Das ist eine wirklich schöne Entdeckung! Dank der NZZ, die oft außergewöhnliche Bücher vorstellt, wie eben auch in diesem Fall, ist es mir überhaupt in die Hände gelangt. Denn den Karl Rauch Verlag kannte ich bisher nur als Verleger von St. Exuperys „Der Kleine Prinz“. Nun bringt der Verlag eine kleine Reihe wunderschön ausgestatteter Büchlein heraus, unter anderem (wie etwa A. L. Kennedy) eben auch diese Geschichte der norwegischen Autorin Hanne Ørstavik mit dem schlichten zugleich schwer wiegenden Titel „Liebe“. Im Original erschien es bereits 1997, doch ist es ganz zeitlos.
Auch ihre Art zu schreiben kommt einem anfangs schlicht vor, einfache Sätze, die in ihrer Kargheit klare Bilder erzeugen. Doch das macht gerade den Reiz aus, passt zur erzählten Geschichte, die so harmlos beginnt …
Wir befinden uns in Norwegen, vermutlich in einer kleinen Stadt, vermutlich eher im nördlichen Teil des Landes. Vibeke lebt mit ihrem 8-jährigen Sohn Jon als alleinerziehende berufstätige Mutter. Sie sind erst neu in der Stadt, fassen erst Fuß. Gleich zu Anfang wird deutlich, dass die beiden kaum miteinander reden, nebeneinander her, statt miteinander leben.
„Sie schafft drei Bücher die Woche, oft vier, fünf. Am liebsten würde sie nur noch lesen, unter der Bettdecke sitzen, mit Kaffee, einem großen Vorrat an Zigaretten und einem warmen Nachthemd.“
Dennoch gibt es eine gewisse stille Zuneigung. Die Geschichte spielt am Vorabend des Geburtstags von Jon und wir erleben, wie Jon seine Umwelt erlebt. Er hat eine nette Eigenart, er versucht nicht zu zwinkern, was natürlich nicht gelingt, jedem Gegenüber aber sofort auffällt (und die Leserin gleich an die eigenen Kindheitsspleens erinnert). Vibeke kommt von der Arbeit nach Hause, die beiden begrüßen sich nicht, essen immerhin zusammen. Als Vibeke noch einmal losgeht, um sich in der öffentlichen Bibliothek Bücher auszuleihen, zieht auch Jon noch einmal los in Richtung des Jahrmarkts hin und in Vorfreude auf seinen anstehenden Geburtstag.
Tatsächlich ist es Vibeke, die auf dem Jahrmarkt landet und dort mit einem der Schausteller, der am nächsten Tag weiterreist, nach dessen Feierabend loszieht. Jon hingegen lernt auf seinem Streifzug ein Mädchen kennen, dass ihn mit zu sich nach Hause nimmt. Die Eltern freuen sich und Jon fühlt sich wohl, erlebt zum ersten Mal so etwas wie ein Familienleben. Als er allerdings nach Hause kommt und merkt dass er keinen Schlüssel hat, die Mutter aber nicht öffnet, fantasiert er sich zusammen, sie sei bestimmt noch einkaufen, weil ihr Zutaten für den Geburtstagskuchen fehlten, den sie ihm backen wolle. Im weltfremden Fantasieren ist auch Vibeke gut, die sich den Schausteller Tom schönredet, ja sogleich als potenziellen Partner durchleuchtet, schon ein Zusammenleben herbeidenkt.
„Ich überlasse ihn ein wenig sich selbst, denkt sie, zeige ihm damit, dass auch dafür Platz ist. In unserem Beisammensein gibt es genug Raum dafür, dass er neben mir auch Beziehungen zu anderen Menschen pflegen kann. Ich kann schließlich nicht alle seine Bedürfnisse erfüllen.“
Dass aus beider Hoffnungen schließlich Enttäuschungen werden, ahnt der Leser sehr schnell …
Auf etwas über 120 Seiten wird hier ein ganzes Familienpanorama aufgeblättert, wird hier die Einsamkeit im Zwischenmenschlichen dargestellt und von der Sehnsucht nach Liebe erzählt. Die Kälte des norwegischen Winters dringt hier durch die Zeilen und unterkühlt auch die beschriebenen Beziehungen. Eine bemerkenswerte Geschichte!
„Liebe“ von Hanne Ørstavik, die in Norwegen eine recht bekannte Schriftstellerin ist, erschien im Karl Rauch Verlag. Übersetzt wurde es von Irina Hron. Es ist in besonders schöner Art ausgestattet und auffällig in Rot fadengeheftet. Eine Leseprobe gibt es hier
Die Autorin stellt ihr Buch am 7.11. um 2o Uhr im Berliner Literaturhaus vor.
Eine weitere Besprechung gibt es auf dem Blog Zeichen & Zeiten .
Das klingt sehr interessant. All das Kopfkino, mit dem die Protagonisten durch die Gegend laufen.
Real ist das nicht, will es offenbar auch nicht sein. Das sagt doch viel über den Menschen!
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Es ist eigentlich ein erschreckendes Buch, was zwischenmenschliche Beziehungen angeht. Aber es ist sicher nicht weit hergeholt. Wobei es bestimmt jeder auf ganz andere Weise liest.
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„Letztes Jahr auf Ischia“ war, so fällt mir gerade (unbotmässig) ein, ein vielleicht ähnliches Buch. Für andere mag es nur Schilderung einer bestimmten Gesellschaftsgruppe gewesen sein, ohne weiterreichende Implikationen.
Für mich sind solche Erörterungen aber meist ein Verweis auf die Menschheit im allgemeinen.
Tja!
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Eine wahre Perle, die ich ebenfalls immer wieder gern empfehle. Vor allem all jenen, die stille Geschichten, in denen allerdings sehr viel verborgen ist, mögen. Viele Grüße
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Sie liest morgen im Literaturhaus. Aber das schaffe ich nicht. Es sind diese Woche noch zwei weitere tolle Veranstaltungen …
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[…] Hanne Ørstavik: Liebe Karl Rau… – literaturleuchtet […]
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