Stewart O`Nan: Ocean State Rowohlt Verlag

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Stewart O`Nans neuer Roman Ocean State fügt sich nahtlos in die Reihe seiner vorigen Romane ein. Er ist einer der großen US-amerikanischen Erzähler. Immer lesenwert, dabei unspektakulär, wechselnde Themen, fein konstruiert und kurzweilig erzählt. Ich habe in den letzten Jahren einige seiner Romane gelesen, zwei auch bereits auf dem Blog besprochen. Siehe unten.

Wir befinden uns in der Stadt Westerly, Rhode Island, USA. Die Geschichte dreht sich um einen Mord, der von einer 18jährigen Highschool-Schülerin begangen wird. O`Nan beginnt mit dem Treffen des jungen Liebespaares Birdy und Myles, die eigentlich beide mit einem anderen Partner zusammen sind. Was für Myles wohl nur ein Abenteuer ist, fühlt sich für Birdy wie die große Liebe an. Birdy, eigentlich Beatrix lebt bescheiden mit ihrer alleinerziehenden Mutter, von Myles erfährt man nur, dass er aus einem reicheren Elternhaus kommt. Seine Freundin Angel lebt mit ihrer Mutter Carol und ihrer 13jährigen Schwester Marie, aus deren Perspektive auch die meiste Zeit erzählt wird in einer schlechten Wohngegend. Der eintönige Alltag besteht aus Schule, Arbeit, fernsehen, durchbrochen von wenigen feierlichen Anlässen wie Halloween oder Weihnachten. Die Mutter, die regelmäßig trinkt, bringt immer wieder neue Männer mit, auch Angel ist viel unterwegs. Marie fühlt sich alleingelassen und nicht gesehen. Immer wieder wird sie zur Großmutter abgeschoben. Denn sie ist in der Familie die brave Tochter. Im Gegensatz zu Angel, die wohl öfter über die Stränge schlägt. Aus Frust isst sie zu viel, fühlt sich dabei minderwertig gegenüber ihrer hübschen Schwester Angel.

„Wir fürchteten Dramen, waren aber auch süchtig danach. Weil wir jung waren, hielten wir uns für stark. Wir dachten, wir wären abgehärtet. Wir wollten, dass das Schlimme schnell passierte, damit die schmerzlichen Augenblicke vorüber waren und wir unser normales, langweiliges Leben fortsetzen konnten.“

Der Autor schafft es über mehr als die Hälfte des Buches die Spannung zu steigern, bevor die Tat wirklich begangen wird. Geschickt geht er dabei vor und schildert gekonnt die einzelnen Charaktere, die Abhängigkeiten und die Unsicherheiten der Paare im Collegealter, aber auch die deren Eltern. Man erinnert sich dabei selbst an die eigene Zeit der ersten bedeutungsvollen Liebe und des furchtbaren Liebeskummers. Beim Lesen dachte ich dann oft, wie abgeklärt man die Geschichte jetzt im fortgeschrittenen Alter liest und sich wundert, wie ernst und tragisch das alles damals war, als die Gefühle Achterbahn fuhren.

O`Nan lässt uns Leser nicht erfahren, was und wie genau der Totschlag passiert, erzählt auch wenig über die Phase der Inhaftierung, außer, dass die Tat im Strandhaus von Myles Eltern geschah, welches auch der Treffpunkt der beiden Liebenden war. Die Täterin scheint nach Außen hin kühlen Kopf zu bewahren, so als wäre sie vollkommen unbeteiligt.

