
In der letzten Besprechung zu Heins Roman „Guldenberg“ schrieb ich „Möge der nächste Roman an Spannkraft gewinnen“. Hat er. Im Prinzip ist der neue Roman ein Internatsroman, auch ein Coming of Age-Roman. Es ist aber auch, wie fast immer ein Roman, der sich mit Kapiteln aus der DDR-Geschichte befasst. Er liest sich leicht und fließend, unspektakulär gut, wie viele von Heins Romanen zuvor. Er hat mir einen unterhaltsamen Lesetag beschert.
Die Handlung beginnt 1958 und endet 1961. Das Ende fällt mit dem Mauerbau zusammen, der für die Hauptfigur des Romans, Daniel, auch das Ende seiner Aussicht aufs Abitur und ein Studium bedeutet. Denn Daniel ist Sohn eines Pfarrers im sächsischen Guldenberg. Wie bereits dem älteren Bruder David, wird auch Daniel verboten im Osten eine höhere Schule zu besuchen. Der Vater hat einen in der DDR unliebsamen Beruf. Deshalb wird Daniel, wie auch schon David nach Westberlin in ein Gymnasium geschickt. Untergebracht ist er in einem kirchlichen Heim im Grunewald für ebensolche ostdeutschen Schüler, die in der DDR ausgeschlossen werden.
Hein erzählt nun unterhaltsame Episoden aus der Pennälerzeit. Wie Daniel, sich Geld als Zeitungsverkäufer dazu verdient, sich in der Theatergruppe engagiert, mit den Schulkameraden ins Kino oder ins Theater geht. Wie das Bill Haley-Konzert im Sportpalast für Aufregung sorgt (mir fiel gleich ein, dass ja auch Lutz Seiler in seinem letzten Roman „Stern 111“ Bill Haley eine besondere Rolle zukommen lässt). Wie man auf einen Erweckungsprediger hereinfällt. Die Ostdeutschen sind auch hier im Grunewald wieder die Aussätzigen, wie schon vormals in der DDR. Allerdings können sie in Ostberlin billiger einkaufen und bekommen mit dem Ostberliner Pass Ermäßigungen z. B. fürs Kino.
„Auch jene Eltern, die nicht in einer Villa wohnten, sondern in einfachen Mietwohnungen, betrachteten die Verehrer ihrer Töchter mit Skepsis. Wir galten als Hungerleider aus dem Osten, die aus der Staatskasse finanziert wurden, nichts hatten, nichts konnten und überdies in der Kindheit von einem kommunistischen Staat indoktriniert worden waren.“
Sehr früh erfahren wir, dass Daniel bereits mit 16 an eigenen Theaterstücken schreibt. Ruhe dazu findet er nur, wenn die Freunde aus dem Sechserzimmer im Heim zum Schwimmen am Wannsee sind. Er entdeckt für sich die Vagantenbühne im Westen Berlins und beginnt bei den Proben zuzuschauen, so oft er Zeit findet. Zeitweise bindet man ihn sogar in die Diskussionen zum Stück mit ein. Und mit einer jungen Schauspielerin hat er eine kurze Liebelei.
Als er in den Sommerferien 1961 in Dresden ist, hört er im Radio von den Geschehnissen in Berlin. Er kann sich überhaupt nicht vorstellen, dass es möglich sein soll, Berlin zu teilen. Wie will man da bitte eine Grenze durchziehen, wie das kontrollieren? Leider zeigt sich, dass es machbar ist. Daniel fährt sofort nach Hause. Die Eltern wohnen inzwischen in Ostberlin. Obwohl er und der Bruder das Angebot bekommen, mit einem gefälschten West-Pass weiter ins Gymnasium zu gehen, lehnen beide das ab. Wer weiß, ob sie dann die Familie wiedersehen?
„David und ich gingen jeden Tag einmal an die Grenze. Es gab keinen öffentlichen Widerstand gegen die Abriegelung der Sektorengrenze, keine Demonstrationen, keine lauten, wuterfüllten Proteste, die Berliner schauten den Bauarbeitern zu, die noch immer mit Stacheldraht und stählernen Barrikaden den Zutritt nach Westberlin unmöglich machten und bei dieser Arbeit selbst von bewaffneten Polizisten und Soldaten bewacht wurden.“
Hier wird mir auch selbst noch einmal bewusst, welch ein Wahnsinn damals geschah mit der Teilung zuerst Berlins und dann Deutschlands. Und hier wird mir auch klar, dass das „niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ nur eine von unzähligen Lügen der Machthaber, egal ob in Osten oder Westen, ist. Und wie stark und mutig der Widerstand in der DDR um ´89 gewesen sein muss. Es ist gut und wichtig, dass diese Themen immer und immer wieder in der Literatur zur Sprache kommen.
Letztlich tritt unser Held Daniel eine Ausbildungsstelle an. Nicht wie gewünscht als Tischler, sondern als Buchhändler. Er will nebenher das Abitur an der Abendschule machen, doch auch das wird im verwehrt, da er die „falschen“ Antworten bei einer Befragung gibt. Auch in der Buchhandlung ist seine Stellung brüchig, da er nicht in die FDJ eintreten will. Doch lernt er dort ein Mädchen kennen „und damit begann eine andere Geschichte“, wie Christoph Hein so schön am Schluss schreibt.
Der Roman erschien im Suhrkamp Verlag. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.
Tipp: Mein allerliebster Roman von Christoph Hein ist und bleibt Frau Paula Trousseau. Leuchtet!
Zur letzten Hein-Besprechung: