Was es doch immer wieder für schöne Überraschungen gibt, wenn man sich von einer Empfehlung leiten lässt (Danke Judith!). Eine reiche Auswahl an Büchern zum Messe-Gastland Norwegen ist schon bei mir eingetroffen. Und nun dies. Ida Hegazi Høyers Roman „Trost“ wäre mir nicht aufgefallen. Zumal ich mit vielen Liebes- und Beziehungsgeschichten in Romanen so meine Probleme habe. Hier aber bin ich auf eine Meisterin der menschlichen Paarbeziehungen im Roman getroffen. Die Autorin hat eine scharfe Beobachtungsgabe, sonst könnte sie nicht in dieser auch sprachlich überragenden Art darüber schreiben. Ich bin überrascht und beeindruckt.
Høyer schickt ihre namenlose Heldin in drei verschiedene europäische Städte und lässt sie auf Menschen treffen, die bereit sind ihr nahe zu kommen. Episodenhaft mit offenem Ende erzählt sie. Da ist zuerst ein Mann in Lissabon. Sie steckt ihm ihre Telefonnummer zu, er meldet sich, sie verabreden sich. Großartig, wie die Autorin dann den üblichen Verlauf einer solchen ersten Begegnung schildert. In aller Direktheit deckt sie auf, was sonst im Verborgenen abläuft, in den Köpfen der beiden sich Fremden. Die Heldin ist nicht bedürftig, sie braucht keinen Partner und so ist es zunächst mehr ein Spiel, in das sie sich jedoch, obwohl sie selbst nicht versteht warum, noch weiter hinein begibt, als ihr womöglich gut tut.
„Erschreckend selten hat sie jemanden getroffen, mit dem zusammen zu sein sie nicht ermüdete. Noch erschreckender: Es hat sich gezeigt, dass sie mit den wenigen, mit denen sie es ausgehalten hat, trotzdem nicht lange zusammen geblieben ist. Und weiter? Sie kann genauso gut hier Seite an Seite mit diesem Fremden gehen, wie sie es sein lassen kann.“
In Berlin trifft unsere Heldin auf Kimmy, eine junge farbige Frau aus Südafrika, die in einer Kleiderkammer Spenden an Geflüchtete verteilt. Hier erfahren wir, dass sie Journalistin ist und über eine Fluchtgeschichte schreiben will. Beide sind gleich voneinander fasziniert. Unsere Heldin, von Kimmy Tiger genannt, lässt sich zunächst sehr schnell auf diese Nähe ein, zieht sogar bei ihr ein, obwohl es die erste Beziehung zu einer Frau ist. Doch Kimmy sucht Intimität, Tiger ist diese suspekt. In ihrer Unruhe wendet sie sich wieder einem Mann zu …
Nächster Halt ist Brüssel. Hier lernt die Protagonistin schon am ersten Abend einen jungen Mann kennen. Tatsächlich scheint hier mit ihm am ehesten die Möglichkeit, so etwas wie Glück und Harmonie zu finden. Doch wie fragil alles ist! Eine einzige kurze Szene, eine kleine Unstimmigkeit und wieder ist da erneut die Einsamkeit. Der gesuchte Trost bleibt Illusion.
„Guten Morgen, sagt der Mann neben ihr. In einer anderen Sprache natürlich. Alle leiden unter anderen Sprachen. Dobro jutro?“
Ida Hegazi Høyer schreibt ohne Hemmungen, sehr direkt und sprachlich gekonnt über Sex, Erotik und Liebe(?) in verschiedenen Spielarten. Gleichzeitig zeigt sie die Sprachlosigkeit von Paaren auf, ihre Unverbindlichkeit und die Angst vor Intimität, das einander Fremdsein trotz körperlicher Nähe. Ihre Paare wählen die Beliebigkeit, die Austauschbarkeit, die in unserer Zeit und globalen Welt ja irgendwie angesagt zu sein scheint, einer Welt, in der Mobilität und Flexibilität auch in Paarbeziehungen ihren Tribut fordern. Ihre äußerlich starken Figuren scheinen sich selbst oft fremd, nirgends zuhause, voller unerfüllter Sehnsucht.
„Das Reisen ist ein Teil der Arbeit. Die Arbeit erfordert eine Abfolge von unverbindlichen Aufenthalten, wurzellose Häuslichkeiten, Beziehungen, aber nie Erwartungen. Vergnügen vielleicht, aber nie Verderben.“
Der Roman „Trost“ erschien im Residenz Verlag. Er wurde übersetzt von Alexander Sitzmann. Eine Leseprobe und mehr über die 1981 auf den Lofoten geborene Autorin gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.
Hinweis: Der Umstand, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, hat keinerlei Auswirkung auf meine Wahrnehmung und Rezension des Buches.