Auður Ava Ólafsdóttir: Miss Island Insel Verlag

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Was für ein zauberhafter in vielerlei Hinsicht überraschender Roman!
Auður Ava Ólafsdóttirs „Miss Island“ fiel mir im Verlagsprogramm auf, da ich ja Island-Literatur-Fan bin. Nun habe ich ihn in der Bibliothek erwischt und freue mich über die Entdeckung. Die Autorin ist in Island recht bekannt und wurde vielfach ausgezeichnet.

Es ist ein ganz eigenwilliger Stil, der mich manchmal an Rachel Cusks Romane erinnert hat, obwohl die beiden inhaltlich kaum Ähnlichkeiten haben. Denn die Heldin Hekla, benannt nach einem Vulkan, wird beim Lesen kaum greifbar, gewinnt überwiegend durch die anderen Menschen, die sie umgeben und mit ihr sprechen Kontur. Wir erfahren zwar gleich anfangs, dass sie schreiben will, Schriftstellerin sein will, doch in ihr Inneres dürfen wir kaum einen Blick werfen. Die Geschichte beginnt 1942 mit der Geburt Heklas und mit der Namensgebung. Hekla erhält ihren Namen vom Vater, der sich intensivst für Vulkane interessiert. Die Familie lebt auf einem Schafhof im Westen der Insel, die Mutter stirbt früh. Dann folgen wir Hekla weiter im Jahr 1963, als sie ihr Elternhaus verlässt und mit dem Bus in die Hauptstadt (Ulyssees lesend) Reykjavík fährt, um Schriftstellerin zu werden. Eine Unterkunft findet sie bei ihrem Kindheitsfreund Jón John, der jedoch plant Island Richtung Europa zu verlassen. Hekla findet Platz für ihre Schreibmaschine und findet einen Job als Kellnerin in einem Hotel. Bereits auf der Reise wird sie angesprochen. Weil sie so schön ist lädt man sie ein bei der Miss-Island-Wahl teilzunehmen. Doch Hekla will nur schreiben und Geld sparen, um Jón zu folgen.

Damit hat die Autorin gleich zwei Themen angesprochen, bei denen Island zu dieser Zeit doch noch eher konservativ und wenig offen scheint. Jón fühlt sich als homosexueller Mann sehr diskriminiert und falsch. Er gibt deshalb Hekla als seine Freundin aus. Doch auch Hekla hat Probleme, denn sie lässt sich nicht auf ihre Schönheit reduzieren, sie will als weibliche Autorin anerkannt werden und als eine Frau, die Hosen trägt und nicht ans Heiraten denkt. Beide sind wilde Geister, die in größter Freundschaft und Innigkeit miteinander verbunden sind.

Heklas Freundin Isey spielt ebenfalls eine große Rolle. Sie lebt verheiratet, schwanger mit dem zweiten Kind in einer Kellerwohnung, obwohl auch sie Schreibambitionen hat. Über die Dialoge mit ihr, die sich gerne bei Hekla ausspricht, erfahren wir mehr über diese als von ihr selbst. Einen weiteren Blick auf Hekla erfahren wir durch Starkaður, einem jungen Dichter, der in der Bibliothek arbeitet. Er wird ihr Liebhaber, sie zieht später zu ihm. Durch die Art, wie er mit ihr kommuniziert, erfahren wir wiederum ein Stück mehr über Hekla. Sie verschweigt ihm zunächst, dass sie auch schreibt. Dabei sehnt sie sich in den Kreis der Dichter und Schriftsteller, die im Cafe Mokka verkehrt. Während Starkaður kaum etwas fertig bringt, schreibt Hekla einen Roman und reicht ihn bei einem Verlag ein. Sie wird dafür gelobt, wie ein Mann zu schreiben, doch angenommen wird ihr Roman nicht, weil sie eine Frau ist.

Jón lebt mittlerweile in Dänemark und schreibt ermutigende Briefe. Für Hekla ist es klar, dass sie ihren Dichterfreund, obwohl er sich das wünscht nicht heiraten, sondern verlassen wird. Denn sie will nichts anderes als schreiben, das ist das Wichtigste. Als Jón ihr ein Ticket für die Überfahrt schickt, packt sie Schreibmaschine und Koffer und verlässt die Insel. Geschickt gemacht und sehr symbolträchtig genau in der Zeit als im isländischen Meer ein unterirdischer Vulkan ausbricht und eine neue Insel entsteht: Ausbruch & Aufbruch! Nomen est omen.

Im letzten Kapitel leben Jón und Hekla wieder zusammen in einer Wohnung. Beide arbeiten, Hekla schreibt, schickt Texte ein, etwas wird angenommen und die beiden planen von dem eingenommenen Geld eine Reise in den Süden. Weil es dann leichter wird und für beide Vorteile hat, heiraten die beiden vor ihrem Aufbruch. Wohin genau, erfahren wir nicht. Aber es ist ein Land, wo es heiß ist, wo Pfirsiche und Trauben reifen und wo man im Meer baden kann. Hekla vollendet einen weiteren Roman, der ebenso wenig Aussicht hat veröffentlicht zu werden. Bis sie auf eine besondere Idee kommt …

Dieses Buch ist sprachlich und inhaltlich ganz eigensinnig: zeitweise poetisch, zeitweise pragmatisch und dabei mit feinem Humor und einem Blick für das Wesentliche. Es ist leicht zu lesen und für Bücherfreunde und Lyrikliebhaber dennoch eine echte Fundgrube. Denn Hekla liest nicht nur die heimischen Sagas und Gedichte, sondern auch Joyce, Silvia Plath, Simone de Beauvoir, Inger Christensen, Thomas Manns Zauberberg, die Odyssee und vieles andere mehr. Es findet sich hier auch diese wunderbare Szene aus der Bibliothek in Reykjavík, bei der mir, die ich auch Gedichte schreibe, das Herz aufgeht:

„Wenn die Leute ihre Bücher nicht zurückgeben, sind es meistens Lyrikbände“, merkt er an. „Die sind am beliebtesten. Wir mussten sogar schon welche von säumigen Ausleihern zurückholen.“

Auður Ava Ólafsdóttir hat mit „Miss Island“ natürlich auch ein Problem sehr deutlich aufgezeigt, welches selbst heute immer noch Thema ist. Wann werden schreibende Frauen endlich die gleiche Wertschätzung erhalten wie Autoren?

Der Roman erschien im Insel Verlag und wurde übersetzt von Tina Flecken. Eine weitere Besprechung findet sich auf dem Blog Zeichen & Zeiten.

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