Marion Poschmann: Die Kieferninseln Suhrkamp Verlag

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Ein neues Buch von Marion Poschmann ist da! Es ist diesmal kein Lyrikband, es ist ein Roman, wenn auch ein sehr kurzer, jedoch gehaltvoller. Zuletzt erschien von ihr „Geliehene Landschaften“. Zahlreiche Gedichte darin sind auch in Japan entstanden und ergänzen den neuen Roman stimmig.

Hauptdarsteller in dieser Geschichte ist Gilbert Silvester, ein ziemlich unsympathischer Zeitgenosse, wie sich schnell herausstellt. Gilbert träumt eines Nachts, seine Frau würde ihn betrügen. Mathilda bestreitet dies vehement. Gilbert weiß nicht mehr was er tut und fliegt mit dem nächsten Jet nach Japan. Während des Langstreckenflugs erfährt der Leser von Gilberts Arbeits- und Forschungsthema:

„>Bartmode und Gottesbild< lautete sein Themenschwerpunkt, den er je nach Tagesform als enorm ergiebig, ja elektrisierend, oder aber als vollkommen absurd und zutiefst deprimierend empfand.“

Auf einem Bahnsteig in Tokyo begegnet er Yosa Tamagotchi, der immerhin ein Ziegenbärtchen trägt, der allerdings gerade vorhat sich umzubringen. Gilbert hält in davon ab und fortan reisen die beiden zusammen weiter. Gilbert plant anhand eines Buches auf den Spuren des Dichters Bashõ zu pilgern, um zu Einkehr und meditativer Ruhe zu finden. Zunächst versucht er noch mit Mathilda zu telefonieren, doch dann schreibt er nur noch Briefe und mancherorts ein Haiku. Yosa plant zunächst sein Vorhaben an anderer Stelle durch zu führen, anhand eines Suizid-Ratgebers findet er einige beliebte Orte, doch alles kommt anders. Yosa kommt Gilbert schließlich abhanden …

„Das Ganze, so konnte man von Bashõ lernen, mußte auf einem anderen Niveau stattfinden. Konsequente Fußmärsche. Einfachste Quartiere. Verzicht auf technische Hilfsmittel, allem voran Mobiltelefone. Erst dann erreichte man eine Haltung, die es erlauben würde, zu jenem gestrengen Über-Ich auf Distanz zu gehen, das jeden von ihnen im Alltag unter Kontrolle zu halten suchte.“

Wie immer ist auch dieses Buch sorgfältig und ergiebig recherchiert, so dass der Leser sowohl über Bärte, als auch über die japanische Suizidkultur mit besserem Wissen aus der Lektüre heraustritt. Den typischen skurrilen Blick und den feinen Humor Poschmanns kennen die Leser*innen möglicherweise schon aus vorigen Romanen, wie „Die Sonnenposition“, „Hundenovelle“ und „Schwarzweißroman“ (die ich alle sehr empfehlen kann).

„Die Kieferninseln“ geht jedoch noch tiefer, ist ein Roman voller Bedeutsamkeiten, die sich erst auf den zweiten Blick zu erkennen geben. Es ist ein Roman über Natursensationen und darin ein sehr farbintensives Buch. Es schafft Platz für innere Räume und Wege in die „innere Landschaft des menschlichen Bewusstseins“. Es ist ein geheimnisvolles, zugleich witziges Buch, das zum Mitdenken einlädt. Womöglich ist Poschmanns Buch selbst ein Koan, der Leser somit ein ZEN-Schüler, der sich anschickt, das Rätsel zu lösen … Ein Leuchten!

„Fern von zu Hause
Kiefern, so alt wie der Fels –
ziehende Wolken“

Haiku von Gilbert Silvester

„Die Kieferninseln“ steht auf der SWR-Bestenliste in diesem Monat auf Platz 1 und auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2017 (ich drücke die Daumen) und erschien im Suhrkamp Verlag. Eine Leseprobe und mehr über die Autorin und ihr Werk findet man hier.
Ein schönen Blick auf die Kieferninseln findet man auch bei Herr Hund

24 Gedanken zu “Marion Poschmann: Die Kieferninseln Suhrkamp Verlag

  1. Gilberts wechselhafte Gefühle gegenüber seinem Forschungsgegenstand kann ich so nachempfinden! Deine Besprechung hat mich sehr neugierig gemacht auf den Roman und so hoffe ich, möglichst bald Zeit für ihn zu finden.
    Vielen Dank!

