Bernhard Schlink: Die Enkelin Diogenes Hörbuch

Es gibt Zeiten, da kann ich mich nicht aufs Lesen konzentrieren, Da ist das eine Buch zu dick, dass andere zu schwierig, ein weiteres zu banal, aber ein Hörbuch kann ich mir anhören. Hörspiele mag ich eher nicht, aber Lesungen, besonders wenn sie wie hier bei Bernhard Schlinks „Die Enkelin“ von so hervorragenden Sprechern interpretiert werden wie Hanns Zischler und Nina Petry. Dass es ein Schlink wurde, liegt am Thema, das mich sehr ansprach. Es geht um eine Liebesgeschichte zwischen Ost und West, ein zurückgelassenes Kind wegen einer Flucht in den Westen, einen Tod und ein aufgefundenes Buchmanuskript, welches allerhand in Bewegung bringt.

Die Geschichte gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil findet Hauptprotagonist Kaspar, 70, seine Frau Birgit tot zuhause in der Badewanne. Sie litt zuletzt unter Depressionen und war alkoholabhängig. Teil der Trauerarbeit ist es Birgits Sachen zu ordnen. Hier findet er ein Manuskript von ihr und beginnt zu lesen.
Nun kommt Birgit zu Wort. Sie erzählt uns ihre Geschichte. Hier ist es Nina Petry, die der Protagonistin ihre Stimme verleiht. Birgit lebt in Ostberlin und studiert. Bei einem Austausch mit Westberliner Studenten 1964 lernt sie Kaspar kennen. Beide verlieben sich. Es beginnt eine Ost/West-Beziehung. Birgit verheimlicht (auch vor sich selbst) lange, dass sie von einem anderen schwanger ist. Heimlich bringt sie das Kind zur Welt und gibt es einer Freundin in Obhut. Danach flieht sie mit falschen Papieren zu Kaspar nach Berlin. Birgit studiert, Kaspar wird Buchhändler. Sie gründen zusammen eine Buchhandlung, kaufen eine Wohnung. Kaspar merkt schnell, dass Birgit ein sehr starkes Eigenleben führt. Es scheint, als wäre sie andauernd auf der Suche nach sich selbst. Warum weiß er nicht. Von dem Kind hat sie ihm nie erzählt.

„Sie habe keine Depressionen, es gebe keine Depressionen. Es gebe melancholische Menschen, es habe sie immer gegeben, sie sei einer. Sie wolle sich nicht von Medikamenten in einen anderen Menschen verwandeln lassen. Dass jedermann ausgeglichen und zuversichtlich sein müsse, sei törichtes modernes Zeug. In der Tat war sie, auch wenn sie keine Depression hatte, nachdenklicher, ernsthafter, schwermütiger als andere.“

Hanns Zischler liest nun weiter vor: Kaspar fragt sich, wie er in den vielen Ehejahren so wenig über seine Frau wissen konnte. Dass es ein Kind gab, erschüttert ihn, vor allem auch, weil sie beide zusammen nie Kinder hatten. Er macht sich auf die Suche nach der verlorenen Tochter, warum weiß er selbst nicht, vielleicht weil Birgit in ihren Aufzeichnungen andeutet, dass sie wissen wollte, wie es der Tochter ergangen ist. Ihre bisherigen Recherchen greift Kaspar auf und fährt zuerst zu jener Freundin, mit deren Hilfe Birgit das Kind bekam. Von Berlin aus macht er sich auf in den Nordosten des Landes, der so ganz anders tickt, als die Hauptstadt. Schließlich findet er die Tochter, Svenja, die nun selbst eine 14-jährige Tochter hat und die mit ihrem Mann in einer ganz anderen Welt lebt. Sie sind Bewohner einer völkischen Siedlung auf dem Land und höchst misstrauisch gegenüber Fremden. Dass sich Kaspar dennoch so weit hineinbegeben kann, liegt daran, dass er vorgibt, Birgit hätte in ihrem Testament auch die verschollene Tochter bedacht.

Hier muss ich zugeben, kommt mir die Geschichte ein wenig unrealistisch vor. Wie kommt ein Buchhändler zu so viel Reichtum, um die Enkeltochter Sigrun sozusagen `freizukaufen´? Denn er bietet an, sie in den Ferien zu sich zu holen, damit sie sich kennenlernen können. Auch hier hege ich Zweifel, ob völkische Eltern ihre Tochter einfach so zu einem Fremden in die Hauptstadt schicken würden. Gleichzeitig verstehe ich Kaspar nicht, was er sich davon erhofft.

