Antanas Škėma: Das weiße Leintuch Guggolz Verlag

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Von der alten in die neue Welt oder der Liftboy als Dichter

Antanas Škėma ist ein litauischer Autor, der von 1910 bis 1961 lebte. Über sein Buch „Das weisse Leintuch“ kann man nicht sprechen, ohne auch in die Biografie des Schriftstellers einzutauchen, dessen Roman zum ersten Mal ins Deutsche übertragen wurde. Škėma schrieb seinen Roman in den Jahren zwischen 1952 und 1954. Er wurde in Lódz geborenen, wo sein litauischer Vater als Lehrer arbeitete. Nach Beginn des ersten Weltkriegs floh die Familie zunächst nach Woronesch, weiter in die Ukraine und kehrte schließlich 1921 endlich ins inzwischen unabhängige Litauen zurück. 1929 begann Škėma sein Studium, zunächst Medizin, dann Jura, doch bereits 1944 musste die Familie wieder vor den sowjetischen Besatzern fliehen. Er fand sich in Deutschland wieder, in einem Camp für Displaced Persons. Dort schrieb er an Dramen und Kurzgeschichten. 1949 emigrierte er in die USA. Er arbeitete unter anderem wie seine Romanfigur als Liftboy. Er engagierte sich in Exilkreisen fürs Theater und schrieb Essays und auch Gedichte. Bereits 1961 starb er bei einem Autounfall.

In Škėmas Romanfigur Antanas Garšva spiegelt sich die Spaltung, die eigene und die Litauens, spiegelt sich die jahrhundertelange unruhige Geschichte eines Landes, dass erst seit relativ kurzer Zeit seine Stabilität gefunden hat. Diese Unruhe mag auch verantwortlich sein für die tief verankerten und wohl der eigenen Vergewisserung dienenden traditionellen Eigenarten. Lyrik, beispielsweise, geschrieben oder gesungen gehört als wichtiger Bestandteil dazu.

So finden sich allerlei sprachliche und geschichtliche Eigenheiten im Roman, Symbole und Verschlüsselungen, die sich allerdings anhand der hilfreichen Anmerkungen im Anhang meist erlesen und erklären lassen.

Erstaunlich frisch und modern liest sich Škėmas Roman, der 1958 unter dem Titel „Balta drobulé“ erschien. Der Autor erzählt seine Geschichte in zwei Strängen, zum einen in der Jetzt-Zeit als Liftboy in einem New Yorker Hotel, zum anderen in Rückblenden in die Kindheit und Adoleszenz in der Heimat Litauen. Einige Kapitel sind überschrieben mit „Aus den Aufzeichnungen von Antanas Garšva“ – vermutlich ist es ein Skript, das Garšva in der Geschichte seiner Geliebten Elena zu lesen überlässt, damit sie weiß, auf was sie sich mit ihm einlässt.  Beide Stränge sind jedoch nicht konsequent chronologisch gearbeitet, sie folgen vielmehr dem Gedankenstrom Garšvas. Oft scheinen surreale Elemente (wie etwa ein Auftritt bekannter verstorbener Dichter in der Personalkantine im Hotel:

„Durch die Tür kommt Rimbaud. Er taumelt, Gewehre, Säbel und Dolche in den Händen. Seinen Armen entgleitet das trunkene Schiff. Durch die Tür kommt der betrunkene Verlaine …“

– eine ganz wundersame Szene, wie auch der groteske schwäbische Beerdigungszug mit Kapelle im strömenden Regen), schimmernde Phantasiewelten durch diese Prosa, vornehmlich dann, wenn der Fahrstuhlführer Garšva seinen mitunter langweiligen Dienst versieht.

„Up und down, up und down in einem streng eingerahmten Raum. Sisiphos, von neuen Göttern an diesen Ort versetzt. Diese Götter sind humaner. Der Stein hat die Erdanziehung verloren. Sisyphos braucht keine geäderten Muskeln mehr. Triumph von Rhythmus und Kontrapunkt. Synthese, Harmonie, up und down.“

Anspielungen an die antike Mythologie findet man nicht wenige in Škėmas Geschichte, so löst sich auch das Rätsel um den Titel „Das weisse Leintuch“ gegen Ende des Romans auf. Škėma schöpft aus einem großen Wissensschatz aus Geschichte und Philosophie, aus der baltischen Götterwelt und aus heimischem, mitunter religiösem Volksliedgut; das macht das Buch so faszinierend vielschichtig.

Einführend begleitet der Leser Antanas Garšva auf seinem Weg durch die Straßen New Yorks zur Arbeit. Wir folgen ihm in die Personalräume im Keller des Hotels und lernen seine nächsten Kollegen kennen. Und wir hören von einem Arztbesuch und einer Krankheit. Wir sehen zu, wie Garšva seine Uniform mit der aufgestickten Nummer anzieht: Die Nummer 87 geht an die Arbeit, nicht ohne einen Gedanken an Elena, die unerreichbare Geliebte.

