Elif Shafak: Der Geruch des Paradieses Kein & Aber Verlag

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Die türkische Autorin Elif Shafak lebt in London und in Istanbul und schreibt ihre Romane in Englisch und Türkisch. In ihrem neuesten Roman „Der Geruch des Paradieses“ geht es um essenzielle Dinge: um Religion und um Gott und um die Frage wie das eine mit dem anderen in Verbindung steht. Anhand dreier junger Frauen, die aus einer muslimischen Kultur kommen, die sich beim Studium in Oxford begegnen, versucht Shafak diese Fragen zu untersuchen. Man könnte des Buch als Unterhaltungsroman lesen, was aber viel zu kurz gegriffen wäre. Es ist ein durchaus zeitkritisches Buch, das zum Nachdenken anregt.

„Ja, sie hatte es versucht, aber die Kluft zwischen ihr und der Religion, die auf ihrem rosa Personalausweis stand, blieb bestehen. Wessen Idee war das Feld für die Religionszugehörigkeit auf dem Ausweis überhaupt? Wer bestimmte eigentlich, ob ein neugeborenes Kind Muslim oder Christ oder Jude war? Das Kind selbst jedenfalls nicht.“

Die Geschichte läuft parallel in zwei Erzählsträngen ab. Es beginnt ganz aktuell im Jahr 2016. Peri, die Hauptfigur, aus deren Sicht erzählt wird, entgeht knapp einem Überfall. Körperlich bleibt sie unversehrt, da sie den Angreifer abwehren konnte. Portemonnaie und Handy sind jedoch weg, aber ein altes Foto aus der Geldtasche bleibt zurück und plötzlich sind alte Erinnerungen aus der Studentenzeit in Oxford wieder präsent. Hier beginnen die Rückblenden in Peris Kindheit und Jugend in den 80er Jahren in Istanbul und später in die Zeit ihres Studiums in Oxford. Im Wechsel zwischen damals und heute entwickelt sich dieser spannende Roman. Bereits zu Beginn weiß der Leser, dass damals in Oxford etwas vorgefallen sein muss, was Peris Weg stark prägte.

Peri ist schon als Kind hin und her gerissen zwischen der streng religiösen Mutter und dem liberalen Vater, der sich an Atatürk orientiert und seine Tochter stark fördert, auf Bildung zählt und ihr schließlich mit den letzten Ersparnissen das Studium an der Elite-Uni Oxford finanziert. Bereits die junge Peri, die Verwirrte, die Nachdenkliche und in sich Gekehrte beschäftigt sich mit dem Thema Gott und begibt sich auf die lange Suche nach dem richtigen Weg.

Beim Studium in Oxford begegnet sie zum einen zwei jungen Frauen, die von einem ähnlichen Kulturkreis geprägt wurden: Mona, die streng religiös lebt, sich jedoch auch politisch und für Frauenrechte engagiert und Shirin, die gar nichts vom Islam hält und sich vollkommen westlich orientiert hat. Zum anderen findet Peri in den philosophischen Vorlesungen über das Thema Gott von Professor Azur eine intellektuelle Herausforderung, die sie ihr weiteres Leben lang prägen wird. Doch die Teilnahme am Seminar stürzt sie immer wieder in persönliche Krisen und Azur wird ihr schließlich zum Verhängnis …

Im Jahr 2016 lebt Peri mit 3 Kindern und einem wohlhabenden Ehemann in einem guten Viertel Istanbuls. Die durch das Foto ausgelösten Erinnerungen werfen jedoch Fragen auf:
Lebe ich so, wie ich es wirklich will? Bin ich damit zufrieden? Ist es das, was für mich vorgesehen ist?  Will ich in diesem Land wirklich leben? Was ist aus den vielen Möglichkeiten geworden, die während des Studiums aufschienen? Spontan nimmt sie wieder Kontakt auf zu den Personen ihrer Vergangenheit …