„Egal, ob es ein Unfall war oder nicht, sie weiß, dass sie Reue empfinden sollte, doch wenn sie ehrlich ist, muss sie zugeben, dass sie irgendwie wollte, dass das kleine Miststück tot ist. Irgendwas stimmt nicht mit ihr. In ihren schwächsten Momenten schließt sie ihre Tür ab, kniet sich wie ein Kind vors Bett und erfleht die Barmherzigkeit Gottes.“

Tatsächlich blieb mir aus meiner Sicht unerklärlich, wie man eine solche Tat, die in diesem Fall ja im Ansatz geplant war und dann aus dem Ruder lief, begehen kann. Aus beleidigtem Stolz? Aus Nervenkitzel? Was muss passieren, damit man soweit geht? Es erschließt sich mir nicht. Und das sagt auch Marie, die im abschließenden Kapitel rückblickend von den weiteren Geschehnissen und der Zukunft der Protagonisten erzählt. Sie ist die einzige, die weiter im Ort lebt, und als Lehrerin noch lange mit der Geschichte von Außen konfrontiert wird.  Einen Krimi sollte man nicht erwarten, aber eine spannend beleuchtete Milieustudie.

Der Roman erschien im Rowohlt Verlag. Übersetzt hat wie immer Thomas Gunkel. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

Eine weitere Besprechung gibt es bei Letteratura. Ein schönes Interview mit dem Autor gibt es hier.

Zwei weitere Romane des Autors habe ich hier besprochen. Auch „Die Chance“ empfehle ich sehr.

Stewart O`Nan: Stadt der Geheimnisse Rowohlt

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Indiebookday 26. März – Meine Entdeckungen aus unabhängigen Verlagen

Alle Jahre wieder: Heute ist Indiebookday!

Ich habe ein Faible für die unabhängigen Verlage, weil sie große Arbeit leisten und häufig zu ungeahnten Entdeckungen und feiner Lesefreude führen! Am besten ist es, solche Schätze auch in unabhängigen Buchläden zu kaufen … dazu gibt es den Indiebookday!
Hier sind meine diesjährigen Empfehlungen: Dabei sind: Romane, Gedichtbände, Künstlerbücher, eine Graphic Novel, ein Krimi. Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Durch klicken auf die Bilder findet sich der Link zu meiner jeweiligen Besprechung. Viel Spaß beim Stöbern!

Weitere Indiebuch-Tipps aus den letzten Jahren gibt es hier:

Ursula Hasler: Die schiere Wahrheit Limmat Verlag

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Ich bespreche sehr selten Krimis auf meinem Blog. Ich glaube, dies ist das dritte mal und es ist schon eine ungewöhnliche Idee, die die Schweizerin Ursula Hasler da hatte. Sie hat aber viel Erfolg damit, denn ihr Buch stand wiederholt auf der Krimibestenliste des Deutschlandfunk Kultur. Vollkommen zurecht. Ich habe mich von Anfang bis Ende köstlich amüsiert. Das ist bei Krimis sicher eher unüblich, aber es ist eben auch kein Thriller, es gibt kein Blut, keine Gewalt, keine speziellen Fallanalytiker etc. Denn in „Die schiere Wahrheit“ treffen sich die klassischen Krimiautoren Georges Simenon und Friedrich Glauser zufällig in einem französischen Seebad und beginnen gemeinsam eine Kriminalgeschichte zu spinnen …

Wir befinden uns in Frankreich im Badeort Saint-Jean-de-Monts, es ist das Jahr 1937. Simenon hat gerade aufgehört Maigret-Krimis zu schreiben und will sich nun ernsthafter Literatur zuwenden. Der Gutbetuchte ist auf Urlaub, während der Schweizer Krimischreiber Friedrich Glauser einem bekannten Arzt hinterher gereist ist, um ein Rezept für Morphin zu erhalten. Er lebt zu dieser Zeit in Frankreich in prekären Verhältnissen und benötigt die Droge, um endlich seine begonnenen Wachtmeister Studer-Romane zu Ende schreiben zu können, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Vom Arzt erhält er dort zwar kein Rezept, aber er stellt ihm Simenon vor, dessen Schreiben er bewundert. Hasler erzählt von der Begegnung und von den Gesprächen über das Schreiben. Und sie lässt die beiden während des Spazierens am Meer einen gemeinsamen Krimi ausdenken.