„Elena – eine Jerusalemer Jüdin an der Klagemauer. Elena – Undine, die sich ihren abgerissenen Fischschwanz annäht. Elena – eine kniende Karyatide mit der wankenden Annenkirche auf dem Kopf. Elena – ein Baseballschläger im Gras.“

Durch Garšvas Tagesgedanken spannen sich immer wieder Erinnerungsbögen. So erfahren wir die  wichtigsten Lebensabschnitte:

Der Vater war musikalisch begabt, konnte wie der Teufel Geige spielen, doch die Eltern konnten sich den Beitrag fürs Musikkonservatorium nicht leisten, so dass er Lehrer wurde. Mit seinem Vater lebte Antanas geraume Zeit allein, da die Mutter, ebenfalls Lehrerin, an einer psychischen Erkrankung litt. Sie jagte Antanas als Kind furchtbaren Schrecken ein, wenn wieder ein Schub bevorstand. Als es nicht mehr anders ging, lies der Vater sie in die Psychiatrie einliefern.

Bereits im Alter von 21 Jahren merkt Antanas, dass er Symptome jener Krankheit zeigt, die er vermutlich von seiner Mutter geerbt hat: Schizophrene Schübe oder epileptische Anfälle oder posttraumatische Belastungsstörungen, ganz klar ist das nicht zu deuten, die ihn urplötzlich überkommen. Etwas, was auch die erste Liebe zu dem Mädchen Joné überschattet.

Kurze Zeit darauf schlägt sich Garšva als Partisan durch: Eine weitere Schlüsselszene folgt: die Tötung eines Menschen, eines jungen gleichaltrigen Manns, des Gegners im Kampf. Wir erfahren von Lektüren und ersten Schreibversuchen, wir sind dabei, wenn der Held von der Geheimpolizei bedrängt wird, seine Gedichte doch mehr nach dem gängigen kollektiven Geschmack auszurichten, zunächst noch freundlich, doch später mit roher Gewalt. Einige Monate verbringt er danach in einer psychiatrischen Klinik. Doch es will keine Ruhe einkehren in sein Leben. Allein die Flucht scheint die Rettung und so lebt Garšva längere Zeit in einem Lager für Displaced Persons in Deutschland und macht sich dann auf die Reise in die neue Welt. New York ist das Ziel. Doch als Emigrant und Dichter wird er dort nicht bejubelt, das Dichten wird zur Nebensache, da es gilt, Geld zum Überleben zu verdienen.

„Ein kleiner Gedichtband – danach sehne ich mich. Nun fange ich sogar zu beten an. Ist das ein Zeichen von Schwäche? Ich habe nicht mehr die Kraft, nach der Antwort in Büchern zu suchen. Ich habe nicht mehr die Kraft, nach der Antwort in mir zu suchen. Ich bin ein Überschussprodukt der Natur.“

Škėmas Sprache ist abwechselnd weich und poetisch, zeitweise rau und ruppig, manchmal nur beschreibend. Je nach Szene passt sie sich den Ereignissen an. Mitunter schleicht sich Ironie ein, vor allem dann, wenn Garšva während seiner Tätigkeit im Fahrstuhl über die darin beförderten Hotelgäste vor sich hin sinniert. Auch in seinen Erinnerungen spürt man die Veränderung in der Sprache. Garšvas Frauengeschichten werden in einem ganz anderen Ton erzählt, als beispielsweise das Gespräch mit dem litauischen Dichterkollegen im Camp für Displaced Persons. Sofort merkt der Leser auch, dass es mit der bereits anderweitig liierten Elena etwas ganz besonderes auf sich hat, anders als mit den vorherigen Liebschaften. So spiegelt sich auch jegliche Stimmung wieder, keine innere Befindlichkeit bleibt verborgen.

Der Biografie Škėmas entnimmt man, dass er auch der „litauische Camus“ genannt wurde, aufgrund seiner existenzialistischen Art zu schreiben. Modern und zeitgemäß, auch beeindruckend experimentell ist sie in der Tat. Wie gut, dass dieser Roman nach langer Zeit auch ins Deutsche übertragen wurde (von Claudia Sinnig) – empfehlenswert ist diese Entdeckung des Berliner Guggolz Verlag unbedingt.

Tomas Espedal: Bergeners Matthes & Seitz Verlag

Foto: gemeinfrei wikimedia commons

Ein Buch über die Bewohner der norwegischen Stadt Bergen? Obwohl ich jedes ins Deutsche übertragene Buch von Tomas Espedal gelesen habe und seine Sprache liebe, überlegte ich skeptisch, ob ich „Bergeners“ lesen will. Als es mir dann in der Bibliothek in die Hände fiel, dachte ich, einen Versuch ist es wert. Und tatsächlich, Espedal wäre nicht Espedal, würde er nicht auch aus einem Buch über die Einwohner einer kleinen norwegischen Stadt am Meer ein sprachlich und emotional tiefes und geniales Buch machen. Spätestens aber, als er über die Einsamkeit schreibt (siehe Foto unten), folge ich ihm widerstandslos, immer in der Gefahr, in oder mit seinen Worten und Sätzen zu versinken.

