Volha Hapeyeva: Trapezherz Literaturverlag Droschl


„jemand verbrennt blätter mit gedichten
auf dem dachboden des universums“

Nach „Mutantengarten“ folgt nun Volha Hapeyevas neuer Gedichtband „Trapezherz“. Die belarusische Autorin wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. In dem mehrseitigen Gedicht „Schwierige Arithmetik“ schreibt Hapeyeva über den Zustand ihres Landes Belarus, über die Einflussname der Regierung, über Zensur, über Russland, im Nacken sitzend. Geschickt schildert sie darin die unruhige Entwicklung des Landes, die die Menschen von alt bis jung miterlebten und erleben.

„denn der staat sorgt sich ja richtig um einen
also
hört er nicht auf, zeitungen und bücher zu überprüfen
er löscht die liste der schädlichen berufe nicht
er schafft die todesstrafe nicht ab
und behandelt andersdenkende
indem er sie zu einem spaziergang mit in den wald nimmt“

Mit ihren Gedichten ist es oft so eine Sache: Sie beginnen ganz einfach und harmlos und ich denke anfangs: „Hm, was wird das?“ und dann im Verlauf und vor allem gegen Ende, meist erst in den letzten Zeilen kommt dann der Knall oder zumindest der Grund, warum das Gedicht geschrieben wurde bzw. warum es eben nicht banal ist, wie man eingangs meinen konnte. So eine Form findet sich selten. Solch ein Schreiben öffnet womöglich die Lyrik auch für Menschen, die denken, sie mögen keine Gedichte oder können damit nichts anfangen. Und dann wieder sind es Gedichte, die sofort treffen, komplex und mit Tiefe.

„immer seltener
möchte ich sprechen

es ist sicherer
briefe an verstorbene zu schreiben

auf geschenke zu warten
nur von mir selbst“

Da kommt ein Gedicht über eine Ente, die einen kalten Schnabel hat und einen kalten Fuß. (Ja, na und?) Und nach all der scheinbaren Harmlosigkeit kommt zuletzt der Hinweis, wie gefährlich es für Enten im Winter ist, weil der Mensch so gerne Daunenjacken trägt, um nicht zu frieren. Da geht es um Schuhkartons, die nach ihrem ersten eigentlichen ganz neue Leben führen, etwa als Aufbewahrungsort für Briefe oder Spielzeug. Da gibt es den typischen Geruch der Umkleidekabine im Schwimmbad. Da gibt es einen weichen Wollteppich, der sich nie erträumt hätte in einem Gedicht vorzukommen und tatsächlich dient er letztlich nur als Metapher. Ein weggeworfener Mantel wird mitgenommen, um ihm das Gnadenbrot zu geben. Doch der Mantel ist Realist und glaubt nicht an ein weiteres Gebrauchtwerden.

Tatsächlich kommen viele Herzformen in ihren Gedichten vor, wie man aufgrund des Titels ahnen konnte: da wird die Herzklappe überprüft oder das Herz macht Sprünge, wird auf der Zunge getragen und stürzt ab wie ein Trapezkünstler, ist aber selbst als Organspende noch wichtig. Auch als Metapher für die Liebe. Es geht um Beziehungen, oft nicht funktionierend und um die daraus resultierende Einsamkeit. Es geht um das Dichterdasein im Allgemeinen wie im Besonderen. Die Sprache wird betrachtet, durchleuchtet und auf links gedreht.

„jede sprache – eine erzwungene reise
niemand sagt wo sie anfing
jede sprache ist übersetzung
jede sprache ist angst
alleine zu bleiben

wo beginnt die einsamkeit
ist sie schon ewig in unseren körper eingeschrieben
die von geburt an versuchen, sie zu vergessen
die seele ist nie allein
aber was soll er tun – der arme körper“

Es gibt viele Liebesgedichte, aber kaum eines, in dem die Liebe gelingt. Es sind sinnliche Gedichte mit viel Körperlichkeit. Mit viel Weiblichkeit. Mit Sehnsucht nach Berührung. Wenn kein Mensch zur Verfügung steht, wird einfach der Wind benutzt, der die Kleidung den Körper berühren und streicheln lässt. Das zeugt auch von einer Unabhängigkeit, die stärkt, von einer Selbstermächtigung als Frau. Ich erlese eine Weichheit und dann wieder eine besondere Härte. Schon als Kind geht es darum geformt zu werden, möglichst einheitlich, ohne Eigenheiten.

„krankenschwestern und passanten
nachbarn, lehrer, verwandte
sie alle sagten etwas über meinen körper
mein verhalten und meine gewohnheiten
brachen mich in stücke, damit ich in ihre schubladen passe
sodass ich bald nicht mehr wusste
wer ich war“

Hapeyeva schreibt alle Gedichte in Kleinbuchstaben. Es sind kritische, mitunter politische Gedichte, sehr klar und direkt in der Botschaft. Aber sie sind auch dem Alltag nah, den kleinen Dingen. Sie sind wenig experimentell, kaum abstrakt, wenngleich manchmal spielerisch. Immer jedoch sind sie menschlich, nah und zugewandt.

Trapezherz erschien im Literaturverlag Droschl. Übersetzt aus dem Belarusischen hat es Matthias Göritz, ebenfalls Lyriker. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar. Eine Leseprobe gibt es hier hier.

Eine kurze Leseprobe der Dichterin:

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