In abwechselnden Kapiteln erleben wir nun die Begegnung der Autoren und die Geschichte, die sie erfinden. Die zwei Erzählstränge sind jeweils auch andersfarbig unterlegt. Es ist ein Vergnügen den beiden zu folgen, denn beide sind sich fast einig darüber, wie man einen guten Krimi schreibt und trotz beider großen Unterschiede in der Herangehensweise und ihren Eigenheiten folgt man der erfundenen Geschichte gespannt und vermischt in Gedanken mitunter sogar Wirklichkeit mit Erfindung. Da der Roman 1937 spielt, gibt es noch sehr altmodisch anmutende Polizeiarbeit, eben echte handwerkliche Ermittlerarbeit.

„Monsieur Simenon, für mich stellt sich nicht die Frage, muss man selbst erlebt haben, worüber man schreibt, sondern vielmehr: Genügt es, etwas erlebt zu haben, um darüber zu schreiben?
Dadurch, dass man einiges erlebt hat, vielleicht Schweres, wird man noch kein Hamsun. Das Schwierigste bleibt noch zu tun: das Erlebte gestalten. Das Erlebte darf nicht einfach abgeschildert werden, es muss geformt werden.“

Wachtmeister Studer wird beauftragt einem jungen französischen Kollegen zu helfen den Tod eines hochgestellten Amerika-Schweizers in jenem Strandbad aufzuklären, bei dem man noch nicht weiß, ob es Mord war. Studer reist mit Frau Hedy in den Badeort. Dort agiert bereits Inspektor Laurent Picot, dessen Tante Amelie zufällig vor Ort Urlaub macht und sich kräftig in die Aufklärung einmischt, da sie selbst dem Toten am Abend zuvor begegnet war und als Krankenschwester einiges an Wissen hinzutragen kann. Durch Befragungen und Achten auf die Zwischentöne und das Verhalten der Beteiligten mit einer trefflichen Kombinationsgabe lösen am Ende Amelie und Studer zusammen den Fall, bei dem es, wie so oft schwierig ist Recht und Gerechtigkeit zu unterscheiden. Ein Fall, der anfangs ganz anders aussah und am Ende weit in der Vergangenheit seine Ursache fand.

„Glauser winkt ab, dass Recht und Gerechtigkeit zwei verschiedene Schuhe sind, die kein Paar ergeben, wisse er. Ihn beschäftigt vielmehr, ob der Kommissar in einem Kriminalroman immer das Recht anwenden muss, mit den Zähnen knirschend und über seinen Schatten springend, auch wenn er es ungerecht findet? Dürfte er beispielsweise der Gerechtigkeit helfen und nicht dem Recht?“

Hasler schreibt diese klassische Kriminalgeschichte in urigem der Zeit gemäßen Ton und ich habe mich besonders an den speziellen Schweizer/Berner Begriffen erfreut; da gibt es Worte wie „Gopfridstutz“ und „Töff“. Dass Wachtmeister Studer ohne seine Brissago Zigarillos aufgeschmissen ist und Amelie sich mit Studers Frau am Strand beim Stricken gegenseitig über die eigentlich jeweils geheimen Informationen zum Fall austauschen, macht die Protagonisten schon sehr sympathisch.

Hasler schildert den Badeort, den es tatsächlich gibt, sehr bildhaft und bunt. Sie hat zu diesem Ort viel recherchiert, um auch die Wege der Handlung und die Atmosphäre, in der die Sommergäste verweilen, gut nachvollziehbar zu machen und auch sprachlich trifft sie den Ton dieser Zeit. Der Ort war zeitweise auch Künstlerkolonie und von einem dieser Maler, René Levrel, stammt auch das einladende Gemälde auf dem Buchumschlag. Simenon und Glauser hätten sich in dieser Zeit dort treffen können, tatsächlich sind sie sich aber nie begegnet.

Ich habe von Glauser „Matto regiert“ gelesen, der genau im Jahr 1937 entstanden ist und der Glausers persönliche Erlebnisse in einer psychiatrischen Anstalt mit in einen Mordfall einbezieht. Das Buch kann ich sehr empfehlen. „Die grünen Fensterläden“ von Simenon ist kein Maigret-Fall, aber hochinteressante Literatur, in dem ein sehr bekannter Schauspieler aufgrund einer Krankheit über sein Leben nachsinnt.

