Einen Tag nach der Eröffnung, musste die Ausstellung von Yayoi Kusama im Gropius Bau Berlin aufgrund der Corona-Massnahmen schon wieder schließen. Sobald es wieder möglich war, mehr als einen Monat später, buchte ich mir sofort ein Ticket und die Ausstellung übertraf deutlich meine Erwartungen. Denn es ist eben nicht dasselbe eine Ausstellung online zu sehen oder den realen Kunstwerken gegenüberzustehen, mit denen man gerade in dieser Ausstellung direkt in Kontakt treten kann. Die Ausstellung läuft noch bis zum 15.8.
Als ich bei Fräulein Julias Kulturjournal sah, dass es eine Graphic Novel über Kusama gibt, war ich erfreut. Wie meine Blogleser*innen ja wissen, bespreche ich hier auch immer wieder Graphic Novels, auch aus persönlichem Interesse als selbst Malende (so entstand gleich nach dem Besuch der Ausstellung auch unten stehendes Bild mit Tusche und Aquarellkreide). Außerdem gibt es ein 1000-Teile-Puzzle, welches ich bisher noch nicht in Angriff genommen habe.
Eingangs finden sich einige Seiten Text zur Einführung in die Lebens- und Künstlerinnenwelt von Kusama. Interessant scheint mir hierbei die Prägung durch östliche und westliche kulturelle Traditionen. Dann tauchen wir in die Bilder ein. Dass die rote Farbe am dominantesten ist, ergibt sich aus den künstlerischen Arbeiten. Am bekanntesten sind wohl die Polka-Dots. Eine Art Türkis, ein beinahe fliederfarbenes Violett und Schwarz ergänzen das Rot. Die Aufteilung der Bilder und Textanteile scheint mir gelungen über Kusamas Lebenszeit verteilt und ein stimmiges biographisches Abbild zu zeichnen. Es beginnt 1939 in Matsumoto, Japan, wo Kusama mit den Eltern lebt. In der Natur hat sie bereits als Kind Erlebnisse, die auf besondere Bewusstseinszustände hinweisen: Pflanzen und Tiere sprechen mit ihr. Ihre Verarbeitung des Erlebten ist das Malen.
1958 lebt Kusama in New York. Sie arbeitet dort als Künstlerin. In Kyoto hatte sie Kunst studiert. Als sie einen Kunstband von Georgie O`Keeffe entdeckte, empfand sie eine tiefe Verbindung. Sie schrieb der Künstlerin und diese will ihr in New York helfen. Es dauerte dann noch lange bis sie ihre Eltern überzeugte, aufbrechen zu dürfen. Dort hat sie immer wieder Halluzinationen, Angstattacken, psychosomatische Körperbeschwerden, erhält schließlich die Diagnose Depersonalisation. Dennoch geht sie mit großer Kraft an ihre Kunstwerke, hat erste Ausstellungen, organisiert Happenings und Performances, hat einige wenige Erfolge in den 60er und 70er Jahren, begegnet Warhol und Dali. Ihre Kunst passt perfekt in diese wilde Zeit, sie erschüttert und rüttelt auf und bricht verkrustete Konventionen auf, bewirkt Veränderungen der Wahrnehmung auf Kunst, gerade auch zum Thema Gleichberechtigung und Sexualität. Umso erstaunlicher, da sie selbst keine Sexualität lebt, (vielleicht deshalb in ihrer Kunst ausdrückt: immer wieder auftretendes Motiv ist der Phallus) und eine platonische Beziehung zu einem viel älteren Mann führt.
1975 ist sie wieder in Japan und in Tokio in psychiatrischer Behandlung. 1977 entschließt sie sich ganz in einer psychiatrischen Klinik zu leben, ist aber auch dort künstlerisch enorm produktiv. Für sie scheint Kunst eine wichtige Ausdrucksform, ja ein Ventil zu sein, sie findet darin Stabilisierung ihrer Seele. Erst 1987 hat sie ihre erste Retrospektive in Japan. 1989 entdeckt man sie in den USA neu und sie stellt 1993 auf der Biennale in Venedig aus. 2017 eröffnete sie ihr eigenes Museum in Tokio. Sie malte bis heute großformatige bunte Bilder, die jedes für sich, ganze Welten darstellen. Selten hat mich in letzter Zeit eine Künstlerin so enorm beeindrucken können. Ein Leuchten für Kunst und Buch!
Die Graphic Novel und das Puzzle erschienen im Laurence King Verlag. Aus dem Englischen übersetzt hat es Juliane Lochner. Die italienische Originalausgabe gestaltete Elisa Macellari ganz wunderbar und vollkommen stimmig zu Kusamas Kunst. Illustrationen und Text überzeugen. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.