
Augen Zäune Schnee Fenster Glas Haus Wald Schatten Lieder Bäume Grün
Licht Gänse Schwäne Kraniche Stille Eichen Winter Tiere Worte Himmel Blut
Das ist die Wortlandschaft, die ich in Andreas Altmanns Gedichten im neuen Band Von beiden Seiten der Tür immer wieder aufs Neue finde. Sie weisen auf das Thema hin, dass der Dichter ver/bearbeitet und dessen er sich annimmt. Die Gedichte haben mich oft an Daniela Danz`Gedichtband Wildniß erinnert, aber sie sind ruhiger, sie halten mehr zusammen, als dass sie aufbrechen. Mitunter muss ich an Rilke denken (z. Bsp. bei unten abgebildetem Gedicht). Dass Altmann aus obigen Worten immer wieder neue Verse kreiert, die mich fassen und tragen, mich ankommen lassen, ist ein großes Glück. Ich habe den Band zur Hand genommen, als mal wieder kein (noch so guter) Roman mich erreichte und bin versunken und sofort getröstet worden. Immer wieder schön für mich, zu erleben, was Lyrik vermag.
„… ich denke ans sterben,
und sehe das leben, wie es luftschlingen legt und mich
näher an sich heranzieht, bis wir uns weit in die
augen schauen und gleiches mit gleichem versehen.“
Altmann schreibt alle Gedichte durchgehend klein. Das fiel mir nur am Rande auf, denn die Form scheint mir hier eine eher kleine Rolle zu spielen. Hier wird nichts plakativ konstruiert oder zugespitzt. Das braucht es gar nicht, weil die Verse mit so viel Sprachgeschick und Rhythmusgefühl wie selbstverständlich ganz allein für sich wirken. Es braucht hier gar kein exaltiertes Gebaren, keine fremdsprachigen Einschübe und was sonst heute noch so gefordert wird. Hier passiert scheinbar wenig im Gedicht, äußerlich mag das stimmen. Doch die Zeilensprünge führen oft zu einer ganz neuen Wahrnehmung. Kurze Sequenzen in fast jedem Gedicht, die mich mitschwingen ließen, die mich beeindruckten: So möchte ich schreiben können! Und: Warum sind Altmanns Gedichte nicht bekannter in der sogenannten Lyrikszene? Zudem sie ja auch „Nature Writing“ vom Feinsten sind.
„kraniche rufen ihre echos zurück. wind färbt sich
an den blättern. fenster sind versponnen. die nächte
schlafen auf dem rücken.“
Schon am Cover zeigt sich die Richtung, die die Gedichte einnehmen. Sind es Glasscherben oder Eisschollen? Beides kommt in den Gedichten mehrfach vor. Umgeben vom Grün. Von Gewuchertem. Alteingesessenem. Es geht um die Natur. Und um die Zivilisation. Die Verbindung von beidem. Natur – Kultur. Es geht um alle Sinne. Es geht um Betrachtung, Beobachtung, Wahrnehmung. Es geht um die Verwandlung der Wahrnehmung der Natur in Verse. Einer Verzauberung. Die Verwandlung des Menschen durch die Natur und umgekehrt. Es geht um die Rückeroberung der Natur. Beispielweise eines Hauses, im Wald, am See, im Dorf. Es geht um Wachstum und Niedergang. Um Zuwachs und Verlust. Wie Türen und Fenster plötzlich Worte treiben, wie der Wald langsam aber stetig das Haus übernimmt. Es finden sich Wege durch die Natur, die direkt an den Vorgängerband „Weg zwischen wechselnden Feldern“ anschließen und diesen erweitern. Von den Feldern in die Wälder. Und es wird etwas persönlicher, wie ich finde, besonders im letzten Kapitel namens „Was bin ich für ein Mensch“, denn wir lesen von Kinderspuren, von Erinnerungen an die Kindheit, die Eltern, die Herkunft, das Erbe. Die Liebe. Und es geht ums „Stirb und werde“. Den ewigen Kreislauf.
„ich will die toten nicht mehr über brücken
tragen. ihr eignes leben haben sie. ich bin zu müde
für die lichter, die in ihnen brennen. ich werde wach
und es ist tag. so einfach kann es sein.“



Und der Lyriker teilt seine weitere Kunst mit uns. Es gibt einen Bildteil im Band, in dem wir die selbst konstruierten „Fabelhäuser“ – Häuser der schlafenden Gedichte entdecken können, die in der Prignitz in einer kleinen Werkstatt entstehen. In der Einleitung wird dazu gesagt, dass sie zunächst in Phasen von Schreibpausen entstanden und dann ganz einfach als ergänzende „Handarbeit“ zum Schreiben weiter geführt wurden. Zwei Bilder habe ich hier eingefügt. Es ist leicht erkennbar, dass das Material unter anderem aus diversen Fundstücken besteht, ein Upcycling sozusagen.
Immer wieder ist die Sprache selbst Thema in den Gedichten. Wie sie sich gestaltet oder gestalten lässt. Wie sie sich in die Natur einfügt oder ausschert. Wie sie überhaupt entsteht. Wie sie aus Worten Bilder zaubert. Wie sie die Eindrücke verstärkt, sie verlebendigt, sie aufsteigen lässt. Ein Be-haust sein in der Sprache. Und auch, wie sich durch Worte schweigen lässt. Wie sie eine Melodie erfinden, wie sie singen.
„… dinge
häuten sich mit den sätzen, die über sie gesprochen werden.
und erkennen sich nicht wieder. aber das ist nur
eine optische täuschung, über die ich hinwegsehe,
egal, was noch kommt, oder gegangen ist.“
Einige Gedichte lese ich als Liebeserklärungen: an die Natur, an einen Menschen, ans Dasein, ans Leben. Und wer genau liest, dem Dichter zu-hört, dem öffnen sich Türen, vielleicht von beiden Seiten, vielleicht auf mehreren Ebenen.
Andreas Altmann, 1963 in Hainichen geboren, hat mehrere Lyrikbände veröffentlicht, alle im poetenladen. Erwähnenswert finde ich auch die schöne Ausstattung des Buches. Der Verlag nimmt feines wertiges Papier und Fadenheftung. Der Verlagstext zum Autor, dem ich vollkommen zustimme lautet:
„Wer, wie Andreas Altmann, mehr als ein halbes Leben lang gedichtet hat, muss sich und der Welt keine Kunstfertigkeit mehr beweisen. Vielleicht resultiert daraus die beindruckende Fähigkeit des unverstellten Sprechens. Dabei trifft mancher Satz den Leser wie ein Schlag. Andere Zeilen scheinen frappierend einfach und doch schwebt ein poetischer Zauber über ihnen.“
Mehr über den Autor und eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.