Das Buch enthält ein kurzes Nachwort, indem auch auf die jeweiligen Biographien eingegangen wird, die besonders bei Glauser sehr unruhig war. „Die schiere Wahrheit“ ist ein richtiges Sommerbuch, dass im Winter besonders gut tut. Es erschien im Limmat Verlag. Eine Leseprobe gibt es hier.

Meine beiden weiteren Krimibesprechungen auf dem Blog:

Amanda Cross: Die letzte Analyse / Der James Joyce-Mord Dörlemann Verlag

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Als ich im Winter das Frühjahrsprogramm des Dörlemann Verlags durchsah, war ich freudig überrascht. Der Verlag hatte seinen ersten Krimi im Programm. Normalerweise lese ich keine Krimis mehr, aber hier kamen dann die Erinnerungen an eine Zeit, in der ich viele Krimireihen las, immer auf den neuen Band wartend. Dabei waren auch die Krimis von Amanda Cross, die ich sehr liebte, die damals bei dtv erschienen. Glücklicherweise ist diese Lesephase so lange her, dass ich mich nur noch vage an die einzelnen Fälle erinnere. Und so war auch die erneute Lektüre ein spannendes Lesevergnügen.

Amanda Cross, alias Carolyn Gold Heilbrun, geboren 1926 in New Jersey, USA, lebte in New York, wo ihre Kriminalromane auch spielen. Cross war Schriftstellerin und Frauenrechtlerin und ihre Heldin Kate Fansler ist Literaturprofessorin, die zufällig in Morde verwickelt wird und sich dann an deren Aufklärung beteiligt. Dabei nutzt sie häufig ihren gesunden Menschenverstand und ihre Literaturkenntnisse. Die Protagonistin ist emanzipiert, lebt allein, hat lose Liebesbeziehungen und sich vollkommen ihrem Beruf verschrieben. Unter dem Titel „Gefährliche Praxis“ erschien der erste Roman bereits 1964, der zweite dann 1967. Insgesamt sind es 12 Romane, die in deutscher Sprache erschienen. Schön, dass sie nun wieder entdeckt werden können. Man darf hier aber keine groben, blutigen Psychothriller erwarten, sondern kluge Detektivgeschichten, die mit witzigen Dialogen gespickt sind. Zudem spiegeln sie den Charakter der Zeit, in der sie geschrieben wurden. Dazu zählen auch Ermittlungen, die noch ohne Mobiltelefone, GPS, moderne Spurensicherung gemacht werden mussten. Das macht sie in meinen Augen gerade sehr charmant und lesenswert. 

„Am Montagmorgen um zehn Uhr hielt Kate eine Vorlesung über Middlemarch. Hatte überhaupt etwas eine Bedeutung neben der Tatsache, dass die Fantasie Welten wie Middlemarch erschaffen konnte, diese Welten zu verstehen und die Strukturen, auf die sie sich stützten?“

In „Die letzte Analyse“ empfiehlt Kate Fansler einer ihrer Studentinnen auf Nachfrage einen Psychoanalytiker. Emanuel Bauer kennt Kate sehr gut, denn sie hatten einmal eine Liebesbeziehung. Kurze Zeit später wird die Studentin Janet Harrison auf Emanuels Coach erdolcht aufgefunden. Sofort gilt Emanuel als Hauptverdächtiger, was für Kate natürlich undenkbar ist. Die Indizien sprechen für sich. Emanuel hat kein belegbares Alibi und die Tatwaffe war aus seiner Küche. Mithilfe eines befreundeten Staatsanwalt beginnt sie in dem Mordfall zu recherchieren und mitunter mit unkonventionellen Methoden, die Staatsanwalt Reed so gar nicht gefallen. Obgleich es zunächst aussichtslos aussieht und Kate selbst sogar auch verdächtigt wird, findet Kate, teils mithilfe der Literatur, dann doch Beweise, die auf den Mörder hinweisen …

