Lucy Fricke: Die Diplomatin Claassen Verlag

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Auf Lucy Frickes neuen Roman war ich aufgrund des Themas sehr gespannt. Ihr letztes Buch, das sehr gelobt wurde, hatte ich nur angelesen. Doch frühere Romane mochte ich sehr. Die Geschichte einer Diplomatin stellte ich mir hoch interessant vor und hat mich auch gleich anfangs an den sehr empfehlenswerten Roman „Schutzzone“ von Nora Bossong über eine Frau, die bei den Vereinten Nationen arbeitet, erinnert. Beide Romanheldinnen wollen in ihrem Beruf Gutes tun und womöglich damit ein Stück weit „die Welt retten“, was natürlich zum Scheitern verurteilt ist.

„Ich hatte mich für diesen Beruf entschieden, weil ich etwas bewirken wollte. Und jetzt hatte ich eine geschlagenen Stunde über Grillfleisch und Bratwürstchen diskutiert.“

Es geht um Fred, eigentlich Frederica, Ende vierzig und deutsche Botschafterin in Montevideo, einer eigentlich ruhigen, entspannten Stelle, wenn man vorher in Bagdad eingesetzt war. Fred bereitet die Feier zum Tag der deutschen Einheit vor, als sie die Nachricht erhält, dass die Tochter einer deutschen Medienmogulin in Uruguay vermisst wird. Sie leitet die Suche ein, berichtet aber von der mutmaßlichen Entführung zu spät an das Krisenzentrum. Als die junge Frau tot aufgefunden wird, lässt die Mutter ihren Einfluss spielen und rächt sich an Fred. Sie wird nach Istanbul strafversetzt.

Dort trifft sie auf Phillip, den sie aus Bagdad kennt und der inzwischen in Ankara Botschafter ist. Bei einer Party trifft sie auch David wieder, einen deutschen Reporter, der in Uruguay über den Entführungsfall berichten sollte. Bald schon kommt eine neue Aufgabe auf sie zu: Es geht darum einen jungen Mann mit deutschem Pass und kurdischer Abstammung, dessen Mutter Meral, eine regimekritische Künstlerin, in Istanbul im Gefängnis ist, zu unterstützen und letztlich auch zu schützen. Bei der Einreise nahm man ihn fest, bald darf er sich zwar wieder frei im Land bewegen, aber nicht mehr ausreisen.

„Der Vorwurf war immer der gleiche, altbekannte und jederzeit anwendbare: Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Ein Beweis dafür war bis heute ausgeblieben, wahrscheinlich würde er nie kommen.“

Als der Prozess für Meral angesetzt ist, treffen sich alle mit der Rechtsanwältin Elif und bereiten sich auf den entscheidenden Tag vor. Doch es kommt zu einer Vertagung. Dann nimmt die Geschichte enorm an Fahrt auf. Der Journalist David kontaktiert Fred; er arbeitet an einer gefährlichen Sache, auch ihn will man mundtot machen. Merals Sohn versucht über die Grenze zu fliehen, wird aufgegriffen, bekommt erneut Hausarrest. Meral selbst wird auf die Krankenstation eingeliefert. Die Diabetikerin hat eine zu hohe Dosis Insulin bekommen. Suizidversuch oder versuchter Mord? Wochen später kommt es in einer neuen Verhandlung zum Freispruch. Doch auch hier gibt es weitere Komplikationen bei der Freilassung.

„Kann es sein, dass du uns nicht vertraust?“
Meine übliche Flucht in den Plural, in die Funktion, das Amt, die Regierung. Wenn ich wollte, war ich nur ein Land.“

An Fred gehen diese Aufregungen und die stete Gefahr etwas fatal Falsches oder nicht genug zu tun, nicht spurlos vorbei. Sie beginnt an ihrer Aufgabe zu zweifeln, fühlt sich nicht mehr stark genug. Und bricht zum ersten Mal in ihrer Laufbahn die Regeln, sich niemals persönlich involvieren zu lassen. Mithilfe ihrer Haushälterin bereitet sie einen ausgeklügelten Plan zur Flucht aus der Türkei vor …

Lucy Fricke ist hier ein ziemlich kluger Roman gelungen, der genau die Neugier befriedigt hat, die ich vor der Lektüre hatte. Etwas mehr Einblick in die Arbeit einer Diplomatin/Botschafterin zu bekommen, verbunden mit einer perfekt gelungenen spannenden Handlung. Der Roman ergänzte außerdem das, was ich bereits über die Zustände in der Türkei wusste, aus den Medien und natürlich auch aus den Texten der auch sprachlich so großartigen Schriftstellerin Aslı Erdoğan, die ebenfalls in jenem Frauengefängnis inhaftiert war, wie die Meral im Roman und die nach ihrer Freilassung nun in Deutschland im Exil lebt.

Der Roman erschien im Claassen/Ullstein Verlag. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

Ein interessantes Interview mit Lucy Fricke auf dem „Blauen Sofa“ hänge ich hier an:
https://www.zdf.de/kultur/das-blaue-sofa/fricke-blaues-sofa-leipzig-18-03-2022-100.html