Marie Luise Kaschnitzs Erzählung „Eisbären“ erschien bereits im Jahr 1966. Kaschnitz (1901 – 1974), die 1933 ihren ersten Roman veröffentlichte, aber auch Gedichte und Hörspiele schrieb, wird heutzutage wenig gelesen. Was für ein Versäumnis dies ist, merkte ich bei dieser Lektüre. Im Kunstanstifter Verlag erscheinen immer wieder staunenswerte bildschöne Buchkunstwerke und so stieß ich auf den Band „Eisbären“. Die Bilder machten neugierig, die Leseprobe noch mehr.
Die Illustratorin Karen Minden interpretiert die wunderbare überraschende Erzählung, die als Text nur wenige Seiten lang ist, ganz eigen und sehr faszinierend. Sie bewahrt das Geheimnis dieser Geschichte in ihren Zeichnungen, die reduziert und gleichzeitig kraftvoll sind. Der Bleistift ist das Handwerkszeug von Minden und so zeigen sich die Szenen überwiegend in Schwarz/Weiß mit allen Grauschattierungen. Als einzige Farbe kommt ein helles Blau hinzu, was für mich die Kühle symbolisiert, die immer wieder in der Geschichte aufblitzt.

Vor dem Eisbärengehege im Zoo trafen sie sich einst. Das Paar, das die Hauptrolle spielt, ist schon viele Jahre zusammen. Eines Abends, die Frau hat sich bereits zum Schlafen ins Bett zurückgezogen, der Mann lässt auf sich warten. Als er dann nach Hause kommt, möchte er mit ihr reden. Alles verläuft anders als sonst. Das Schlafzimmer ist stockdunkel, doch er will kein Licht. Das Gespräch beginnt er mit der Frage, ob sie noch wisse, wie sie sich kennengelernt haben. Die Frau wundert sich, weiß das aber natürlich noch. Oft nennt sie der Mann Eisbär, weil sie den Kopf drehte, nach rechts und nach links, immer wieder, damals als er sie am Gehege stehen sah, als würde sie sich nach jemandem umsehen, auf jemanden warten. Die Frau besteht wie immer darauf, dass sie auf niemanden wartete.
„Sie zweifelte aber plötzlich daran, dass ihr Mann ihr glauben würde. Sie hatte das Gefühl, als stände hinter seinen Worten eine Unruhe, die sie nicht würde stillen, und eine Angst, die sie ihm nicht würde ausreden können, jedenfalls nicht in dieser Nacht.“
Dass das doch der Fall war, erfahren nur wir Leser. Dass es da einen gab, der sie verlassen hatte, von dem sie hoffte, er käme zurück. Und dass sie ihren Mann nur geheiratet hatte, weil sie nicht allein bleiben wollte. Obwohl sie ihn nun längst liebt. Doch das sagt sie ihm nicht. Das sind nur ihre Gedanken. Sie besteht auf der Unwahrheit. Und der Mann gibt sich nach längerem hin und her letztlich damit zufrieden. Und das ist vielleicht gut so. Denn als es an der Tür klingelt, so spät noch, wundert sich die Frau beim Öffnen der Tür sehr …
So müssen Kurzgeschichten sein. Das ist die große Kunst, auf wenigen Seiten gekonnt mit Sprache spielend eine Spannung aufzubauen, die einen am Ende staunend und womöglich mit offenen Fragen zurücklässt. Kaschnitz setzt hier den Focus auf das Mysterium der Liebe und auf die Frage, ob die volle Wahrheit immer sinnvoll ist.
Ich stelle fest, ich sollte wieder mehr Erzählungen lesen, denn zumindest diese hat mir große Lust darauf gemacht. Marie Luise Kaschnitzs Erzählungen gibt es gesammelt beim Insel Verlag. Für Bibliophile sei aber auf jeden Fall diese zauberhafte Ausgabe empfohlen. Der Band erschien im Kunstanstifter Verlag, wo sich auch eine Leseprobe findet. Auch ein Blick auf die Website der in Berlin lebenden Künstlerin Karen Minden lohnt sich. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.
Hinweis: Der Umstand, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, hat keinerlei Auswirkung auf meine Wahrnehmung und Rezension des Buches.
Vielleicht waere es besser, jemand, der Kaschnitz besser kennt, schreiben zu lassen?
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Ich schildere lediglich meine Leseeindrücke, meine Gedanken zum Buch. Ich bin weder Literaturwissenschaftlerin noch Kaschnitzkennerin und wende mich in meinem Blog auch nicht speziell an diese. Was habe ich denn ihrer Meinung nach falsch gemacht?
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Nun ja, ich wollte Sie nicht verletzen, das muss gesagt sein.
Hier liegt dem Ganzen schon ein unheimlicher Fehlgriff zugrunde: Marie Luise Kaschnitz schreibt keine Kurzgeschichten für Kinder. Sie ist ohne den geringsten Zweifel eine Autorin für Erwachsene, die sich in ihrem Opus mit der Schuldfrage der Deutschen (Wie leider nur relativ wenige Autoren ihres literarischen Kalibers) in der Nachkriegszeit auseinander setzt. Da ist nichts, aber absolut nichts, was ein Kind in dieser Geschichte interessieren koennte. Dass eine solche Geschichte mit Illustrationen für Kinder verlegt wird, ist an sich schon unglaublich und sagt viel über das Niveau deutscher Verleger. (Da auch die Tochter von Frau Kaschnitz seit 20 Jahren verstorben ist, konnte wohl keiner der Erben etwas gegen diese leichtsinnige Idee einwenden.)
Bei Kaschnitz sitzt jedes Wort perfekt, jede Metapher funktioniert, und auch das, was nicht von ihr gesagt wird, schwingt stark in ihrem Werk mit. Da ist kein Wort zufällig gesetzt, sondern das Resultat einer akribischen Überlegung. Eisbären stammt interessanterweise aus einem Alptraum von M.L. Kaschnitz, in dem ihr Mann sie dazu auffordert, zusammen mit ihr aus dem Fenster in den Tod zu springen, und das zu einer Zeit, als ihrem Mann ein Hirntumor diagnostiziert worden war und er nur noch zwei Jahre Lebenserwartung hatte.
Wie gesagt, tut mir leid, ich wollte niemanden verletzen, aber selbst für einen oberflächlichen Blog sollte man wenigstens ein paar Nachforschungen treffen, vor allem bei einem derart tiefgründigen Text.
Bin selbst Deutschlektor an der Uni von Turin und benutze die Geschichten von M.L. Kaschnitz seit Jahren in meinen Fortgeschrittenenkursen, deshalb liegt sie mir besonders am Herzen.
LG
Georg Maag
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Die Ausgabe des Kunstanstifter Verlag ist kein Kinderbilderbuch: https://kunstanstifter.de/buecher/eisbaeren
Es ist ein Buch für Erwachsene und ich finde die Idee, dass eine Geschichte von einer Künstlerin interpretiert und untermalt wird sehr gut. Es trägt doch letztlich dazu bei, dass Kaschnitz wieder und noch gelesen wird, was übrigens unter anderem auch meine Absicht beim Beitrag zu diesem Buch war. Wenn dadurch angeregt wird, sich mehr und tiefer mit der Autorin zu beschäftigen, ist das doch wunderbar. Finden Sie nicht?
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