitel „von flughäfen und geisterbahnen“ heißt,

„ein lobgesang auf unsere nervenköstüme, auf unsere
mehr oder weniger stabilen nervenkostüme!
sie befeuern uns im innern mit unendlichkeitsfilmen,
der gedanke an unser ende, zu jeder sekunde eintretbar
wie durch eine angelehnte tür, oder durch ein loch
in einem geplatzten gefäß, wird nicht sekündlich gedacht.
die brilliante programmierung einer weichen maschine.“

ist klar, dass es um das Wunder des Lebens geht, dass jeden Moment beendet sein könnte, wenn die Organe, die Maschinen nicht mehr funktionieren. Wie auch im Kapitel „exerzitien“, wo es vielfach um die Suche nach dem Sinn, um das Existenzielle geht:

„alle instrumente geeicht
auf nebel, von geburt an vernebelte zellen
und körper, voller leben, ein programmierter raum
der uns umgibt: dunkel, unendlich
mit sparsamen effekten.
die eleganz eines algorithmus, der als einziger
existiert, in einem winzigen kern
ohne gehäuse aus zeit.
ein unzerstörbares
in sich selbst gefangenes lächeln
das auch uns gefangen hält ..
das uns hält –

Man merkt Elze an, dass er Medizin und Biologie studiert hat und sich mit Zoologie auskennt. So geht es immer wieder um Mensch/ Tier/ Maschine, um Evolution, Erkenntnis und das was in einem kurzen Menschenleben damit anzufangen ist. Und tatsächlich schafft er es, mich mit einem Evolutionsgedicht, welches letztendlich eines der schönsten Liebesgedichte ist, die ich kenne, vollkommen zu begeistern: vom Urknall bis zur Begegnung zweier Menschen.

[…]
„in diesen urknall war unsere liebe
schon eingraviert, aber vorher noch sonnen
planeten und monde, das ganze schwerkraftding
musste sich einschaukeln, liebes, das dauert ein bisschen.“
[…]

Elze schreibt in freien Versen, ganz eigen, die letztlich an kleine reduzierte Geschichten erinnern, die beim Lesen sofort Assoziationen hervorlocken und die eigenen Gedanken auf die Reise schicken, oft ins Unendliche. Gegen Ende des Bandes werden mit dem Kapitel „verschwinden“ auch die Verse immer knapper:

jede einzelne zeile spricht
ins ungewisse hinein
oder stürzt
[…]

Und so wird am Schluss nach großem Aufruhr alles wieder beruhigt, wie auch Elze selbst sagt, dass ihm das Schreiben Suchbewegung ist und Staunen, Suche nach Trost, und nach Beruhigung.

Carl-Christian Elze wurde 1974 geboren und lebt in Leipzig. Er schreibt Lyrik und Prosa.
Das Buch ist sehr schön gestaltet und enthält Illustrationen von Christoph Vieweg, die auf viel Gespür für die Texte schliessen lassen.
http://www.belletristik-berlin.de/bergpredigende-gebilde/
und ein Ausschnitt aus der Lesung:

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