„Sonntag, 14. August: Heute Nacht ist etwas passiert, was es noch nie gegeben hat. Ich schrieb bis halb zwei Uhr nachts, eine ganze Erzählung, eine meiner besten, glaube ich, in einem durch.“

Espedal erzählt anfangs weniger über die Stadt und seine Bewohner, sondern aus seinem Schriftstellerleben, vom Reisen und Unterwegssein. (Er erwähnt sogar, dass es wohl einen Auftrag gab, dieses Buch über Bergen zu schreiben, der schwerlich abzulehnen war.) Es gibt keinen stringenten Rahmen, keine Romanhandlung, aber das ist einem als Espedal-Fan durchaus bekannt. Er erzählt zunächst sogar von Zeiten, als er aus der Stadt flieht, aus Norwegen weg will, weil er in einer unschönen Szene in einem Band von Knausgårds „Min Kamp“ auftaucht und jeder ihn nun darauf anspricht, nachhakt, was da denn dran sei. Sogar im Ausland steht dann das Telefon nicht still. Espedal berichtet von typischen Handlungen oder eigentlich Nicht-Handlungen, wie am Fenster des Hotels sitzen und starren, ziellos durch die Stadt treiben lassen, grübeln, zweifeln, rauchen, trinken. Wenig bis kaum schreiben.

„Ich sitze an einer Straßenecke und schaue, rauche und schaue, schaue und trinke Wein, sitze den ganzen Tag da und schaue auf die vorüberströmende Menschenmenge, ein gleichmäßiger, beruhigender Menschenfluss; man hat die angenehme Empfindung zu ertrinken, von der Strömung zu stillen Wassern mitgeführt zu werden.“

Später lässt er innerhalb der Bergener Stadtstruktur diverse stadtbekannte Figuren auftauchen, Künstler, Schriftsteller, Malerinnen etc. , die sich sicher leicht erkennen, wenn sie denn das Buch lesen sollten. Es ist eine wilde, abenteuerlustige, aber auch irgendwie destruktive Bande, dem Alkohol und Sex nicht abgeneigt, gerade so, wie man sich das Künstlerleben eben vorstellt. Aber eben auch die Einsamkeit in aller Schärfe, die Verlorenheit, die sichtbare Wenigkeit des Seins, wenn die Kreativität blockiert ist, wenn alles zum Stillstand kommt.

„Er sagte: Du weißt genauso gut wie ich, dass die wichtigsten literarischen Werke schon längst geschrieben sind. Das, was ich über Heidegger gesagt hatte, hatte ihn verärgert, jetzt wollte er zurückschlagen, und dieser Schlag sollte mich umso härter treffen, da er wusste, dass ich versuchte, Romane zu schreiben.“

Espedal erzählt von seiner Kindheit im Viertel der Wohnblöcke in Bergen, vom Wetter, von Schreibblockaden, vom idealen Schreibort, den es vielleicht gar nicht gibt, von Versuchungen, von Ritualen und Routinen bis zur machtvollen Gewohnheit.  Von heißen griechischen Inseln ist die Rede, von den Bildern Goyas, von Literaturfestivals mit Begegnungen, wie etwa mit Dag Solstad, vom Besuch des ehemaligen Wohnhauses des großen Schriftstellers Ismael Kadare in Albanien und von einem Schreibkurs, den er im Bergener Gefängnis gibt. Er schreibt von Eifersucht, Gier und Neid. Von Intensität und Passion. Aber eben auch von Schönheit. Und von Liebe. Und vom Verlust, vom Leid, vom Tod. Durchbrochen werden die einzelnen, recht kurzen Sequenzen von Versen, Gedichten.

Espedals Sprache ist eine der schönsten, die ich kenne. Eine der wenigen, die kompromisslos die Tiefe sucht, die jedes einzelne Wort abwägt und stimmig setzt. Das Buch ist ein Muss für alle Espedalfans. Alle anderen fangen am Besten mit dem Buch an, dessen Titel ich unwiderstehlich finde:

Gehen oder die Kunst ein wildes und poetisches Leben zu führen

Im Roman heißt es an einer Stelle außerdem:

„Amalie Skrams Romane gibt es schon, keiner der heutigen Autoren kann Skram auch nur von Ferne das Wasser reichen, …“

Den wunderbaren Roman  von Amalie Skram: Professor Hieronimus habe ich hier auf dem Blog bereits besprochen

Das Buch „Bergeners“ erschien im Matthes & Seitz Verlag. Die geniale Übersetzung aus dem Norwegischen ist wie immer von Hinrich Schmidt-Henkel.

