Anna Baar: Als ob sie träumend gingen Wallstein Verlag

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Da ist sie wieder, die so ganz eigene Sprache der Anna Baar. Nach ihrem Debütroman „Die Farbe des Granatapfels“, der mir überaus gefallen hat und aus dem sie vor zwei Jahren auch beim Klagenfurter Bachmannwettbewerb gelesen hat, halte ich nun ihren neuen, ein wenig kürzeren, aber nicht weniger intensiven Roman in Händen. Vielleicht geht die österreichische Autorin diesmal sogar noch einen Schritt weiter in der Sprache: sie verdichtet so stark, dass man sich manchmal inmitten von Poesie befindet. Wenn es so etwas gibt, dann ist es ein lyrischer Roman. Doch auch die Geschichte selbst hat es in sich.

„Nur der Hebamme war es gegeben, in die Seele des Kinds zu sehen. An der Schwelle des Lebens, noch vor dem ersten Schrei, hat sie Klee den Finger auf die Lippen gedrückt, damit er die Weisheit der Engel nicht an die Irdischen verriete.“

Da liegt einer im Fieber, der alte Klee, fantasiert im Fieberwahn. Liegt im Klinikbett, meist stumm gemacht, sediert durch Medikamente. Und dazwischen liegen die klaren Augenblicke, die Erinnerungsmomente. Immer präsent ist Lily, die Eine, die Geliebte, die er verließ und verlor. Und dann sind da all die Kriegsszenarien. Wie viele Kriege und Kämpfe kann ein einziger Mensch überleben? Überstehen ohne zu brechen? Klee, Bauernsohn und doch die meiste Zeit Krieger, wenn nicht Krieger, dann auf den Weltmeeren unterwegs. Auf der Flucht. Vor der Ehefrau, die die falsche ist. Und vor der geliebten Frau, die außer in seinen Gedanken, nicht mehr ist. Vor sich selbst.

„Wollte man ihm nahe sein, musste man mit in den Krieg, denn in seine Dunkelheit ließ er sonst keinen ein.“

In Gedanken an die glückliche kindliche Zeit, als der Bruder Malik und Lily und Klee selbst auf der Heimatinsel unzertrennlich waren. Bis die Zeit der Kriege kam. Erst die Italiener, dann die Deutschen und Klee war immer bei den Partisanen dabei – Widerstand gegen die Besetzung der Heimat. Die schlimmsten waren die mit dem Totenkopf an der Uniform. Sie nahmen ihm Lily.
Klee kommt als Kriegsheld aus dem Kampf. Mit Orden geschmückt, im Denkmal der Insel verewigt. Er heiratet, bekommt ein Kind, bekommt Enkel. Glücklich ist er nicht. Etwas frisst ihn von innen auf. Als alter Mann muss er schließlich auch noch die Anfänge des dritten Kriegs miterleben. Kämpfen kann er nicht mehr. Für seine Enkelin(?), die ihm nah ist, bespricht er Tonbänder, erzählt ihr seine Geschichte: „Schreib es auf“.

Meine vorsichtige Vermutung: Es ist die Geschichte des Großvaters der Autorin. Ob das stimmt, weiß ich nicht, aber was zählt, ist, dass solche Geschichten erzählt werden. Und Anna Baar hat sprachlich besondere Literatur daraus gemacht. Mit ihrer oft altmodisch (im besten Sinn) wirkenden Erzählweise, erinnert Klees Geschichte auch an Märchen mit ihren mythischen Bräuchen und Aberglauben. Und Teile davon stammen ja vielleicht tatsächlich noch aus dem Zauberkästchen der Ahnen, aus bewahrten Überlieferungen. Eine Eigenart liegt bei Anna Baars Roman auch in den vielen Auslassungen begründet, die die Leser*innen selbst füllen können/müssen, was ich persönlich sehr bereichernd finde. Eine große Leseempfehlung also an alle, die die Kraft der Sprache zu schätzen wissen … Ein Leuchten!

„Als ob sie träumend gingen“ erschien im Wallstein Verlag. Mehr über die Autorin und eine Leseprobe gibt es hier .

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