Trotzdem höre ich mit Spannung weiter und Schlink schafft es dann auch ziemlich gut den Zwiespalt Kaspars darzustellen, der natürlich mit Sigruns Vorstellungen von Deutschtum etc. einher geht. Tatsächlich gelingt es ihm dann mitunter sie auf neue Spuren zu bringen und bei ihr die Liebe zur Musik (unabhängig von deutschen Komponisten), sogar zum Klavierspiel zu erwecken, ohne allzu oberlehrerhaft zu wirken. Doch ein bisschen ist es wie ein Krebsgang: zwei Schritte vor, einen zurück.

Sigruns Vater passt das eines Tages nicht mehr und er untersagt Kaspar jeden weiteren Kontakt. Der findet sich damit schwer ab. Als dann zwei Jahre später Sigrun in den typischen Klamotten der Autonomen Nationalisten völlig aufgelöst vor seiner Tür steht und um Hilfe bittet, kann er nicht anders und lässt sie herein …

Ich finde es nach wie vor gut, dass das Thema Ost-West in die Literatur Eingang findet, denn es ist eben keine Einheit geworden, wie man damals hoffte. Noch immer gibt es diese enormen Unterschiede, die auch thematisiert werden sollten. Das Ende seiner Geschichte ist Schlink gut gelungen. Auch hier hatte ich Angst vor einem allzu künstlichen Schluss. Schlink ist ein sehr sehr guter Erzähler, mitunter etwas altbacken. Dass er keine sprachlichen oder formellen Besonderheiten bietet, war zu erwarten. Zischlers Stimme trug mich durch 8 Cd`s in 9 Stunden und 35 Minuten. Eine Hörprobe gibt es hier.

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8 Gedanken zu “Bernhard Schlink: Die Enkelin Diogenes Hörbuch

  1. Sehr gut gelungene Zusammenfassung. Ich teile deine Meinung, genauso wie du sie formuliert hast. „Schlink ist ein sehr sehr guter Erzähler, mitunter etwas altbacken. Dass er keine sprachlichen oder formellen Besonderheiten bietet, war zu erwarten.“ Mir ging das Didaktische ein wenig auf die Nerven, das Großzügige, emotional nicht so Beteiligte, aber was soll’s. Viele Grüße und schönen Start ins Wochenende!

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  2. Danke für diese anschauliche Rezension. Ich hatte von dem Buch auch schon auf Youtube gehört. Ich werde mir das Buch auf jeden Fall besorgen. Ich mag Schlink auch sehr – ein wunderbarer Erzähler.

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  3. Ich habe diesen Roman sehr gern gelesen, ihn bei einer Lesung auch live erlebt. Seine Sprache ist eingängig, setzt nicht auf große Effekte, was ich mag. Was mir nicht gefallen hat, ist die Vergabe der nordischen Namen, das fand ich etwas plakativ. Viele Grüße

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  4. Ich bin ja eigentlich Schlink Fan, aber diesmal tue ich mir schwer, empfinde den anfang als sehr langatmig und hab es erstmal beiseite gelegt.
    Ich fragte mich wie du es mit dem hören machst, ich mag ja Hörbücher auch sehr gern, und sehe das du HörCD´s hast, wie toll. In unserer Bibliothek gibts fast nur noch MP3 und das ist ein graus, man verbringt, sobald man das erste mal unterbrochen hat, die Zeit nur noch mit spulen und findet nie die richtigen Stellen wieder. Deswegen hab ich es jetzt aufgegeben.
    Auf dem Rechner hab ich noch 2 Hörspiele die mich wirklich interessieren würden, in ewig vielen kleinen Minihäppchen, und ich bekomme den Player nicht dazu das in der richtigen Reihenfolge am Stück abzuspielen.. ich sag dir…seufz

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    • Ja, es gibt fast nur noch mp3. Manchmal in der Bibliothek, so wie hier, normale CDs. Ich hatte aber auch schon Downloads von Verlagen, wo es mir ähnlich wie dir ging. Aber zumindest die Reihenfolge stimmt. Da ich in solchen Dingen auch nicht so begabt bin, klicke ich dann immer weiter. Der Vorteil: ich schlafe dann nicht ein beim Hören;-)
      Liebe Grüße!

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