Bildrechte: gemeinfrei wikipedia commons

Matthias Nawrat: Der traurige Gast Rowohlt Verlag

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Ein Berlinroman, dachte ich. Wieder ein Berlinroman. Ich lebe in Berlin. Muss ich wirklich noch etwas über Berlin lesen, fragte ich mich. Zum Glück wurde Matthias Nawrat mit seinem neuen Roman „Der traurige Gast“ dann für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Das war Anreiz, zumindest hineinzulesen. Und: Was soll ich sagen? Ein Glück! Dieser Roman ist so ganz weit weg von all diesen Szene-und Mode-Berlin-Romanen, dass es ein großes Leseglück ist. „Der traurige Gast“ ist ein stiller Roman, der nichts Großes will, der aber gerade im Kleinen das Große findet. Beim Lesen denke ich dauernd, genau so ist es geschehen, genauso „recherchiert“ Nawrat für seine Bücher. Ich kenne das ja selbst: Wenn man schreibt, ist alles was man tut Vorbereitung und Recherche. Das Leben selbst schreibt in uns und wir Schreibende aus ihm heraus.

„Es war schon dunkel, und die Laternenlichter vervielfältigten die Dunkelheit des Abends in Dutzende Dunkelheiten – zwischen den geparkten Autos, unter den Simsen über den Hauseingängen, unter den Kapuzen oder Mützen der mir entgegenkommenden oder meinen Weg kreuzenden Viertelbewohner.“

Es geht hier ums Ganze. Um den Sinn. Um die Ver-rücktheit des Daseins in dieser Welt. Und um die Erkenntnis der Sinnlosigkeit allen Tuns. Die Schicksalhaftigkeit. Die Kleinheit eines Menschenlebens. Nawrat beschwört das alles herbei, indem er über das Alltägliche schreibt. Über die Begegnung mit Menschen, die unendliche Tiefe, die in jedem steckt.

„Die Zeit, so dachte ich in diesem Augenblick, ist zirkulär, faltet sich, wenn ich will, über sich selbst, sodass mein jetziges Leben in Berührung kommt mit dem schon vergangenen und gleichzeitig die Unendlichkeit in Berührung kommt mit ihrer eigenen Unmöglichkeit, während wir auf diesem Planeten, in dieser Stadt, in diesem Weltjetzt durchs Weltall fliegen.“

Der Held des Romans, ein Schriftsteller polnischer Abstammung, der mit seiner Frau in einem Berliner Kiez lebt und auf der Suche nach neuem Stoff für seine Bücher durch die Stadt wandelt, könnte ein Alter Ego des Autors sein. Alle seine Begegnungen sind in einer Weise unspektakulär, so dass sie ihm gerade recht kommen. Die ältere polnische Architektin, die nie ihren Kiez verlässt und anhand von Fotos die Wohnung des Protagonisten renovieren will. Was wirklich bei diesen Treffen passiert, ist das Öffnen einer wildfremden Person gegenüber. Sie erzählt ihm unverblümt aus ihrem Leben. Wobei sich zeitweise komische Augenblicke, trotz des Eindrucks größter Traurigkeit ergeben. Etwa wenn unser Held ihren selbstgebackenen Kuchen beschreibt.

„Wir aßen ein Stück Kuchen. Er schmeckte nach wie vor neutral, aber auch so, dass er mich nun aufmerksam machte auf sich selbst und auf etwas, das jenseits der Kategorie Geschmack zu liegen schien.“

Genau so der ehemalige Studienfreund, der beim Feierabendbier sein Leben vor ihm ausbreitet, sein polnischer Kollege an der Tankstelle, ein ehemaliger Chirurg, der trinkt, weil er den Tod seines Sohnes nicht überwindet, obwohl er damals bei der Flucht in den Westen Frau und Kind zurückließ, der Junge im Hinterhof, der einsam zu sein scheint, der selbstbewusste Schauspieler, der eine dramatische Geschichte erzählt mit sich in der Hauptrolle.

Der Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz in Berlin, mit dem so prominent auf dem Bucheinband geworben wird, nimmt nur einen winzigen Teil des Buches ein und ist einer der unwichtigsten. Davon sollte man sich also nicht abschrecken lassen. So besteht das Buch komplett aus Sequenzen, die blitzlichtartig Momente aus Menschenleben beleuchten, dabei aber nur wenig über den Hauptprotagonisten verraten. Ihm scheinen sich alle anvertrauen zu wollen, er scheint ein guter Zuhörer für Redebedürftige. Wohl ist ihm dabei nicht immer, dennoch harrt er aus.

Matthias Nawrats Roman hat philosophische Tiefe, schaut mitunter in Richtung Religion und Spiritualität. Seine Sprache hat Reife und liest sich mit Genuß. Und ja, er erinnnert tatsächlich, wie kürzlich schon auf dem Blog „letteratura“ zu lesen war (hier gehts zur Besprechung), in seiner Erzählperspektive den Romanen von Rachel Cusk. Und es ist ein ganz wunderbar trauriger Roman, so wie ich Romane liebe. Ein Leuchten!

