J. J. Voskuil: Direktor Beerta Das Büro 1 Verbrecher Verlag

2016-11-09-15-33-30

Sehr helles Leuchten, ach was, ein Leuchtfeuer!!!

„Womit bist du gerade beschäftigt?“
„Mit den Wichtelmännchen.“
„Dann schreib doch eine Doktorarbeit über die Wichtelmännchen! Du wirst sehen, was für einen Erfolg du damit haben wirst.“

Wenn ich ehrlich bin: Ich kann mir die überdimensionale Sogwirkung dieses über 5000 Seiten zählenden Romanzyklus von J. J. Voskuil einfach nicht erklären. Es ist unfassbar.
Zum ersten Mal davon gelesen habe ich, wenn ich mich recht erinnere, auf dem Blog von Wolfgang Schiffer und auch danach blinkte er irgendwo zwischendurch wieder auf. Und in seinem neuen Buch „Jasper und sein Knecht“ schwärmte Gerbrand Bakker  von „Het bureau“. Das muss der Punkt gewesen sein, an dem ich beschloss, mit dem Lesen von „Das Büro“ zu beginnen – und das Schicksal nahm seinen Lauf.

Denn wie von allen Seiten prophezeit, macht „Das Büro“ süchtig. Mit Teil 1 ist es bei Weitem nicht getan, es muss weitergelesen werden. Noch glaubte ich zwar, ich könne zwischen erstem und zweitem Teil einen anderen Roman einschieben, doch weit gefehlt:
Ich war viel zu gespannt, wie es nach der Pensionierung von Direktor Beerta weitergehen würde. Ich war gespannt, wie Maarten Kooning, der Held des Büros, nun mit Balk, dem neuen Leiter auskommen wird, wie es mit der Freundschaft zum labilen Frans Veen weitergeht, wie sehr ihm seine Frau Nicolien noch zusetzen wird, damit Maarten ja keine „Karriere“ macht, wie oft Frau Moederman im Gespräch noch leicht mit dem Kopf wackelt, ob sich Slofstra weiterhin lautstark überall einmischt, wer wohl als neuer Mitarbeiter eingestellt wird, auf welchen Kongressen sich Maarten wieder unwohl fühlen wird, welche neuen Kulturgrenzen gefunden werden und ob es denn für den niederländischen Kulturatlas eine Zukunft gibt.

Und das alles in einer sehr reduzierten Sprache. Voskuil benötigt keinen großen Wortschatz, keine Sprachakrobatik und er benötigt auch keine große Handlung. Sein Romanzyklus funktioniert ohne jegliche Raffinessen. Und für mich ist er gerade deswegen ein Held, ein Künstler. Voskuil beschreibt so liebenswert und ehrlich seine Figuren, so ungeschminkt und direkt, dass einem das Herz aufgeht. Bereits nach dem ersten Teil gehöre ich mit zur Büro-Familie,  ich kenne alle, weiß, vor wem ich mich hüten muss, wer mir wohlgesonnen ist. Ich bin drin, ich bin eine Figur des Romans. Ich rufe mir eine Karte Amsterdams auf und suche, welche Wege Maarten geht, welche Ausflüge er dienstlich oder privat macht. Ich begleite ihn. Ich verstehe Maartens Wut über Ungerechtigkeiten, aber auch sein Schmunzeln über skurrile Erlebnisse. Ich kann nachempfinden, wie sinnlos Maarten oft seine Tätigkeit findet(besonders bei der Forschung über die Nachgeburt von Pferden), wie nutzlos für ihn das Schreiben einer Doktorarbeit ist, wie wenig gut eigentlich eine solche Instituts-Maschinerie funktioniert, wie unsinnig überhaupt eine Lohnarbeit ist, bräuchte man nicht das Geld.

„Maarten ignorierte die Bemerkung. Er hatte die Bitte eines Amerikaners um Informationen über niederländische Schiffskobolde auf seinem Schreibtisch gefunden und fragte sich, wo er diese Informationen hernehmen sollte.“

Und das aller-allerbeste an diesem Buch ist der Humor (Ich frage mich, ob er typisch holländisch ist). Die schrägen Figuren, die wunderbaren Dialoge, die einzigartige Stimmung: Alles hat dazu beigetragen, dass ich, wie lange nicht, über viele Zeilen laut und von Herzen lachen musste.
Gleichzeitig ist es, die Handlung setzt im ersten Band im Jahr 1957 ein und führt über etwa drei Jahrzehnte hinweg, eine großartige Abhandlung über die Veränderung der Arbeitswelten (wie flugs hier anfangs eine neue Stelle für einen Mitarbeiter geschaffen wird, wie einfach hier Einstellungsgespräche verlaufen) und weitere sozialgeschichtliche Entwicklungen.