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„Wie es jetzt ist, können wir zusammen sein, wenn wir Lust dazu haben, und so bist du mir lieber, nicht angebunden und sorgenvoll. Einfach nur Reed; nicht mein Mann, mein Haus, meine Vorhänge – lieber zwei Kreise, wie Rilke sagt, die einander berühren“

In „Der James Joyce-Mord“ verbringt die Literaturprofessorin Kate Fansler einige Zeit auf dem Land in den Berkshires Mountains in Massachusetts. Sie soll dort mit einem ihrer Doktoranden den Nachlass eines mit James Joyce befreundeten Verlegers sichten. Begleitet wird sie von ihrem Neffen und dessen Betreuer. Dazu gesellen sich noch zwei weitere Literaturprofessorinnen und natürlich kommt auch Staatsanwalt Reed zu Besuch. Das Leben auf dem Land birgt für die Städter besondere Herausforderungen wie etwa Kuhfladen und neugierige Dorfbewohner. Als jedoch eine unbeliebte Nachbarin mit einem Gewehr, dass eigentlich nicht geladen sein sollte, versehentlich erschossen wird, finden sich Kate und Reed erneut inmitten von Mordermittlungen. Nach und nach erfahren wir, was die Tat mit den James Joyce-Briefen zu tun hat und wer der Mörder war …

Hochinteressant sind diese Krimis auch in heutiger Zeit. Im ersten Band etwa zeigt sich, dass in den 70er Jahren die klassische Psychoanalyse nach Freud in den USA der absolute Renner war. Im zweiten Band geht es häufig in Gesprächen um den Stellenwert von Sex, innerhalb und außerhalb von festen Partnerschaften. Hier zeigt sich dann auch, wie viel sich in Sachen Emanzipation der Frau bis heute getan hat. Damals war es noch die Ausnahme, dass Frauen alleine und selbstbestimmt lebten und Kate Fansler ist ein perfektes Beispiel dafür, obgleich auch sie noch in Mustern denkt, über die wir heute mit dem Kopf schütteln können, zum Glück! 

Ich empfehle die Kate Fansler-Krimis sehr, gerade auch unter dem Aspekt „Frauen lesen“. Zudem sind die Cover auch schön passend gestaltet. Die Übersetzung ist noch die der alten Ausgaben (sehr oldschool) von Monika Blaich und Klaus Kamberger.  Auf der Verlagsseite des Dörlemann Verlag gibt es Leseproben. 

Sadie Jones: Die Skrupellosen Penguin Verlag

Sadie Jones ist meines Wissens noch nicht so bekannt im deutschsprachigen Raum. Ich habe sie entdeckt durch den schönen Roman „Jahre wie diese“, der im Schauspielmilieu in London spielt. Die 1967 geborene Britin, die auch Drehbuchautorin ist, schreibt Romane, die zwar nicht hochliterarisch sind, aber in die Tiefe der jeweiligen Themen eintauchen und absolut mitreißend erzählt sind. Also durchaus mehr als gute Unterhaltung. Diesmal sogar mit Elementen eines Kriminalromans.

Im neuen Roman geht es um das junge Paar Bea und Dan, die in London leben. Eine Eigentumswohnung muss abbezahlt werden. Dan, der eigentlich Künstler sein will, verdient sein Geld als Immobilienmakler, Bea ist Psychotherapeutin. Gleich eingangs wird klar, dass die beiden sehr sparsam leben müssen, denn das Leben in London ist teuer. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft, führen sie eine liebevolle Beziehung. Als beide vom Leben und Arbeiten frustriert sind, beschließen sie eine Auszeit zu nehmen. Vom finanziellen „Polster“ und von der Vermietung ihrer Wohnung wollen sie drei Monate lang durch Europa reisen. Ein altes Auto wird gekauft und die erste Station ist Frankreich, wo Beas Bruder Alex ein Hotel leitet.