„Der traurige Gast“ erschien im Rowohlt Verlag. Der Roman steht auf der SWR-Bestenliste und wurde für den Leipziger Buchpreis 2019 nominiert. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

Hinweis: Der Umstand, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, hat keinerlei Auswirkung auf meine Wahrnehmung und Rezension des Buches.

Daša Drndić: Belladonna Hoffmann und Campe Verlag

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Diese sprachlich hervorragende und ungewöhnlich konstruierte Romanentdeckung verdanke ich einmal mehr Constanze von Zeichen & Zeiten. Die Autorin war mir bisher kein Begriff, obwohl bereits mit „Sonnenschein“ ein Roman in deutscher Sprache von ihr erschien. Die 1946 in Zagreb geborene Daša Drndić spannt den Bogen von der Gegenwart über das Kriegsgeschehen auf dem Balkan während und nach dem Zerfall Jugoslawiens bis weit zurück in die Zeit des Nationalsozialismus. Gleich vorab: Ein Leuchten!

„Sein Herz bleibt stehen. Andreas Ban spürt, wie sein Herz in Zeitlupe durch seinen Rücken hindurch auf den Boden fällt. Er dreht sich auf die Seite, schaut über den Rand der Behandlungsliege und betrachtet sein großes Schwimmerherz, wie es ins Leere pumpt, als schnappe es nach Luft, immer langsamer. Mit gewölbter Hand hebt er das Herz auf und legt es zurück an seinen Platz.“

Ihre Hauptfigur, Andreas Ban, ein Psychoanalytiker und Schriftsteller im Ruhestand, lebt in einer Kleinstadt in Kroatien (vermutlich Rijeka). Leider kann er diesen nicht genießen, denn Widrigkeiten wie ein geringes Auskommen und diverse Krankheiten hindern ihn daran. Und obwohl er das so gar nicht will, gerät er unwillkürlich immer wieder in Erinnerungen aus dunklen Zeiten. Ban gerät in den Prozeß des Alterns, der ihn melancholisch macht. Daraus speist sich die Handlung, aber Drndić fügt immer wieder Originalfakten wie alte Fotos, Zeitungsberichte, Zitate und sogar Listen Verstorbener mit ein und schafft es alles zu einem stimmigen Ganzen zusammen zu fügen. Durch diese Form der „Bearbeitung“ von Fakten wird die Lektüre sehr intensiv. Denn wenn auf den Bericht der Tötung von 1055 Juden im serbischen Šabac auf den folgenden Seiten eine Liste mit den 1055 Namen erscheint ist das mehr als eindringlich.

„Er taucht in eine andere Geschichte ein, in Hunderte persönlicher Geschichten, wegen denen manche wahnsinnig werden und andere Gedichte schreiben.“

Tief taucht Ban ein in die 70er Jahre, als Sarah Kirsch, Eva Strittmatter, Nicolas Born und der Österreicher Peter Henisch, der über seinen Fotografen-Vater im Nationalsozialismus schreibt, in Albanien auftauchen, wo Ban seinen Wehrdienst leistet. Er erzählt von Niklas Frank, der seinen Vater, den „Schlächter von Polen“ in einem Buch in der Luft zerfetzt. Dass es nationalistische und antisemitische Verbrechen auch in Kroatien gab, die aber nie, wie in Deutschland aufgearbeitet wurden, sondern verschwiegen und verdrängt, ist ein wichtiger Aspekt des Buches.

So schreibt sich Ban alles von der Seele. Unerträglich und absurd, welche Greuel da versteckt wurden, wie hohe Funktionäre der NHD und der Ustascha-Bewegung einfach nach dem Krieg weiter Karriere machten, oft in Südamerika, wie wenig die Nachkommen damit zu tun haben wollen und wie unverdrossen auch heute wieder die Heimatliebe und die Blut und Boden-Ideologie öffentlich zur Schau gestellt wird.

Andreas Ban, der in Paris geboren wurde, der als Kind mit der Familie nach Belgrad kam, dessen Mutter und Schwester früh an Krebs verstarben, ebenso wie später dessen Frau, zog mit seinem Sohn 1992 nach Kroatien. Er erhält nach einigen Jahren Arbeitslosigkeit und schlecht bezahlter Jobs, vielleicht auch deshalb, nur eine kleine, wenig bedeutsame Stelle an der Universität, die von einfältigen, angepassten Intellektuellen bevölkert wird. Auch für den Sohn ist es nicht einfach. Die Sprache ist eine andere. Der Nationalstolz ist groß.
Durch jede Zeile spürt man später Bans Wut über die Leugner und Scheuklappenträger wabern. Er beschimpft sie vor Antritt seines Ruhestands in einem Brief, der von Zitaten kluger Schriftsteller, Philosophen und Intellektueller nur so strotzt, die Ban überhaupt gerne zu Rate zieht, was dem Roman sehr zuträglich ist.