Maarten Koning ist J. J. Voskuils Alter Ego. Er arbeitete 30 Jahre lang als Beamter an einem wissenschaftlichen Institut in Amsterdam, dass sich mit niederländischer Volkskunde beschäftigt. 1926 geboren, starb er 2008 nach schwerer Krankheit selbstbestimmt. Hinterlassen hat er unter anderem dieses 7-bändige Werk, dass in den Niederlanden zum Bestseller wurde und dass ausgezeichnet von Gerd Busse ins Deutsche übersetzt wurde. Dem Verbrecher Verlag sei herzlich gedankt, für die Auflage aller Bände in einheitlich schöner Ausstattung: Möge dieses Werk, derzeit hierzulande noch ein Geheimtipp, sehr viele Leser so sehr wie mich erfreuen! Darauf einen Genever!

Bisher gibt es auf Deutsch Band 1 – 5, 6 und 7 folgen im Frühjahr und Herbst 2017. Eine Leseprobe findet sich hier.

15 Gedanken zu “J. J. Voskuil: Direktor Beerta Das Büro 1 Verbrecher Verlag

  1. Dieses Werk wird anscheinend zurecht so sehr bejubelt. Und eigentlich kann bei guter Lektüre die Seitenzahl kein Hinderungsgrund sein. Trotzdem schrecken sie mich, die 5000 Seiten. Und Aufhören scheint ja mittendrin keine Option zu sein, wie ich deiner begeisterten und begeisternden Besprechung entnehme.

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      • Ich habe bis Band 5 gelesen und muss jetzt warten bis die zwei anderen Bände erscheinen, habe wieder von vorn angefangen, erstaunlich was man beim zweiten mal lesen neues entdeckt. Ich wolltw5 auch zwischendurch etwas anderes lesen, weitgefehlt, geht nicht!!

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  2. Mir ist dieses Buch schon vor 2 Jahren aufgefallen, als ich auf der Suche nach Beamtenliteratur war (Stein des Anstoßes war das Buch „Karawane des Grauens“ von Wolfgang A. Gogolin). Bisher schreckte mich auch der Umfang ab, aber die Anziehungskraft dieses Werks wird immer stärker

    Gruß
    Marc

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    • Ich habe mich zunächst gar nicht dafür interessiert, weil ich dachte, mit Büro hatte ich nie was zu tun, das interessiert mich weniger. Aber nun bin ich froh, dass ich begonnen habe. Es ist toll!

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  3. Die C.H.Beck-Ausgabe habe ich damals mit großem Genuss gelesen und war sehr verärgert, als ich hörte, dass der Verlag die Reihe nicht weiter veröffentlicht. Mir gefiel das Layout mit dem Aktenband. Aber die Reihe sieht beim Verbrecherverlag auch echt gut aus. Vielleicht fange ich ja auch noch mal an.
    Schöne Rezension jedenfalls!

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  4. Liebe Marina,
    ich bin ja auch von Bakkers Anmerkungen zum „Büro“ angefixt worden. Nun liegt schon der erste schöne gelbe Band (die Ausgabe ist ja wirklich klasse) hier auf dem Stapel. Nach den ersten Seiten, in die ich schon hineinschnuppern musste, kann ich mir den Sog noch nicht richtig vorstellen, die Geschichte liest sich ja sehr beschaulich. Aber ich lese deine Besprechung ja durchaus auch als Warnung, dass es nämlich schnell passieren kann, dass man den Kopf verliert und es aus dem Büro gar kein Entrinnen mehr geben kann :-). Ich nähere mich also höchst vorsichtig…
    Viele Grüße, Claudia

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    • Liebe Claudia,

      ich denke der Sog beginnt, sobald man die Figuren kennenlernt, denn sie sind das Hauptpotenzial des Romans. Bin jedenfalls gespannt, was du nach weiterer Lektüre dazu sagst …
      Liebe Grüße, Marina

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  5. Owei, ich habe auch schon damit geliebäugelt, und den Bakker hab ich auch noch hier liegen… Da seh ich einiges auf mich zukommen 🙂 Danke für die tolle Rezension, die sehr viel Lust auf „Büros“ macht!

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