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  2. Halte mich noch zurück, deine Rezension zu lesen. Das Buch habe ich bereits gelesen. Mein eigenes Feedback steht noch aus. Schauen wir mal, wo wir und wie weit wir auseinanderliegen. Freundlichst Herr Hund

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  3. Das ist das Buch https://literaturgefluester.wordpress.com/2017/09/30/die-kieferninseln/, das ich mir für den deutschen Buchpreis wünsche und außer der „Hauptstadt“ https://literaturgefluester.wordpress.com/2017/10/01/die-hauptstadt/ die ich mir für den Öst wünsche, am besten gefallen hat.
    Ich habe mir Marion Poschmanns „Sonnenposition“ https://literaturgefluester.wordpress.com/2014/11/01/die-sonnenposition/ 2013 schenken lassen, als sie damals auf der Longlist oder auch auf der Shortlist stand.
    Lyrikbände habe ich noch nicht von ihr gelesen, aber das ganze Buch ist ja eigentlich ein Prosagedicht und dann kommt noch die Ironie dazu, mit der sie sich über die Zustände in Japan, wie beispielsweise diesen Selbstmordwald, wo die Leichen herumliegen und nur einmal im Jahr die Müllabfuhr vorbeikommt, um den Dreck wegzuräumen, gehörig lustig macht und dann habe ich es besonders genossen, daß da eine Frau dieses ewige Midlifekrise Thema der intellektuellen Privatdozenten oder Schriftsteller, die ihren Frauen mit einem Buch in der Hand, davonlaufen, aus weibliche Sicht Paroli bietet, denn ich habe mich ja schon vorher ein bißchen über das ewige Leiden der anderen Longlistkanditaten wie Lüscher https://literaturgefluester.wordpress.com/2017/08/26/kraft/ Bonne https://literaturgefluester.wordpress.com/2017/08/31/lichter-als-der-tag/, Falknerhttps://literaturgefluester.wordpress.com/2017/09/26/romeo-oder-julia/ und Wildenhain https://literaturgefluester.wordpress.com/2017/09/15/das-singen-der-sirenen/amüsiert und mich gefragt, warum ich als Frau das eigentlich immer lesen muß und was das Neue und Berührende, das Longlistenbücher ja angeblich haben müßen, daran ist?

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    • Ich habe dieses Mal kein Longlist-Lesen gemacht. Die Kieferninseln hätte ich ohnehin gelesen und Poschmann ist auch meine Favoritin. Ich habe allerdings schon viele tolle Debüts gelesen für den Debütpreis.

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  4. Ich habe von der Autorin noch nichts gelesen. Aber ich träume schon seit einigen Jahren davon, in Japan Urlaub zu machen. Vielleicht mache ich das erstmal lesend, denn Deine Rezension macht mich sehr neugierig.

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    • Es ist schon ein sehr besonderer Einblick. Poschmann war aufgrund eines Stipendiums in Japan und auch ihr voriger Gedichtband ließ schon viel von der japanischen Art erahnen. Die Leseprobe ist sicher hilfreich bei einer Entscheidung.
      Viele Grüße!

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  5. Habe mich schon auf deine Besprechung gefreut. Ich fand das Buch auch wunderbar, will es aber noch ein zweites Mal lesen, ehe ich selbst darüber schreibe. Dummerweise habe ich es gerade einem guten Freund geliehen, wird also noch dauern. Sehr schön dein Fazit: „Womöglich ist Poschmanns Buch selbst ein Koan, der Leser somit ein ZEN-Schüler, der sich anschickt, das Rätsel zu lösen … Ein Leuchten!“ Mit diesem Gedanken im Hinterkopf werde ich die zweite Leserunde antreten.

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    • Danke, Petra. Ich werde es bestimmt auch noch einmal lesen. Ich bin von Poschmanns Schreiben sehr begeistert. Habe sie letztes Jahr bei der Buchvorstellung ihres Gedichtbands gehört und da spürte man ihre ganze Passion für die Recherche zu ihren Büchern. Ich werde mir auch noch den Band „Mondbetrachtung in mondloser Nacht“ zulegen. Es ist schön, die Freude an solchen Büchern zu teilen! Viele Grüße!

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