Auch Ban wird vom Krebs nicht verschont. Eine Operation hilft. Andere altersbedingte Verschleißerscheinungen treten auf. Doch jede Krankheit bringt auch Erinnerungen und Geschichten mit sich, wie etwa bei einer Augen-OP der Schwenk zu E. T. A. Hoffmanns Sandmann naheliegend ist.

„Über den Krankenhausflur kullert eine kleine, in Federn gehüllte Angst“

Eine Einladung zu einem Schriftstelleraufenthalt in Amsterdam trägt zu einem kurzen Zwischenhoch bei. Doch auch dorthin folgt die Vergangenheit, wenn Ban etwa erfährt, dass zwischen 1938 und 1945 2061 niederländische jüdische Kinder im Alter von sechs Monaten bis 18 Jahren ermordet wurden und die 2061 Namen der Kinder abgedruckt sind: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“

„Jetzt, wo er einen Zweikampf mit seinem Körper ausficht, einen Zweikampf, aus dem er, ach, er weiß es, sieht es, nicht als Sieger hervorgehen wird, wühlt er in fremden Leben herum, um Abstand zu seinem zu gewinnen.“

Andreas Ban ist wenig versöhnlich mit sich und der Welt. Er macht Tabula rasa. Gegen Ende des Romans kommt es dann zum Showdown mit Belladonna, einer Pflanze, die wir unter dem Namen Tollkirsche kennen …

Der Roman erschien im Hoffmann & Campe Verlag und wurde von Brigitte Döbert und Blanka Stipetić übersetzt. Eine Leseprobe gibt es hier.

Passend zum Thema empfehle ich:
„Die kleinen roten Stühle“ von Edna O´Brien
Als ob sie träumend gingen“ von Anna Baar

Norbert Gstrein: Die kommenden Jahre Hanser Verlag

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An Norbert Gstreins neuen Roman habe ich mich erst herantasten müssen. Es ist sehr lange her, dass ich ein Buch dieses Autors las. Doch dann eröffnete sich mir der Roman in schönster Fülle. Gstrein hat eine starke Geschichte konstruiert, die aus einem Kernthema heraus weite Kreise zieht und sehr differenzierte Betrachtungsweisen aufzeigt.

Die Hauptfigur ist Richard, ein Gletscherforscher, der sich dem ewigen Eis verschrieben hat und darüber an der Uni lehrt, vor allem über den Klimawandel. Ob dabei eine Rolle spielte, dass er in der Kindheit von seinen Eltern, wenn er frech war in einem Kühlraum eingesperrt wurde? Die Eltern hatten in Tirol ein Hotel. Inzwischen lebt er aber längst mit Frau und Kind in Hamburg. Im Roman finden sich Eis und Kälte zuhauf. Und sei es sinnbildlich, wenn etwa Natascha, die Ehefrau, ihn mal wieder Eismann nennt, wenn sie seiner angeblichen Gefühlskälte überdrüssig ist. Diese unterstellt sie ihm ebenfalls in der Sache mit der Flüchtlingsfamilie, die beide in ihrem Ferienhaus im Umland aufgenommen, besser gesagt, es an diese vermietet haben. Während Richard die Familie zur Ruhe kommen lassen will, kümmert sich Natascha jeden Augenblick um das Wohl der Familie, ruft an, fährt hin, ja beginnt sie im Grunde zu bevormunden. Schön, wie Gstrein diesen Zwiespalt herauskehrt und den Leser damit konfrontiert.

„Sicher hätte ich mir meinen Kommentar sparen können, um zu helfen, müsse ich nicht ein Diplom in Ethnologie oder Religionswissenschaftler haben, als sie mich fragte, ob ich mich nicht auch auf unsere Gäste vorbereiten wollte.“

Natascha und Richard entfremden sich aufgrund dieser Differenzen noch mehr als bisher. Natascha ist erfolgreiche Schriftstellerin und vermarktet die Idee mit der Flüchtlingshilfe sogar als Story in einer populären Zeitschrift. Sie lässt Mann und Kind alleine in die Ferien fahren. Sie geht voll in ihrer neuen Rolle als Helferin und Beschützerin auf. Vor allem auch dann, als vermehrt bedrohliche Nachrichten oder sind es Gerüchte? über das Haus am See aus der Nachbarschaft kommen. Die Familie aus Damaskus hingegen, scheint sich einzuleben, die Söhne gehen zur Schule, haben in kürzester Zeit deutsch gelernt. Als der Vater gar zum Christentum übertreten will, ist Natascha entsetzt, hatte sie sich doch gerade mit dem Islam beschäftigen wollen. In der Tat fragt man sich da als Leser/in, ob außer dem Wunsch zu helfen nicht doch auch ein gewisser Narzissmus im Spiel ist.

