Arno Geiger: Unter der Drachenwand Hanser Verlag

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Ich habe Arno Geigers neuen Roman nur aufgrund der guten Kritiken zur Hand genommen, denn sein letztes Buch „Selbstporträt mit Flusspferd“ fand ich schwach. Doch „Unter der Drachenwand“ ist wieder ein buchpreiswürdiges Werk, wie ich finde, sein bestes. Ich bin tief beeindruckt. Es ist ein Buch, welches ich nach Lesebeginn nicht mehr aus der Hand legen mochte und bei dem ich, das ist selten, es schwierig fand darüber zu schreiben, weil man es eigentlich unbedingt selbst lesen und vor allem spüren muss.

Es fällt mir schwer zu formulieren, was genau Geiger macht, um die Leser zu gewinnen. Geiger lässt uns seine Protagonisten sehr nahe kommen. Damit erzielt er große Wirkung. Und es ist wahrscheinlich so, dass alle Komponenten, von Sprache über Inhalt bis Konstruktion, so gelungen ineinander greifen, dass ein nahezu perfekter Roman entsteht. Und obwohl schon soviel geschrieben wurde über das Thema 2. Weltkrieg und Nationalsozialismus, musste auch dieses Buch geschrieben werden.

Geiger erzählt von Veit, einem jungen Mann, der nach 5-jähriger Dienstzeit als Soldat in Russland, verletzt im Lazarett landet. Man genehmigt daraufhin einen Fronturlaub und Veit reist nach Wien zu den Eltern. Doch traumatisiert und ernüchtert wie er ist, erträgt er die väterlichen Hymnen auf den Krieg und den F. nicht und erholt sich im ländlichen Ort Mondsee, wo ein Onkel wohnt. Doch seine posttraumatische Belastungsstörung lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. Er nimmt Medikamente dagegen. Eine Lösung ist das nicht, denn sie machen abhängig. Erst als er sich mit Margot, die mit ihrer kleinen Tochter in der Pension im Zimmer nebenan wohnt, anfreundet, gelingt ihm wieder so etwas wie Freude und Gelassenheit.

„Die Zukunft? An eine große Zukunft konnte ich nicht mehr glauben, ich hatte gelernt, der großen Zukunft zu misstrauen. Und deshalb kam mir die kleine Zukunft gerade recht.“

Zwischen die eigentliche Erzählung mischt Geiger immer wieder Briefe. Sie kommen von Margots Mutter aus Darmstadt, von einem jungen Mann, der in ein Mädchen verliebt ist, dass in einem Kinderlandverschickungsheim in Schwarzindien am Mondsee lebt und einer österreichischen jüdischen Familie auf der Flucht. Versteht man am Anfang nicht ganz, wie alles zusammenhängt, so zeigen sich am Schluss doch die Verbindungen.

Margot, deren Ehemann ebenfalls im Krieg ist, und Veit werden ein Paar. Ganz langsam und unerwartet entsteht für die beiden jungen Leute, so etwas wie eine Insel der Geborgenheit und des Glücks inmitten der kriegerischen Welt. Dennoch wird der Friede auch immer wieder von außen durchbrochen, etwa wenn der eigensinnige Gärtner gegenüber verhaftet wird, wenn das Mädchen Nanni verschwindet oder der nächste Untersuchungstermin Veits ansteht.

„Wie schlecht eine Zeit ist, erkennt man daran, dass sie auch kleine Fehler nicht verzeiht.“

Ich empfinde die Briefe als enorm wichtig, schildern sie doch, und das auf sehr persönliche Art, wie sich mal für mal das Lob des Krieges, der völkische Stolz wandelt und alles im Chaos zu versinken droht, wie Bomben fallen, wie Nahrung fehlt, wie von einem auf den anderen Tag auch in den „eroberten“ Gebieten wie etwa Ungarn, die Juden der Willkür der restlichen Bevölkerung ausgesetzt werden.

„Ein heimatloser Flüchtling, ein heimat- und staatenloser Mensch, unter falschem Namen, mit falschen Papieren, mit falschem Blut, in der falschen Zeit, im falschen Leben, in der falschen Welt.“

Geiger erzählt in einem Interview, dass dieser Roman lange brauchte um zu Tage treten zu dürfen. Die Idee dazu entstand wohl bereits vor 10 Jahren. Die Briefe, die im Roman eine wichtige Rolle spielen, fand er offenbar auf einem Flohmarkt, sie dienten als Inspiration. Nur am Schluss hätte ich nicht wie in einem Filmabspann lesen mögen, wie es mit den Protagonisten weiterging. Da hätte ich mir lieber das offene Ende gewünscht … Ansonsten ist hier alles ein großes Leuchten!

Arno Geigers Roman erschien im Hanser Verlag. Eine Leseprobe und ein Interview mit dem Autor gibt es hier.
Weitere Besprechungen gibt es bei Literaturreich und Leckere Kekse.

22 Gedanken zu “Arno Geiger: Unter der Drachenwand Hanser Verlag

  1. Danke für die schöne Rezension. Ich muss ja gestehen, dass ich um A. Geiger bisher einen Bogen gemacht habe. Frag mich nicht wieso, ich weiß es nicht.

    Aber Dein Artikel macht richtig Lust auf das Buch! Danke dafür.

    Thomasm

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  2. Ich habe Geiger bisher immer eher aus der Ferne betrachtet, nie konnte mich ein Thema wirklich reizen, aber ich werde wohl an diesem Roman nicht vorbeikommen – wegen des geschichtlichen Hintergrundes und der zahlreichen lobenden Stimmen. Viele Grüße

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  3. Vielen Dank für die schöne Rezension. Mich hat das Buch sehr berührt, und für mich ist es der beste Anti-Kriegs-Roman seit Im Westen nichts Neues. Je mehr Leser_innen er findet, desto besser!
    Ich bin nur in einem anderer Meinung: ich finde, das letzte Kapitel trägt viel dazu bei, dass die Geschichte noch lebendiger wird, so, als wäre es eine „wahre“ Geschichte.

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