Érich Vuillard hat mit seinem schmalen, aber gewichtigen Band den Prix Goncourt 2017 erhalten. Nun ist er auf Deutsch erschienen in der Übersetzung von Nicola Denis. In ein paar Stunden habe ich diesen – ja, kann man es Roman nennen? – verschlungen und habe mir gleich im Anschluß in der Bibliothek „Ballade vom Abendland“ geholt.
Vuillard hat eine traumwandlerisch sichere Art zu schreiben. Ein Jonglieren mit der Sprache, ohne dass etwas schief geht. Es liegt große Präzision in dem was er tut. Kein Wort ist falsch platziert, jedes setzt auf Wirkung. Benutzt werden die ungewöhnlichsten Metaphern und Humor hat er auch. Was muss die Übersetzerin Nicola Denis da geleistet haben (ich wüsste zu gern, welches französische Wort an Stelle von „Butzemännern“ stand)! Ich bin begeistert wie leicht die Lektüre war, obwohl das Thema keinerlei Leichtigkeit enthält. Ich bin überrascht über die unverstellte Darstellung der Ereignisse und über die Offenlegung kleiner Details mit großer Wirkung. So bleiben Szenen und Inhalte eindrücklich in Erinnerung. Vuillards Bücher sind besser und womöglich wirkungsvoller als jedes Geschichtsbuch.
„Verführt von einer kleinlichen und gefährlichen Nationalidee ohne Zukunft streckt die gewaltige, von einer früheren Niederlage frustrierte Menge ihren Arm in die Luft.“
„Die Tagesordnung“ beginnt mit einem Treffen von 24 stinkreichen Industriellen am 20.2.1933, einberufen von Göring, zu einem Gespräch mit Adolf Hitler. Was Hitler will, ist, dass die noblen Herren Geld für die Nazipartei spenden, auf dass der Boden für die Partei und ihren Führer gesichert wäre. Die Herren Krupp, von Siemens, von Opel etc. zögern nicht lange und spenden. Vuillard spannt den Bogen seiner Erzählung weiter über die Verhandlungen Hitlers mit Schuschnigg, den Anschluß Österreichs 1938 und kommt am Ende wieder zu den Industriellen, die alle Tausende von Zwangsarbeitern aus den Lagern holten, Kriegsgewinnler wurden und sich darüber nie rechtfertigen mussten, sondern im Wohlstand bis in die heutige Generation leben. Namen, wie wir sie alle kennen: BASF, Bayer, Opel, Siemens, Allianz, Telefunken etc.
„Dieses Treffen vom 20.Februar 1933, in dem man einen einmaligen Moment der Arbeitgebergeschichte sehen könnte, ein ungehörtes Zugeständnis an die Nazis, ist für die Krupps, die Opels und die Siemens nicht mehr als eine alltägliche Episode des Geschäftslebens, ein banales Fundraising.“
Die Tagesordnung erschien bei Matthes & Seitz. Eine Leseprobe gibt es hier.
Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.
„Aber es reicht nicht, es reicht nie, um zu erklären, weshalb eines Tages Millionen von Männern gemeinsam singend aufbrechend, einander gegenüber Stellung beziehen und plötzlich zu schießen beginnen.“
So heißt es im 1. Kapitel des Bands „Ballade vom Abendland“ und dieses Zitat spricht Bände und steht stellvertretend für den gesamten Inhalt. Es um den 1. Weltkrieg und wie es dazu kommen konnte. Ebenfalls sehr empfehlenswert, ebenfalls erschienen im Matthes & Seitz Verlag.
Vuillard muss wahnsinnig viel recherchiert haben. Wo er diese ganzen Hintergrundinformationen – bei aller künstlerischen Freiheit – hat!
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Ja, glaube ich auch. Ich stelle mir das aber auch spannend vor ….
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Tja, ann muss ich wohl auch … lesen 😉
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Ja. Ich denke, es gefällt dir.
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Ich hatte vor einem halben Jahr die Biographie von Speer gelesen, da ist vieles Thema gewesen, von dem in diesem Buch sicher auch die Rede ist..
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Wobei Vuillard eben sehr spezielle Details ausarbeitet und in aller Kürze den Nerv trifft.
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Danke für diesen Lesetipp! Und für die gut geschriebene Rezension!
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Danke sehr!
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[…] Besprechungen auf Literatur leuchtet, bei der Buchbloggerin und auf Lesen in vollen […]
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