“ … ob sie der Familie nicht ein bisschen Ruhe gönnen wolle, wenn sie sich wieder einmal bereitmachte, zum Haus hinaus zu fahren, ob sie sicher sei, dass sie zu jeder Tages- und Nachtzeit willkommen war, …“

Richard dagegen verhält sich freundlich, doch zurückhaltend. Außerdem denkt er gerade selbst über einen Neuanfang in einem anderen Land nach. Kanada steht zur Debatte, weil ein Studienfreund ihm dort eine Stelle angeboten hat. Doch bevor es zu einer Entscheidung für ein neues Leben und damit verbunden womöglich zur Trennung von Frau und Kind kommt, hat Gstrein eine Idee, die nicht neu ist: Im letzten Teil des Buches schreibt er drei verschiedene Schlusskapitel, wovon er eines „Was wirklich geschah“ nennt. Die anderen beiden kann man getrost weglassen. Sie sind nicht stimmig und lesen sich wie Füllmaterial.

Norbert Gstreins Roman „Die kommenden Jahre“ erschien im Hanser Verlag.

 

Film-Kunst-Film: Bin im Wald. Kann sein, daß ich mich verspäte DVD Film von Corinna Belz 2016

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Unter der Rubrik „Film-Kunst-Film“ stelle ich nun auch ab und an Filme vor, die mich beeindruckt haben und die in irgendeiner Form mit Literatur/ Kunst zu tun haben.

Die Regisseurin Corinna Belz, bekannt durch ihren Film über den Maler Gerhard Richter, hat einen wunderbaren Film über Peter Handke gemacht. Ein Film, der mich sehr für den Schriftsteller einnimmt, ein stiller Film voller Sehnsucht und Passion.

Gedreht wurde vor allem in Peter Handkes Haus nahe Paris, seinem ganz eigen gestalteten Lebensort. Eine kleine Episode auch in dem Landhaus, welches Schauplatz der Verfilmung von Handkes Theaterstück „Die schönen Tage von Aranjuez“ war, in dem Sophie Semin, Handkes Frau die weibliche Rolle spielt und er selbst einen sehr kurzen Auftritt als Gärtner hat. Auch diesen Film vom Regisseur Wim Wenders empfehle ich sehr: http://www.dieschoenentagevonaranjuez-derfilm.de/ (gerade neu als DVD)

Es ist schon spannend zu sehen, welch eine Persönlichkeit aus dem jungen, aufmüpfigen und dennoch scheuen Mann, der auf der Tagung der Gruppe 47 im Jahr 1966 zum ersten Mal von sich reden machte oder dem „Verrückten“, der mit seinem Stück „Publikumsbeschimpfung“ in der Regie von Claus Peymann die Theaterbesucher mehr als irritierte, geworden ist.

Die kleinen Dinge sind es, die den Film so besonders machen. Zuzusehen, wie Handke Pilze schneidet und das Geräusch genießt, wie er draußen im Garten all seine Bleistifte spitzt (er schreibt nur mit der Hand), oder wie er auf seinem Nähsessel sitzt und versucht den Faden in das schmale Nadelöhr zu fädeln, um eines seiner Hemden zu besticken ist schon sehr besonders. Handke gibt diesen Dingen seine ganze Aufmerksamkeit, findet die Sinnlichkeit darin. Die gleiche große Aufmerksamkeit, die er auch für die Sprache seiner Geschichten verwendet. Jedes Wort wird gewogen, damit es auch stimmig ist. Handke nennt das Schreiben auch einen Prozeß der Erfindung.

Schön auch zu sehen, wie die Notizbücher entstehen mit Text und paralleler Zeichnung, sie sind selbst schon kleine Kunstwerke. Das „Notizbuch“ aus dem Insel Verlag zeigt Einblicke. Einige Zeichnungen konnte man bereits in „Von der Baumschattenwand nachts“ aus dem Jung & Jung Verlag sehen.

Noch bis Ende Juli kann man Original-Zeichnungen aus Handkes Notizheften in der Galerie Friese in Berlin sehen.

Einen Trailer zum Film gibt es auf der offiziellen Film-Seite.

Ismail Kadare: Die Dämmerung der Steppengötter S. Fischer Verlag

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Endlich endlich Ismail Kadare entdeckt!
„Die Dämmerung der Steppengötter“ ist ein Roman, der mich vollkommen überzeugt hat. Von Anfang an Staunen, wie dieser albanische Schriftsteller schreiben kann: Die herrliche Sprache, metaphernreich, doch immer überraschend, wunderbar durchdacht und konzipiert, ein dicker roter Faden bis zum Ende und ein starkes Thema, was gerade wieder zufällig zu meiner andauernden Ost-Lese-Phase passt. Extra langsam habe ich gelesen, genossen, und am Schluss so eingenommen weggelegt, dass ich dachte: wie soll ich jetzt einen neuen Roman anfangen? (Dass der nächste zum großen Glück ein ebensolches Wunderwerk sein wird, konnte ich da noch nicht wissen.)

Ismail Kadare war bereits mit Anfang 20 in seinem Land als Lyriker bekannt. Um sich weiter zu schulen durfte er in Moskau am berühmten Gorki-Institut Literatur studieren. So geriet er in die größte Autorenschmiede des gesamten Ostblocks. Die Zeit seines Aufenthalts dort ist auch Inhalt dieses Romans.

