Yoko Tawada: Ein Balkonplatz für flüchtige Abende Konkursbuch Verlag

Yoko Tawada? Ja, der Name war mir durchaus geläufig. Aber was hat Yoko Tawada geschrieben? Wofür hat sie den Kleistpreis 2016 erhalten?

Und dann entdeckte ich diesen wunderschönen Band mit dem schmeichelnden Titel „Ein Balkonplatz für flüchtige Abende“ im Buchladen. Ich blätterte und sah Fließtexte auf schönem Papier, fadengebunden, dazwischen fein unterlegt ein Hauch von Zeichnung: Wieder so ein kleines Kunstwerk aus einem unabhängigen Verlag.

„Weißt du, woher das Wort Familie kommt?
Nein.
Von Vermehren.
Von Vermeer? Er hat fünfzehn Kinder
gezeugt.
Und siebenunddreißig Bilder.“

Yoko Tawadas Texte beziehen sich auf Sprache, die ihr anfangs vermutlich fremde deutsche Sprache, die sie zerlegt und ganz eigen wieder zusammenfügt. Es ist keine Prosa, eher etwas Lyrisches, Poetisches, was einem da Buchstabe für Buchstabe entgegen wächst. Angeordnet wie kurze Erzählungen und doch vielmehr fließende Texte mit interessanten Zeilenbrüchen, die eben doch eher Gedichten ähneln.
Kleine Geschichten werden erzählt mit Menschen darin, Begegnungen, Gesprächen über die Kunst, die Herkunft und die Lust, die vieles offen lassen. Dem Leser bleibt viel Interpretationsraum oder die schlichte Lesefreude an der Sprache, je nach Geschmack.

„Die verschwitzten Buchstaben t und r
machen aus dem Sand einen Strand.
Wenigstens die Konsonanten
geben mir klare Konturen.“

Yoko Tawada arbeitet mit der Sprache. Sie hinterfragt Worte, deren Zusammensetzungen sie ganz anders beleuchtet als ein Muttersprachler. Allzu stark hebt sich da womöglich die japanische Zeichensprache von der deutschen ab. Sie hat alles genau im Blick, schon ein einziger Buchstabe macht aus einer Wortbedeutung etwas ganz anderes. Oft arten ihre Texte in Wortspielereien aus. Dem Leser öffnet sich der Text in ganz anderer Weise, manchmal erst nach dem zweiten, dritten Lesen, springt aus allzu gewohnter Routine und blüht auf. Ein Leuchten!

„Weißt du, was der Diminutiv ist?
Nein, nicht.
Wenn man jemanden klein schlägt
aus Liebe.
Wie denn?
Zum Beispiel Mädchen.“

„Ein Balkonplatz für flüchtige Abende“ von Yoko Tawada erschien im konkursbuch Verlag Claudia Gehrke. Der Text ist teilweise zart durchscheinend unterlegt von Fotos bzw. Bildern von Suzanne Valadon. Mehr über die 1960 in Tokyo geborene Schriftstellerin, die derzeit in Berlin lebt und über die Verleihung des Kleistpreises 2016 findet sich auf der Verlagsseite.

6 Gedanken zu “Yoko Tawada: Ein Balkonplatz für flüchtige Abende Konkursbuch Verlag

  1. Liebe Marina, wie schön eine Rezension über ein Buch von Yoko Tawada bei dir zu lesen! Nach ihren Büchern wird in der Buchhandlung regelmäßig gefragt. Und ich denke oft, ich müsste auch mal eins lesen. Nun habe ich zumindest eine Vorstellung von der Autorin, dank dir!
    Schöne Grüße, Jacqueline

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