Alex scheint es endlich geschafft zu haben, Drogen und Alkoholmissbrauch hinter sich gelassen zu haben. Doch als sie ankommen entpuppt sich das Hotel als Luftnummer. Es gibt keine Gäste außer ihnen selbst, vieles ist marode und Alex scheint sich dennoch dort wohl zu fühlen. Im Gespräch erfahren Dan und Bea, dass der durch allerlei illustre Immobilienspekulationen extrem reich gewordene Vater von Bea das Hotel für Alex gekauft hat. Dan, der kaum etwas von Beas Familie weiß, da Bea keinen Kontakt zu den Eltern hat, wundert sich immer mehr. Sie versuchen die freien Tage zu genießen, doch irgendwie schwebt Unheil in der Atmosphäre. Als schließlich auch die Eltern mit teurem Auto auftauchen, nicht wie sonst mit dem Privatjet (!), fragt sich Dan, wieso er nichts über den immensen Reichtum seiner Schwiegereltern weiß und weshalb Bea nicht die immer wieder angebotene Unterstützung ihres Vaters annimmt. Sie hätten damit ein so viel leichteres Leben.

„Dan dachte, dass er sie gerade zum ersten Mal in einer solchen Umgebung sah, und es verstörte ihn, mit welcher Sicherheit sie sich in diesem Habitat bewegte. Nur ein Mädchen, das mit dem goldenen Löffel im Mund geboren war, würde ihre Missachtung für den Luxus demonstrieren, indem sie etwas bestellte, was gar nicht auf der Karte stand.“

Doch für Bea ist es ein rotes Tuch, etwas von den Eltern anzunehmen. Sie hat ihre Gründe. Nach und nach bekommen wir Einblick in das merkwürdige Familienkonstrukt, dass von einem dominierenden Vater beherrscht wird, der über den dunkelhäutigen Schwiegersohn so gar nicht froh ist. Wir tauchen in die Kindheit der Geschwister, zu denen noch ein älterer Bruder gehört, der es im Gegensatz zu Alex „geschafft“ hat. Doch die, die Bea mit aller Macht von sich schiebt, ist die Mutter. Als Kind hat sie die Mutter zusammen mit dem 7 Jahre älteren Bruder gesehen, in einer übergriffigen Situation …

„Schwarze waren in den vergangenen Jahren hochgestuft worden, denn jetzt hatten sie noch ausländischere Ausländer mit Akzenten und Religionen, vor denen sie sich fürchten konnten.“

Es herrscht statt Urlaubsfeeling eine extreme unangenehme Spannung zwischen allen. Als Alex eines Abends losfährt, um für den Vater etwas zu erledigen, kommt er nicht mehr zurück. Dafür taucht die Polizei auf, die ihnen mitteilt, dass Alex einen tödlichen Unfall hatte. Die Erschütterung ist groß, bei der Mutter extrem. Vor allem als langsam klar wird, dass Alex vermeintlicher Unfall ein Mord war.

Es folgt eine äußerst spannende, bestens gelungene Geschichte, in der sich sichtlich Abgründe dieser Familie auftun. Und Dan als eine Art Außenstehender kommt aus dem Fragen nicht mehr heraus. Die Beziehung der beiden leidet unter den Geschehnissen. Kann man sich noch gegenseitig vertrauen? Kennt man einander wirklich? Und inwiefern ist Beas Vater, der den Sohn mit einem Auftrag losschickte mit Schuld an den Ereignissen?

Psychologisch interessant und erwähnenswert ist noch das Motiv der Schlange, das immer wieder auftaucht, in Beas Träumen und in echt. Das englische Original übernimmt das Motiv sogar in den Titel: The Snakes.

Mehr verrate ich nicht vom Inhalt, denn es würde dem Lesen die Spannung nehmen. Neugierig gemacht habe ich hoffentlich auf diesen gut konstruierten Roman, der mit feiner Gesellschaftskritik und einem für mich überraschenden, wenngleich heftigem Ende aufwartet. Einige wenige Male begegneten mir sprachliche Unfeinheiten, die vielleicht der Übersetzung geschuldet sind.

„Die Skrupellosen“ erschien im Penguin Verlag. Übersetzt wurde es von Wibke Kuhn. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

Hinweis: Der Umstand, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, hat keinerlei Auswirkung auf meine Wahrnehmung und Rezension des Buches.

