Neue Romane von Steffen Kopetzky und Thomas Hettche


Im Kurzformat stelle ich diese beiden ganz unterschiedlichen Neuerscheinungen deutschsprachiger Autoren vor: Steffen Kopetzkys „Damenopfer“ und Thomas Hettches „Sinkende Sterne“


Den neuen Roman „Damenopfer“ von Steffen Kopetzky habe ich wechselweise gelesen und als Hörbuch gehört. Es war mein erstes Buch des Autors und es hat mich sehr positiv überrascht. Kopetzky muss unglaublich viel recherchiert haben, denn er bearbeitet ein absolut komplexes Thema. Wie immer sind es bestimmte geschichtliche Begebenheiten, die fiktiv aufgearbeitet werden, aber nah am tatsächlichen Geschehen bleiben.

Diesmal geht es um eine weibliche Hauptfigur: Larissa Reissner. Sie war eine russische Schriftstellerin und Revolutionärin, die teils auch in deutscher Sprache schrieb. Sie wurde nicht alt: 1895 in Lublin, Polen geboren, starb sie bereits 1926 in Moskau. In dieser kurzen Lebenszeit hat sie unglaublich viel bewegt. Sie war überzeugte Kommunistin, nahm an der Oktoberrevolution teil und diente in der Roten Armee. Sie plante den „roten“ Aufstand, sogar in Deutschland. Sie war engagierte Botschaftersgattin in Afghanistan. Trennte sich von diesem Mann, hatte einige Liebschaften. Sie reiste viel und schrieb darüber, immer mit politischer Note. Sie bekam zwischen allen Aktivitäten sogar ein Kind, einen Sohn, den sie in die Obhut ihrer Schwester in Leipzig gab.

„Eine Revolution, die die ganze Welt erfassen würde, wie lange würde es bis dahin noch brauchen? Wie lange, bis die Partei ihre inneren Gräben überwunden hätte, um so stark zu werden, dass sie es mit der auf infernalische Weise außer Kontrolle geratenen herrschenden Klasse aufnehmen konnte? Wie lange? Bis der Kapitalismus den Planeten in Flammen gesetzt haben würde?“

Die gewählte Form ist sehr vielseitig. Von privaten Gesprächen, Briefen, über ein Filmdrehbuch bis zu politischen Aktionen, der Kindheit und später der Beerdigung Larissas in Moskau, auf der sich fast alle die einmal mit ihr zu tun hatten, treffen, erzählt der Autor abwechslungsreich und klug. Nicht chronologisch, was aber hier auch nicht notwendig erscheint. Jedes Kapitel ist fesselnd. Unglaublich wie gut hier geschichtliche Ereignisse lebendig werden, wie viel neues man erfährt.

Kopetzky schafft es mit seiner auch sprachlich vortrefflichen Art zu schreiben und seiner Liebe zur Hauptfigur, dass ich mich, neugierig geworden, nebenbei immer wieder über die Protagonisten, Ereignisse, Schauplätze und Zusammenhänge informiert habe. So liest sich Geschichte leicht, obwohl der Autor viele Zeitsprünge einbaut. Zudem tauchen unglaublich viele bekannte Namen von Schriftsteller* innen auf, wie etwa Anna Achmatowa, Bulgakow, Bunin, Pasternak, Babel und Mandelstam, denen Reissner begegnete.

Das Hörbuch wurde stimmig und ungekürzt eingesprochen von Julian Horeyseck. Empfehlung für Buch und Hörbuch!

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Das Beste an Thomas Hettches neuem Roman, ich muss es so direkt sagen, ist das Buchcover mit dem Gemälde von Segantini („Die Strafe der Wollüstigen“, welches sicher bewusst gewählt wurde) und die feine Einbandgestaltung. Ich hatte mich sehr auf den Roman gefreut. Im Literarischen Quartett wurde er fast einstimmig gelobt. Ich hatte mich auf ein anspruchsvolles literarisches Lesen gefreut. Bekommen habe ich einen seltsamen Mix aus Dystopie, Autobiographischem und eine Art Mainstream-Kritik. Gerade wegen letzterer hatte mich das Buch auch angezogen. Doch Hettche verschenkt hier viel, vieles klingt zu gewollt, hätte geschickter verarbeitet eventuell besser funktioniert. Ich habe nach der Hälfte etwa abgebrochen, weil sich mir kein Sinn erschloss und die durchaus feine Sprache, die teils interessanten geschichtlich-philosophischen Einschübe haben diesmal das fehlende inhaltliche Gerüst nicht gestützt.

„Stille ist das, was wir spüren, wenn etwas unsere Träume zerreißt.“

Was allerdings schon herauszulesen ist, war die Erkenntnis des Protagonisten, ein sinkender Stern zu sein; der Protagonist, der auch Thomas Hettche heißt. Ich will das nicht hoffen und zähle auf den nächsten Roman.

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