Ismail Kadare: Die Dämmerung der Steppengötter S. Fischer Verlag

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Endlich endlich Ismail Kadare entdeckt!
„Die Dämmerung der Steppengötter“ ist ein Roman, der mich vollkommen überzeugt hat. Von Anfang an Staunen, wie dieser albanische Schriftsteller schreiben kann: Die herrliche Sprache, metaphernreich, doch immer überraschend, wunderbar durchdacht und konzipiert, ein dicker roter Faden bis zum Ende und ein starkes Thema, was gerade wieder zufällig zu meiner andauernden Ost-Lese-Phase passt. Extra langsam habe ich gelesen, genossen, und am Schluss so eingenommen weggelegt, dass ich dachte: wie soll ich jetzt einen neuen Roman anfangen? (Dass der nächste zum großen Glück ein ebensolches Wunderwerk sein wird, konnte ich da noch nicht wissen.)

Ismail Kadare war bereits mit Anfang 20 in seinem Land als Lyriker bekannt. Um sich weiter zu schulen durfte er in Moskau am berühmten Gorki-Institut Literatur studieren. So geriet er in die größte Autorenschmiede des gesamten Ostblocks. Die Zeit seines Aufenthalts dort ist auch Inhalt dieses Romans.

Kadare beginnt seinen Roman mit einem Sommeraufenthalt in einem sozialistischen Urlaubsheim für Schriftsteller an der Ostsee. Dort begegnet er einem faszinierenden Mädchen, das seiner Moskauer Freundin Lida ähnelt. Ihr erzählt er eines nachts bei einem Spaziergang die albanische Legende von „Konstantin und Doruntina“, die sich schließlich als roter Faden durch die gesamte Handlung des Buches zieht. Darin geht es schlussendlich um die Worttreue der Albaner, die „Besa“, die selbst über den Tod hinaus niemals gebrochen wird.

Zurück zum Studium in Moskau, in einer Zeit nach Stalin, die unter Chruschtschow auch „Tauwetterperiode“ genannt wird, geht es ums Schreiben aber nicht zuletzt auch um Politik und um die Liebe. Unser Held vergrault aus ihm selbst nicht bekannten Gründen seine Geliebte Lida, ja verkuppelt sie sogar noch mit einem Schriftstellerkollegen vom Literaturinstitut.

„Ich denke, es wäre an der Zeit spezielle Untersuchungen über die Verwendung der Zeit in den literarischen Werken der Genossen aus der Tundra anzustellen. Da gäbe es noch Raum für echte Neuerungen, obwohl ich auch die Gefahr sehe, in Modernismus abzugleiten wie dieser Franzose Proust, der die Zeit zu einem dicken Knäuel zusammengewickelt hat.“

Zur gleichen Zeit erhält Boris Pasternak den Literaturnobelpreis. Doch in Moskau freut sich keiner darüber: Pasternaks großer Roman „Doktor Schiwago“ wird sogar verurteilt aufgrund fehlender Linientreue. Eine geraume Zeit hört man in sämtlichen Medien nur, wie Pasternak niedergemacht wird, es werden Briefe aus den abgelegensten Teilen der großen UDSSR veröffentlicht und verlesen – alle wenden sich gegen ihn. Man will ihn damit zwingen, den Preis abzulehnen, man will ihn fertig machen.

„Seit vierundzwanzig Stunden wurde in der gesamten UDSSR ein Feldzug gegen Boris Pasternak geführt. Das Radio (von morgens sieben bis um Mitternacht), das Fernsehen, sämtliche Zeitungen und Zeitschriften, die Kinderpresse eingeschlossen, verspritzten Gift gegen den abtrünnigen Schriftsteller. Wie immer bei solchen Anlässen wurden die Schimpfkanonaden der sowjetischen Literaten mit empörten Meinungsäußerungen der Arbeiter und Kolchosbauern flankiert.“

Kurz darauf, als ein bekannter Maler, aus Indien zurückgekehrt, an der dort eingefangenen Krankheit Pocken stirbt, hängen in der ganzen Stadt Plakate mit dem dringenden Aufruf sich impfen zu lassen. Alle Studenten dürfen zudem keine Kontakte, vor allem keine Frauenkontakte mehr zu Moskauern haben. Quarantäne wird sonst in Aussicht gestellt – eine schöne Metapher für die sich abschottende kränkelnde Sowjetunion.

So sind oft die freundschaftlichen Kontakte der Sowjetrepublik sehr wechselhaft und abhängig von bestimmten Zwischenfällen und vom Personal der „Oberen“, was sich dann sogleich unter den Studenten des Instituts niederschlägt. So erfährt etwa unser albanischer Schriftsteller erst von Kollegen aus anderen Ländern, dass sich das Verhältnis zwischen seinem kleinen Land und der großen UDSSR verschlechtert hat. In Albanien verehrt man weiterhin Stalin und dessen einzig wahren Kommunismus. Für unseren Protagonisten alias Kadare bedeutet das, dass er nur mehr kurze Zeit in Moskau bleiben kann. Und da er Lida, der verlorenen Geliebten, versprochen hatte niemals einfach so zu verschwinden – albanisches Ehrenwort – trifft er sie doch noch ein letztes Mal … und tut dann doch genau das.

Kadares Sprache ist gekonnt, sie pendelt zwischen großer Ernsthaftigkeit und feinster Ironie und erfreut mit vielfältigem Metaphernreichtum. Selten habe ich solch einen klug durchdachten, gut konstruierten Roman gelesen. Große Empfehlung! Ein Leuchten!

Der Roman des 1936 in Albanien geborenen Ismail Kadare erschien im S. Fischer Verlag. Er entstand bereits in den Jahren 1962 – 1976 und wurde nur auszugsweise in seinem Heimatland abgedruckt. Die Übersetzung stammt von Joachim Röhm. Eine Leseprobe gibt es hier

——> Und so stimme ich, oh Wunder, einmal Maxim Biller zu:
»Ismael Kadare ist einer der großen Erzähler des 20. Jahrhunderts. […] Mich hat das Buch unendlich glücklich gemacht. «
Maxim Biller, ZDF/Das Literarische Quartett, 14.10.2016