Stephen Uhly: Finsternis Secession Verlag

Stephen Uhly ist ein höchst interessanter Erzähler. Seine Stories könnten verschiedener nicht sein, und sie überraschen immer. Sein letzter Roman „Den blinden Göttern“ hat mir auch vor allem wegen des Themas Lyrik gefallen, aber eben auch weil er so abgedreht ist. Dem steht „Finsternis“ in nichts nach. Obgleich der neue Roman als eine Art Krimi angelegt ist, zudem mit einem Thema, das ich durchaus heikel finde, bin ich in kürzester Zeit in dieser spannenden Story verschwunden. Die 200 Seiten habe ich an einem einzigen Tag absolviert.

Man darf über den Inhalt eigentlich gar nicht viel verraten, weil sonst die Spannung wegfällt, die die Geschichte trägt. Also relativ kurz diesmal:

Schauplatz Berlin: Der junge Kriminalbeamte Abid Malik wird zu einem Tatort gerufen. Eine weibliche Leiche um die 60 wurde auf einer Trage auf einer Brachfläche in einem belebten Berliner Kiez abgestellt. Mit seinem erfahrenen älteren Kollegen und Freund Jan West arbeitet er an der Aufklärung des Falles. Was man schnell herausfindet, ist, dass die Tote in der BDSM-Szene unterwegs war. Das stellt die Pathologie anhand des Zustand des Körpers fest. Was man nicht herausfindet, ist die Identität der Toten. Die beiden Ermittler versuchen den wenigen Hinweisen, die sie haben nachzugehen, kommen jedoch nicht weiter. Als Jan ein anonymes Video zugeschickt bekommt, nimmt die Geschichte eine hochspannende Wende. Jan und Abid beginnen ab nun in einer geheimen „Mission“ alleine weiter zu ermitteln, die wahrhaftig in die Finsternis führt.

Kripo-Chef Ballmann fällt währenddessen die zunehmende Unruhe und Abwesenheit Abid Maliks auf und er schickt ihn zu einer Polizei-Psychologin. Das Buch beginnt mit der ersten Sitzung der beiden und so erfährt die Leserin nach und nach in 12 Gesprächen die unheimliche Geschichte der versuchten Aufklärung der Tat, die Abid extrem zusetzt und die er sichtlich schlecht verarbeiten kann. Dabei gelingt es Uhly sehr geschickt, die inneren Zerwürfnisse und Selbstzweifel Abids aufzuzeigen. Er, der anfangs ein souveräner von seiner Arbeit und deren Sinn vollkommen überzeugter Kriminalbeamter war, hinterfragt seine Tätigkeit.

„Wenn ich als Polizist anfange, das Verhalten der Bürger zu beurteilen, hebe ich de facto die Gewaltenteilung auf. Ich mache mich zum Richter. Der Staat funktioniert aber nur, solange die Exekutive nicht damit beginnt, die Kompetenzen der Judikative auszuüben. Das erfordert Disziplin. Dafür wurden wir ausgebildet.“

Unter seiner ausufernden Arbeit leidet auch seine Frau und die beiden Kinder. Jan gegenüber zeigt er absolute Loyalität, auch als dieser die Grenzen seiner Zuständigkeit als Beamter schließlich überschreitet. Seiner Frau gegenüber bleibt er verschlossen. Die Psychologin Dr. Roth kann ihn zunächst durchaus unterstützen, bleibt aber im Verlauf von Abids Erzählung nicht unberührt. Ohne Supervision und mit eigenen Problemen belastet, gerät sie selbst an die Grenzen der Professionalität und unterläuft schließlich das Berufsethos.

Uhly gelingt es in dieser abgedrehten Geschichte in teils bizarrer Szenerie wichtige philosophische Fragen einzubinden: Wie frei sind wir wirklich? Was bedeutet Freiheit für jeden Einzelnen? Was bedeutet absolute Loyalität?

