Juha Hurme: dEr VerRückTe Kommode Verlag

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Es gibt immer etwas zu entdecken im Schweizer Kommode Verlag. Da gab es den künstlerisch gestalteten Band „Belichtungen“ von Nadine Olonetzky und den hervorragenden Roman „Kind aus Glas“ von Maarja Kangro und nun also „Der Verrückte“. Schon auf den ersten Seiten, weiß ich, dass ich mich in diesem Roman zuhause fühle, geht es doch um diejenigen, die einmal oder immer mal wieder aus dem System herausfallen, ungewollt, einfach weil sie und ihr Bewusstsein manchmal etwas anders ticken, eine Pause brauchen von dieser schnellen Welt und weil der Held dieser Geschichte bald seine Rettung in der Literatur sieht.

„Das erste Mal starb ich Anfang der Achtziger in Schweden, mit knapp über zwanzig.“

Das ist der erste Satz dieses Romans. Juha Hurme hält sich aber weder mit dem ersten noch dem zweiten Sterben lange auf, sondern erzählt uns die Geschichte des dritten Sterbens, welches im Jahr 2009 zur Adventszeit in Helsinki stattfindet. Es erwischt den Helden dieses Romans eiskalt.

„Ich spürte, dass Es kam. Dieses Buch erzählt Davon. Von Dem, was keinen Namen hat. Ich lag mit offenen Augen auf dem Bett und schätzte, wie weit Es weg war. Es war eindeutig näher als je zuvor, um die Ecke, würde ich sagen.“

Das „Es“ bringt in schließlich nach einer schrecklichen Nacht soweit, sich im gelben Haus einzufinden, sich selbst einzuweisen. Der Ich-Erzähler wird von Wahnvorstellungen geplagt, er glaubt, er sei tot. Kein klarer Gedanke scheint mehr zu fassen zu sein. Vollkommen außer Rand und Band kommt er in eine psychiatrische Abteilung, wo es doch recht schnell zu einer Randale kommt, zu einem Zweikampf mit einer „Handlangerin“ und später mit einem „Schlägertrupp“. Nach durch Beruhigungsmittel aus dem „Chemielabor“ verschlafenen, verlorenen(?) Tagen folgt die Verlegung in die geschlossene Abteilung. Hier kommt es zu den interessantesten Begegnungen mit Mitpatienten, wie „Einsdreiundsechzigeinhalb“, die jeden zur Begrüßung nach der Größe fragt oder mit Puupponen, der die Musikszene der 68er neu aufmischt. Auch kommt es zu Flashbacks in die Kindheit. Auch die war schon von kleineren Verrücktheiten, zumindest aber von enormer Fantasie und Kreativität durchzogen. Und nun sieht er seine Mutter, seinen Vater, die sich schließlich als Mitpatienten erweisen und wird nachts von hanebüchenen Träumen verfolgt. Da hilft nur die Literatur. Manchmal ist es dann auch die Bibel, die auf Stichhaltigkeit überprüft wird, schließlich ist bald Weihnachten.

„Bei Matthäus gibt es keinen Stall, sondern Maria gebärt ganz gewöhnlich zu Hause, in der Stadt, in der sie mit Josef wohnt. Der Stern führt die Weisen zu ihrem kleinen Eigenheim. Hier bedarf es auch keiner Engel oder anderer himmlischer Divisionen.“

Im Gepäck dabei ist auch der finnische Dichter und Dramaturg J.J. Wecksell (der selbst in der Psychiatrie landete, unter anderem zeitweise in Köln), dessen Werk unseren Helden anregt, ein Stück über dessen Wirken zu schreiben. Ein Stück, dass ihm hilft, wieder mehr zu sich zu kommen: Schreiben tut gut. An Silvester soll es aufgeführt werden. Als Schauspieler fungieren die Leidensgenossen und die schmeißen sich so richtig ins Zeug, obwohl manch einer dann doch abspringt oder reißaus nimmt.

„Verworrenheit ist ein Zeichen der Zeit,
Verworrenheit ist die einzige
Lösung für das Rätsel des Lebens.“

Das wilde Stück findet komplett Eingang ins Buch und ich lerne J.J. Wecksell (1838 – 1907) kennen, wenn auch aus sehr schräger Perspektive, aber was ich nicht verstehe, kann ich ergooglen. So erweitert dieses herrlich außergewöhnliche, in aller Tragik enorm witzige Buch meinen Horizont und womöglich auch mein Bewusstsein. Für alle, die es „gegen den Strich“ und skurril mögen ein Glücksfall!

Der 1959 geborene finnische Autor Juha Hurme inszeniert auch Theaterstücke und schreibt Romane. Mit beidem ist er in Finnland sehr erfolgreich. Er setzt sich außerdem für die schwedische Sprache in Finnland ein. Übersetzt wurde das Buch von Maximilian Murmann. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

Hinweis: Der Umstand, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, hat keinerlei Auswirkung auf meine Wahrnehmung und Rezension des Buches.

 

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