Kadare beginnt seinen Roman mit einem Sommeraufenthalt in einem sozialistischen Urlaubsheim für Schriftsteller an der Ostsee. Dort begegnet er einem faszinierenden Mädchen, das seiner Moskauer Freundin Lida ähnelt. Ihr erzählt er eines nachts bei einem Spaziergang die albanische Legende von „Konstantin und Doruntina“, die sich schließlich als roter Faden durch die gesamte Handlung des Buches zieht. Darin geht es schlussendlich um die Worttreue der Albaner, die „Besa“, die selbst über den Tod hinaus niemals gebrochen wird.

Zurück zum Studium in Moskau, in einer Zeit nach Stalin, die unter Chruschtschow auch „Tauwetterperiode“ genannt wird, geht es ums Schreiben aber nicht zuletzt auch um Politik und um die Liebe. Unser Held vergrault aus ihm selbst nicht bekannten Gründen seine Geliebte Lida, ja verkuppelt sie sogar noch mit einem Schriftstellerkollegen vom Literaturinstitut.

„Ich denke, es wäre an der Zeit spezielle Untersuchungen über die Verwendung der Zeit in den literarischen Werken der Genossen aus der Tundra anzustellen. Da gäbe es noch Raum für echte Neuerungen, obwohl ich auch die Gefahr sehe, in Modernismus abzugleiten wie dieser Franzose Proust, der die Zeit zu einem dicken Knäuel zusammengewickelt hat.“

Zur gleichen Zeit erhält Boris Pasternak den Literaturnobelpreis. Doch in Moskau freut sich keiner darüber: Pasternaks großer Roman „Doktor Schiwago“ wird sogar verurteilt aufgrund fehlender Linientreue. Eine geraume Zeit hört man in sämtlichen Medien nur, wie Pasternak niedergemacht wird, es werden Briefe aus den abgelegensten Teilen der großen UDSSR veröffentlicht und verlesen – alle wenden sich gegen ihn. Man will ihn damit zwingen, den Preis abzulehnen, man will ihn fertig machen.

„Seit vierundzwanzig Stunden wurde in der gesamten UDSSR ein Feldzug gegen Boris Pasternak geführt. Das Radio (von morgens sieben bis um Mitternacht), das Fernsehen, sämtliche Zeitungen und Zeitschriften, die Kinderpresse eingeschlossen, verspritzten Gift gegen den abtrünnigen Schriftsteller. Wie immer bei solchen Anlässen wurden die Schimpfkanonaden der sowjetischen Literaten mit empörten Meinungsäußerungen der Arbeiter und Kolchosbauern flankiert.“

Kurz darauf, als ein bekannter Maler, aus Indien zurückgekehrt, an der dort eingefangenen Krankheit Pocken stirbt, hängen in der ganzen Stadt Plakate mit dem dringenden Aufruf sich impfen zu lassen. Alle Studenten dürfen zudem keine Kontakte, vor allem keine Frauenkontakte mehr zu Moskauern haben. Quarantäne wird sonst in Aussicht gestellt – eine schöne Metapher für die sich abschottende kränkelnde Sowjetunion.

So sind oft die freundschaftlichen Kontakte der Sowjetrepublik sehr wechselhaft und abhängig von bestimmten Zwischenfällen und vom Personal der „Oberen“, was sich dann sogleich unter den Studenten des Instituts niederschlägt. So erfährt etwa unser albanischer Schriftsteller erst von Kollegen aus anderen Ländern, dass sich das Verhältnis zwischen seinem kleinen Land und der großen UDSSR verschlechtert hat. In Albanien verehrt man weiterhin Stalin und dessen einzig wahren Kommunismus. Für unseren Protagonisten alias Kadare bedeutet das, dass er nur mehr kurze Zeit in Moskau bleiben kann. Und da er Lida, der verlorenen Geliebten, versprochen hatte niemals einfach so zu verschwinden – albanisches Ehrenwort – trifft er sie doch noch ein letztes Mal … und tut dann doch genau das.

Kadares Sprache ist gekonnt, sie pendelt zwischen großer Ernsthaftigkeit und feinster Ironie und erfreut mit vielfältigem Metaphernreichtum. Selten habe ich solch einen klug durchdachten, gut konstruierten Roman gelesen. Große Empfehlung! Ein Leuchten!

Der Roman des 1936 in Albanien geborenen Ismail Kadare erschien im S. Fischer Verlag. Er entstand bereits in den Jahren 1962 – 1976 und wurde nur auszugsweise in seinem Heimatland abgedruckt. Die Übersetzung stammt von Joachim Röhm. Eine Leseprobe gibt es hier

——> Und so stimme ich, oh Wunder, einmal Maxim Biller zu:
»Ismael Kadare ist einer der großen Erzähler des 20. Jahrhunderts. […] Mich hat das Buch unendlich glücklich gemacht. «
Maxim Biller, ZDF/Das Literarische Quartett, 14.10.2016