
Nach „Im Frühling sterben“ und „Der Gott jenes Sommers“, beide hier auf dem Blog besprochen, folgt der letzte Teil der Trilogie, deren Bände auch gut einzeln gelesen werden können. Jeder ist in sich abgeschlossen. Trotzdem war ich gespannt, wie die Geschichte ihren Abschluss findet. Aus Gründen habe ich mir die Geschichte wieder vorlesen lassen.
Die Geschichte ist in zwei Stränge aufgeteilt, die auch von zwei Sprechern interpretiert werden. Abwechselnd hören wir von einem jungen Mädchen auf der Flucht vor den Russen nach Nordwesten gegen Ende des zweiten Weltkriegs. Diesen Strang liest Markus Hoffmann (mitunter etwas pathetisch). Den zweiten Strang, in dem die Geschichte von Elisabeth und Walter, die schon Hauptfiguren in den beiden vorigen Büchern waren, weitergeführt wird, liest Nina Petry. Ihre Stimme, die auch manchmal den norddeutschen Tonfall trifft, passt ganz wunderbar und gefällt mir auch besser als die männliche.
Der Titel des Romans Die Nacht unterm Schnee passt zur Fluchtgeschichte, die tatsächlich im Winter unter schwersten, grausamen Bedingungen stattfindet. Sie ist in die eigentliche Geschichte in kurzen Zwischenepisoden eingefügt. Tatsächlich hätte ich lieber auf die genauen Schilderungen der sexuellen Gewalt verzichtet, so dass ich auch zum allerersten Mal für ein Buch eine Triggerwarnung ausspreche.
In der eigentlichen Geschichte, die rückblickend von Luisa erzählt wird, die wir aus dem letzten Roman kennen, begegnen wir Elisabeth, Liesel, wieder, die im Kieler Hafen in der Gaststätte von Luisas Eltern arbeitet. Luisas Vater lebt nicht mehr und die Mutter stellt Elisabeth schließlich sogar als Geschäftsführerin ein, weil sie so gut in ihrer Arbeit und so beliebt ist. Liesel ist mit Walter verlobt, der nördlich von Kiel auf einem Hof als Melker arbeitet, wie vor dem Krieg. Sie ist scheinbar kein Kind von Traurigkeit zumindest sieht es von außen so aus. Nach einem Suizidversuch, der für alle überraschend kommt, zieht sie zu Walter auf das Gut und bekommt ein Kind. Die Arbeit ist hart und oft sehnt sie sich nach der Stadt.
Nebenbei erfahren wir von Luisas Abitur, den ersten Liebeserfahrungen und schließlich dem Studium der Bibliothekswissenschaft. Sie verliebt sich in ihren Dozenten und die beiden werden ein Paar, obgleich er wesentlich älter ist. Luisa erhält einen Hilferuf von Elisabeth, die wegen einer komplizierten Schwangerschaft die schwere Arbeit auf dem Hof nicht mehr machen kann und fährt kurzerhand aufs Land zu Walter um zu helfen. Elisabeths Tochter wird mit einer leichten Behinderung geboren, Walter wirft ihr vor, dass das von ihrem vielen Trinken und Rauchen herrühre. Doch es gibt zu dieser Schwangerschaft noch weitere Geheimnisse …
Während Luisa und Richard in Kiel ein recht gutes Leben leben, kommen Walter und Elisabeth nie aus ihren Traumata heraus. Nach der Geburt des zweiten Kindes verließen sie den Hof und zogen in den Ruhrpott, wo sie nun zwar eine bessere Bleibe und neue Arbeit finden und doch immer weiter unglücklich miteinander bleiben. Walter schuftet im Stollen und Elisabeth wird Hausfrau und sucht Ablenkung bei Festen und Feiern. Sie kann ihre schrecklichen Erlebnisse nie verarbeiten, trinkt und raucht, schlägt die Kinder und beim Ausgehen über die Stränge.
„Ihr war kaum zu helfen, fürchte ich, und vielleicht können Menschen mit einer besonders schmerzhaften Vergangenheit ja nicht anders: Sie betäuben sich in jedem Augenblick neu, und sei es mit Arbeit, denn sie wissen, dass sie mehr oder weniger verloren sind für das Künftige, das ungeachtet aller bösen Erfahrungen unser Zutrauen braucht, um zu gelingen.“
Aus der Geschichte, die Rothmann Luisa aus der Erinnerung heraus erzählen lässt, höre ich mitunter einen klassistischen Ton heraus, obwohl sie die Ereignisse rückwirkend durchaus reflektiert betrachtet. Luisa, die studierte Akademikerin und Elisabeth, die Kellnerin mit Walter, dem Arbeiter. Möglicherweise, ich bin mir da nicht schlüssig, liegt es auch an der Interpretation Nina Petrys, die die Stimmlage der beiden Frauen sehr unterschiedlich klingen lässt.
Mir ist die Geschichte an vielen Stellen viel zu intim, viel zu intensiv. Rothmann schreibt über seine eigenen Eltern und mich wundert, dass er es in solch einer Weise tut. Seine Sprache ist so dicht an den Protagonisten dran, dass ich beim Hören immer wieder Pausen machen muss. Was andernorts in Kritiken bewundert wird, empfinde ich als grenzüberschreitend. Es fühlt sich für mich an, als dürfe diese Geschichte nicht in die Welt. Aber das ist meine persönliche Empfindung, die mich selbst erstaunt. Es wundert mich, dass diese Art mir nicht bei den beiden vorigen Bänden auffiel. Oder waren diese tatsächlich anders geschrieben? Bin ich angesichts des schlimmen aktuellen Geschehens empfindlicher geworden?
Das Hörbuch erschien bei Hörbuch Hamburg, der Roman bei Suhrkamp. Eine Hörprobe gibt es hier.
Weitere Besprechungen gibt es unter anderem auf dem Blog Zeichen & Zeiten und bei Kommunikatives Lesen.