„Als du Polizist wurdest, unterschriebst du deinen Vertrag, mit dem du deine Macht zugunsten der Staatsgewalt aufgabst. Seitdem handelst du nicht als Jan West, sondern als Staatsdiener, nicht wahr? Aber wer ist Jan West, der Staatsdiener? Jan West, der Staatsdiener, ist ein Unfreier, der in der Lage ist, seine Unfreiheit aufzugeben und gegen eine andere Unfreiheit einzutauschen. Darin besteht deine einzige Freiheit.“

Ob das Ende dann am Ende tatsächlich so war, hinterfragt der Autor durch seinen Helden Malik und bietet Varianten des Möglichen an.

Der Roman erschien im Secession Verlag. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.
Besonders erwähnenswert finde ich bei Büchern aus dem Secession Verlag immer die ästhetische Aufmachung. Hier findet sich echter Leineneinband, Lesebändchen, Fadenheftung und Druck auf hochwertigem feinem Papier, dass beim Umblättern ein haptischer Genuss ist. Auch Satz und Schrift heben sich frisch und besonders ab.

Hinweis: Der Umstand, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, hat keinerlei Auswirkung auf meine Wahrnehmung und Rezension des Buches.

 

Frank Heller: Die Diagnosen des Dr. Zimmertür Walde + Graf Verlag

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Ich lese ja keine Krimis. Doch das hat mich schon interessiert: Eine außergewöhnlich schöne Gestaltung für einen Krimi und ein jüdischer Psychoanalytiker als „Ermittler“. Und solche Wiederentdeckungen ehemals bekannter Autoren finde ich spannend.

„Der Kellner holte den Absinth und servierte dann einem Herrn mit gelbem Teint, der sich in der Ecke gegenüber niedergelassen hatte, einem kleinen, prallen Mann mit Vollmondgesicht, funkelnden schwarzen Augen und unverkennbar levantinischem Typus.“

Dr. Zimmertür ist eine Mischung aus Hercule Poirot, Maigret, Richter Di und Columbo. Er lebt in Amsterdam und hat dort eine Praxis für Psychoanalyse. Es sind mehrere kurze Fälle im Buch, die von Zimmertür so richtig oldschool gelöst werden. Also mit Köpfchen, Intuition und Menschenkenntnis und es geht auch nicht um blutrünstige Morde und psychopathische Killer. Die Geschichten sind spannend, aber vor allem amüsant. Dabei kommt vom Wünschelruten gehen bis zu Baudelaire-Gedichten, die Zimmertür zitieren kann, so allerhand vor. Manchmal braucht es Shakespeare-Stücke, um einen Fall zu lösen, manchmal sind die Träume seiner Patienten der Schlüssel. Oft hilft er seinem Freund, dem Kommissar Groot, mit dem er auch gerne einen Bitter trinken geht.

„Er konstatierte, dass, wenn nichts so angenehm ist, als im dunkeln gehenkt zu werden, es jedenfalls auch recht unangenehm ist, im Dunkeln von Personen, die vermutlich für die erwähnte Todesart reif sind, hin und her geschleudert zu werden.“

Frank Heller, eigentlich Martin Gunnar Serner, wurde 1868 in Südschweden geboren. Er war einer der ersten skandinavischen Kriminalschriftsteller. Der Autor, der diese skurrile Figur erschuf, ist kaum mehr bekannt. Damals jedoch, hatte er die besten Voraussetzungen einen guten Krimi zu schreiben, da er selbst wegen Betrugs verfolgt wurde. Er konnte außer Landes fliehen und verspielte sein Geld in Monte Carlo. Über seine eigene Geschichte schrieb er und sie wurde sogar verfilmt. In der Weimarer Republik hatte er sehr viele treue Leser. Zitat Tucholsky: „Gegen Angstzustände gibt es nur unsere Original-Heller-Kriminalromane! Regenfeste Ironie! Dauerhafte Spannung!“

Das Buch erschien im Verlag Walde + Graf. Übersetzt hat es Marie Franzos, die zu ihrer Zeit eine der produktivsten Übersetzerin vom Dänischen, Schwedischen und Norwegischen ins Deutsche war.
Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.