Şafak Sariçiçek: Spurensuche Elif Verlag

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Im kleinen feinen Elif Verlag gibt es einmal mehr eine junge Lyrikerstimme zu entdecken:
Şafak Sariçiçek, 1992 geboren, ging in Istanbul zur Schule, studiert in Heidelberg Jura – und schreibt Gedichte. Sein Debütband „Spurensuche“ hat ein besonderes Format, er passt sich an die Form der meisten Gedichte an. Sie sind mittig ausgerichtet, so dass man durch das DIN A5 große Buch im Querformat wie in einem Skizzenblock oder einem Kalender blättern kann. Das Zweite was sofort ins Auge springt sind die Illustrationen. Bereits auf dem Cover als Titelbild eine ausdrucksvolle Zeichnung, die ein in wenigen Strichen hingeworfenes halbiertes Gesicht zeigt, umrahmt von Farbspuren. Sie stammen von dem Künstler Sven Kalb und untermalen mit wenigen Strichen – Kohle? Grafit? – Sariçiçeks Gedichte.

Der Band ist in fünf Kapitel unterteilt. Bunt gemischt sind die Formate: Zwischen den bereits erwähnten mittig zentrierten, finden sich sehr kurze Haiku-artige, auch `normal` linksbündige längere Gedichte und Anklänge an visuelle Poesie, was den Band mitunter etwas unruhig macht.

Regen und Rabe

Feine Tränen
Fallen aufs Land
Fallen schon immer,
Schwarz ein Rabe, springt über einen Ast
Tun die Raben schon immer.

Sariçiçek braucht keine hehren Worte, keine großen Gesten. Er arbeitet mit so gut wie keinen Metaphern oder Verschlüsselungen. Die Gedichte sind nicht experimentell, außer vielleicht in der Form. Dadurch sind sie sehr eingänglich und recht nah am Leser und der Leser ist nah am Autor. Inhaltlich bietet sich von kleinsten Alltagsbeobachtungen bis zum Blick auf aktuelle politische Entwicklungen ein breites Spektrum. Mir fällt dazu das Wort „Augenblicksgedichte“ ein – Gedichte, die vielleicht aus einer plötzlichen Inspiration geschrieben sind, an denen nicht lange gefeilt wurde. Seine Gedichte reichert Sariçiçek mit kreativen Wortschöpfungen an und mitunter mit überraschender Direktheit. Alles was er wahrnimmt, wird in seinem geschriebenen Wort gewichtig. Sei es eine Liebesgeschichte, ein Käfer auf einer Sonnenliege, Gedanken unter der Dusche, stechende Moskitos etc. Zwischen Ferienerlebnissen finden sich dann plötzlich Gedichte, die über den Putsch in der Türkei berichten, um gleich im Anschluss wieder an Liebesgedichte anzuknüpfen.

Am authentischsten und gleichzeitig am eigensinnigsten empfinde ich die Texte, die mit solchen Überschriften beginnen:
eine minibusfahrt in das krankenhaus in ezine, wegen des verstopften ohrs“ 
oder
entzauberte welt/erkundungen eines schwindelgefühls bei der tannenlichtung im olivenhain“ 
oder

als ich vom schwimmen komme, ist ein dicker käfer auf meinem strandtuch

[…] er krabbelt in ausweglosen kreisen und wagt sich nicht über die
faltenschluchten zwischen tuch und liege, er geht die steile bergwand

am senkrecht aufgestellten kopfteil der liege an, die haken an
seinen sechs käferarmen sind jetzt bergmannswerkzeuge und kurz vor

dem Gipfel kampiert er, wird von dem aufkommenden wind zu fuße
des weißen plastikbergs gewirbelt zur seite hin, […]

Şafak Sariçiçeks Gedichte sind durch ihren sehr persönlichen Charakter leicht zugänglich. Sie erinnern den Leser an den Wert des Augenblicks, fordern zum Verweilen auf und wecken Erinnerungen an intensiv gelebte, gespürte Momente.

Der schön gestaltete Lyrikband erschien in Dinçer Güçyeters Elif Verlag, dessen kleines feines Programm ich sehr empfehlen kann.

4 Gedanken zu “Şafak Sariçiçek: Spurensuche Elif Verlag

  1. Liebe Marina,

    trotz der von Dir sicher zurecht kritisierten Punkte, was Form und Einfachheit der Gedichte betrifft, hat mich Deine Besprechung doch ein wenig angefixt. Ich mag die Zeichnungen,ich mag die Einfachheit der Texte und es ist ein Debüt. Der Autor wird sich weiterentwickeln, in welche Richtung auch immer, und bis dahin bastele ich mir die Gedichte eben in die aus meiner Sicht angemessene Form.

    Herzlichen Dank für diese Besprechung, wieder mal eine schöne Entdeckung, auf die ivh alleine sicher nicht gekommen wäre.

    Liebe Grüße
    Kai

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    • Kai, das habe ich genau so empfunden: Der Dichter wird sich mit Sicherheit weiter entwickeln bei dieser genauen Beobachtungsgabe. Persönlicher Stil und angemessene Form bildet sich mit der Zeit ohnehin heraus. Ich spreche aus eigener Erfahrung …
      Schön, dass du dich damit angesprochen fühlst!
      Viele Grüße
      Marina

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  2. Hat dies auf Wortspiele: Ein literarischer Blog rebloggt und kommentierte:
    Wie Marina Büttner in dieser Besprechung kann auch ich den Elif Verlag nur empfehlen – und das wirklich nicht allein, weil hier im Herbst mit Ragnar Helgi Ólafsson erstmals auch ein isländischer Dichter mit seinen Texten erscheinen wird… Die Konzentration des Verlags auf Lyrik und die Entdeckungen, die er hierbei macht, bereichern uns als Leserinnen und Leser alle!

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