Judith Zander: im ländchen sommer im winter zur see dtv Verlag

„…so gibt er mir nach
und nach seinen vom andren ende zurecht
gelegten schlaf drin liege ich falsch und wach“

Judith Zander wurde 1980 in Anklam geboren. Ihren letzten Roman „Johnny Ohneland“ habe ich bereits hier besprochen. Doch eigentlich ist sie auch als Lyrikerin bekannt. Ich habe mehrere Anläufe gebraucht, bis sich mir die Gedichte im neuen Band „im ländchen sommer im winter zur see“ erschlossen. Immer braucht es den richtigen Zeitpunkt für eine bestimmte Lektüre. Und scheinbar passte die sommerliche Hitze, um mich mit dieser Lyrik zu befassen. Es ist ein Band, den man nicht mit ein mal lesen erfassen kann. Dazu ist er zu ausgeklügelt und sprachlich zu bewusst konstruiert. Hier ist nichts zufällig, alles gehört an seinen Platz. Dennoch wirken die Gedichte, vor allem auch wegen der vielen schrägen Zeilenumbrüche, mitunter sperrig. Ein Hin- und Herdenken wird beim Lesen gefordert. Oder aber man verlässt sich voll auf den Klang und gibt sich nur dem Rhythmus hin. Das funktioniert auch; vor allem, wenn man laut liest.

„es dämmert dürr liegt das nochsommerland
hat wohl die auszehrung sagte man
so dahin wenn einer nicht satt werden
konnte von schrot und runzelkorn ich kann
bei allen rapunzeln mir nicht helfen wir
waren doch schon mal weiter meinetwegen
in den fünfzigern kam einem mehr“

Die Gedichte spielen vor allem im nordöstlichen Küstenland, Mecklenburg-Vorpommern, das auch Zanders Heimat ist. Einmal höre ich vom Bakelberg. Der ist in Ahrenshoop auf dem Darss. Da wird offenbar eine Landschaft erkundet, sommers wie winters. Steine werden umgedreht und dichte Wälder durchkämmt und in den Himmel gesehen. Die Gedichte können Liebesgedichte sein, zumindest aber erzählen sie vom in Beziehungstehen, vom Kennenlernen, von einer Zweierkonstellation. Scheinbar sind es zwei, die es sich gegenseitig nicht immer leicht machen.

Weitere Themen sind der Klimawandel, die Landschaft in ihrer Veränderung und die Sprache selbst. Mit englischen Einsprengseln und mit Liedzeilen etwa von Gianna Nannini und Nena werden sie mitunter ausgestattet, manchmal ausgereizt. Reime finden sich viele, doch immer schön schief. Nie fehlen Sprichwörter und Redewendungen, die aber meist verdreht und in neuem Sinn wiedergegeben werden z. B. „ein paar volt im schlafpelz“. Manchmal finde ich die Verwendung und Verwandlung von Sprichwörtern in den Versen zu übertrieben oft. Wenn sich (vermeintlich?) kein Sinn mehr daraus erschließen lässt, stört mich das, gleichzeitig bewundere ich es, da es sich so ganz und gar von meiner eigenen Art Gedichte zu schreiben unterscheidet.

„man muss nur schnell rotz und
wasser teilen den wind mit
der lade ausschütten und das
fischbuch verschneiden wer den bade
meister hat braucht für den
jungen gott nicht zu sorgen“

Es gibt viele Anspielungen, wie etwa auf Wolfgang Hilbigs „Leipzig am Meer“ – „Leipzig by the sea“, die DDR oder antike Mythologie und womöglich viele, die ich gar nicht als solche erkannt habe.

Die Gedichte sind durchweg kleingeschrieben, es gibt keine Satzzeichen, was sich bei dem wilden Enjambement auch anbietet. Schwarz/weiße Landschaftsfotos der Autorin ergänzen die Gedichte, wobei diese im Gegensatz zu den Gedichten wenig Spielraum bieten. Andererseits wirken sie durchaus beruhigend zwischen den eher anregenden Versen. Letztlich habe ich Zanders Lyrik lieb gewonnen. Und freue mich über die Vielfalt, die mir bei Lyrik fast größer erscheint als bei Prosa.

Der Band erschien im dtv Verlag. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

2 Gedanken zu “Judith Zander: im ländchen sommer im winter zur see dtv Verlag

  1. Hört sich wirklich toll an. Ich mag dieses Verquer-Improvisieren, die Sprache freischaufeln aus ihrer Enge, sich nicht an alles halten, sondern sich dem eingebenden Momenten überlassen. Schöne Beispiele hast du da herausgesucht, was immer auch:

    „wer den bade
    meister hat braucht für den
    jungen gott nicht zu sorgen“

    andeuten möchte, es hat mich instantan aus den engen Deutungshorizonten herausgerissen. Viele Grüße!

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