„Man war entweder >streng religiös< oder >streng säkular< und diejenigen, die sich noch irgendwie in beiden Lagern gesehen und mit dem Allmächtigen ebenso leidenschaftlich auseinandergesetzt hatten wie mit der Gegenwart, waren entweder verschwunden oder auf gespenstische Weise verstummt.“

Elif Shafak kann brillante Dialoge schreiben. Erst die Gespräche mit dem Vater, dann die mit den Freundinnen und schließlich die der erwachsenen Peri machen den Roman vielfältig und regen zum Mitdenken an. Nicht nur die aktuelle politische Situation bringt die Autorin mit ein, sie schreibt auch über die Stellung der Frau allgemein und gerade im Islam. Shafak hat einen klugen, weitsichtigen Roman geschrieben, einen Entwicklungsroman, der zudem noch spannend und unterhaltend ist. So einfach ist das nicht und es hat mich nachhaltig beeindruckt.

Das Buch „Der Geruch des Paradieses“ erschien im Kein & Aber Verlag und wurde aus dem Englischen von Michaela Grabinger übersetzt. Mehr über den Roman und die Autorin findet sich hier.

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7 Gedanken zu “Elif Shafak: Der Geruch des Paradieses Kein & Aber Verlag

  1. Danke für deine Rezension!
    Ich habe das Buch schon seit dem Erscheinen in meinem Blick, aber irgendwie kann ich mich nicht ganz dazu durchringen. Ich habe Angst enttäuscht zu werden.
    Das liegt daran, weil es ein sehr persönliches Thema für mich ist und ich mich als Atheistin aus freien Stücken für die Religion entschieden habe.Der Glaube kam einfach und war vielleicht auch immer da, auch wenn ich nicht so erzogen wurde. In dem Sinne, stimme ich dem Zitat vollkommen zu, wir werden als was auch immer geboren…wir suchen es uns als Kind nicht aus. Aber als Erwachsene haben wir das Recht zu Reflektieren und es uns auszusuchen, uns bewusst für oder gegen eine Religion zu entscheiden.
    Leider gehen die meisten Bücher immer in die Richtung sich gegen die Religion zu entscheiden. Ist das hier auch der Fall? Der gesellschaftlich negative Blick auf Religion macht mich immer traurig, weil Religion etwas sehr Schönes ist, wenn man es dazu macht.

    Liebe Grüße, Anja

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    • Liebe Anja, das Buch von Elif Shafak ist weder für noch gegen Religion, aber es hinterfragt alle Richtungen kritisch anhand der drei Hauptprotagonistinnen. Und vor allem geht es um Gott, ganz unabhängig von einer bestimmten Religion. Der Blick ist dabei auch auf die aktuelle politische Situation in der Türkei gerichtet.
      Es gibt ja eine Leseprobe. Du merkst sicher auf den ersten Seiten gleich, ob dir der Stil gefällt.
      Viele Grüße!

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      • Vielen lieben Dank, jetzt kann ich mir viel besser etwas darunter vorstellen, wie das Thema behandelt wird. Ich glaube ich werde dem Buch eine Chance geben und erst einmal die Leseprobe lesen, vielleicht auch mehr 🙂
        Ich bin schon lange auf der Suche, nach einem vorurteilsfreien Roman zu diesem Thema, leider gar nicht so einfach. Ich bin gespannt und würde mich sehr freuen, wenn es endlich klappt.
        Lg, Anja

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  2. […] Marina Büttner hat mich auf Elif Shafak aufmerksam gemacht, woraufhin ich im Buchladen mehrere Bücher von ihr anlas und mich für „The Forty Rules of Love“ („Die vierzig Geheimnisse der Liebe“) entschied. Dabei hat mich die Rahmenhandlung um Ella und Aziz weniger fasziniert als die Geschichte des Wanderderwischs Schams, der im Namen der Nächstenliebe mit allen gesellschaftlichen Konventionen bricht. Ein Buch für Zeiten, in denen die Gräben zwischen den Menschen scheinbar immer tiefer werden und ein Appell an jeden von uns, öfter mal mit dem Herzen zu sehen. […]

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