John Clare: Reise aus Essex Matthes & Seitz Verlag

John Clare war Dichter. Er wurde 1793 in Northhamptonshire, England geboren und stammte aus einer Landarbeiterfamilie. Er ging nur bis zu seinem 12. Lebensjahr zur Schule. Mit 13 Jahren begann er zu dichten und zu reimen. Er hatte Talent. Es gab Menschen, die ihn förderten, aber auch welche, die ihn verspotteten und kritisierten. Er war überwiegend Autodidakt und wurde nie so bekannt wie seine Zeitgenossen Keats, Wordsworth und Coleridge (vielleicht lag es an seiner Herkunft?). Gut, dass es nun Esther Kinsky gelungen ist, einen kleinen Eindruck von Clares Werk auch in deutscher Sprache zu vermitteln. Kinsky, die selbst Lyrikerin, Prosaautorin und Übersetzerin ist, schreibt in ihrem Vorwort von der Herausforderung Clare zu übersetzen:

„Die Übersetzung von Clares idiosynkratischem Stil ist keine leichte Aufgabe. Für mich stand von Anfang an fest, dass seine Eigenheiten im Umgang mit Sprache und Schreibweise so sehr zu seinen Texten gehören, dass sie weitgehend erhalten bleiben mussten.“

Für heutige Leser mutet Clares Sprache sehr ungewohnt an, wirkt altmodisch, teilweise fast naiv und unbeholfen. Und doch war es zeitgemäß, wie Clare dichtete und erzählte. Der Titel des Buches führt ein wenig in die Irre, denn nur ein geringer Teil gegen Ende des Buches handelt tatsächlich von der „Reise aus Essex“. Es ist der Bericht, den Clare über seine Flucht aus einer psychiatrischen Einrichtung zurück in seinen eigentlichen Wohnort, sein Zuhause, schreibt. Dennoch lebte er später bis an sein Lebensende wieder in der Psychiatrie.

„Was ist denn Leben? Ein Stundenglas, das rinnt,
ein Dunst, der in der Morgensonne schwind`t,
Ein hastend, rastlos, immer wiederholter Traum. –
Wie lang? So kurz wie ein Gedanke währt.“

Der überwiegende Teil des Buches ist wie eine Art Tagebuch zu lesen. Clare erzählt aus seiner Kindheit und seiner Lebensgeschichte und wie er dazu kam, zu dichten. Er erzählt aber auch von seiner ständigen Suche nach ihm gemäßer Arbeit und seine finanzielle Lage war immer prekär. Oft verdingte er sich als Gärtner oder Feldarbeiter. Er erzählt über seine Nähe zu den umherziehenden Zigeunern und seiner ersten Liebe. Clare war ein sehr naturverbundener Mensch, der auch von der Natur zum Schreiben inspiriert wurde. Im Buch sind zwei Gedichte zu lesen, die einen guten Eindruck seiner Lyrik vermitteln. Am Anfang das Gedicht: „Was ist Leben?“ und am Ende das Gedicht „Ich bin“.

„Ich selbst verzehr allein mein ganzes Leid: –
Das steigt und schwindet mit jedwedem aus dem Sinn,
Wie Schatten in der Liebe rasendem ersticktem Schrei: –
Und doch – ich bin und lebe –wie Nebel her und hin“

Beide Gedichte sind fast durchgehend gereimt, klingen mitunter etwas holprig, wobei dies möglicherweise der schwierigen Übertragung aus dem Englischen geschuldet ist. Dennoch findet sich die ganze Seelentiefe und Traurigkeit von Clares Persönlichkeit in diesen Texten. Eine Schwermut, die ihn vermutlich am Leben scheitern ließ, die gleichzeitig aber auch diese sehnsüchtigen Verse hervorholte.

Auf dem Höhepunkt seiner Erfolge, als zwei Gedichtbände von ihm erschienen und er bekannter wurde, reist er auch mehrmals nach London. Die Berühmtheit währt nur sehr kurz, Clare fühlt sich missachtet und es zeigt sich zunehmend seine depressive Disposition. 1837 war sein erster Aufenthalt in der Psychiatrie, aus der er 1841 floh. Kurz darauf wurde er erneut eingewiesen und blieb bis zu seinem Tod 1864.

„Ich hielt mich etwa einen monat in London auf & verbrachte meine zeit sehr angemehm mit besuchen in der stadt & in gesellschaft jener einstigen wunder an Dichtern Malern & verfasern von büchern fast aller richtungen die mir von wundern zu ganz gemeinen männern wurden.“ 

Die „autobiografischen Fragmente“ aus den 1930er Jahren und zwei Briefe vervollständigen das knappe Bild, dass man sich anhand dieses Buches über John Clare machen kann. Esther Kinsky erläutert manches in ihrem Vowort. Das Buch erschien in sehr schöner Ausstattung in Fadenheftung und mit Lesebändchen im Matthes & Seitz Verlag, in dem es auch eine interessante Ergänzung zu diesem Band gibt: Das Buch „Der Rand des Orizonts“ von Iain Sinclair erzählt von dessen Wanderungen auf den Spuren von John Clares Flucht aus Essex 150 Jahre zuvor. Beide Bücher wurden von Esther Kinsky aus dem Englischen übertragen. Mehr darüber hier .