Cordelia Edvardson: Gebranntes Kind sucht das Feuer Hanser Verlag


„Natürlich hatte das Mädchen schon immer gewußt, daß etwas mit ihr nicht stimmte.“

Elisabeth Langgässer war mir immerhin namentlich als Schriftstellerin ein Begriff. Ihre Tochter, Cordelia Edvardson, 1929 in München geboren, die Ausschwitz überlebte, kannte ich nicht. Als nun eine Neuauflage ihres autobiographischen Romans „Gebranntes Kind sucht das Feuer“ erschien wurde ich neugierig. In der Neuauflage, die ich nicht gelesen habe, schrieb Daniel Kehlmann ein überraschendes Nachwort. Als er den Elisabeth Langgässer-Preis verliehen bekam, begann er sich mit der Autorin zu beschäftigen.

„Ich war erschüttert und überwältigt: Wie konnte es sein, dass ein Buch von solchem Gewicht seit nun schon geraumer Zeit vergriffen war? Ohne Zweifel gehört es in die Kategorie der bleibenden Holocaust-Erinnerungen, ebenso wie die Bücher von Primo Levi, Imre Kertész, Jorge Semprún, Ruth Klüger oder Thomas Buergenthal.“

Daniel Kehhlmann in Volltext

Er stellte dabei den Verrat Elisabeth Langgässers bzw. das Im-Stich-Lassen ihrer Tochter in den Mittelpunkt. Die Neuausgabe aus dem Hanser Verlag wurde von Ursel Allenstein aus dem Schwedischen übersetzt. Da ich in der Bibliothek auf eine alte Ausgabe von 1986 stieß, las ich diese, von Anna-Liese Kornitzky übersetzte Version. Mich hat das Buch vor allem auch aufgrund der dichten Sprache getroffen. Und da passt es tatsächlich zu oben von Kehlmann benannten Autoren.

„Das Kind öffnete sich, wurde überschwemmt, erfüllt und berauscht von Geschmack und Duft, von Farbe und Form der Worte. Im späteren Leben des Mädchens bestätigte sich die Erfahrung, daß man von den Worten eines Gedichts buchstäblich leben und sich ernähren konnte.“

Das Mädchen Cordelia lebt mit der angebeteten Mutter, die Schriftstellerin ist und der Großmutter in Berlin. Elisabeth Langgässer ist eine schwierige Mutter, eine Art Diva. Cordelias Vater ist nicht da, sie ist ein uneheliches Kind. Als die Mutter einen blonden blauäugigen Mann heiratet, könnte alles gut werden. Doch Langgässer ist Halbjüdin und die Tochter, obwohl katholisch getauft, als Jüdin bald zum Tragen des Sterns aufgefordert. Das Mädchen, dass sich wünscht im Bund der Mädel mitzuwirken und weiter im Verein katholischer Mädchen zu sein, fühlt sich nun noch ausgegrenzter. Die Mutter versucht ihre Tochter durch eine Adoption von spanischen Bekannten vor den Nationalsozialisten zu retten, doch es gelingt nicht. Die Tochter „rettet“ schließlich unter dem Zwang der SS die Mutter vor Repressalien, die das schweigend zulässt. Sollte es nicht umgekehrt sein?

Die Tochter erlebt Theresienstadt, Zwangsarbeit in der Fabrik, später bringt man sie nach Auschwitz-Birkenau. Dort erlangt sie mit Glück eine Arbeit in der Schreibstube. Dennoch erlebt sie unfassbares Leid. Edvardson schildert das eindringlich und erschütternd in ausdrucksstarker Sprache. Doch „Sie überlebte. Sie wurde eine Überlebende.“ Nach der Befreiung durch die Alliierten wird das Mädchen vom Roten Kreuz aus dem Arbeitslager befreit und kommt nach Schweden. Sie wird nicht überall herzlich aufgenommen. Keiner kann verstehen, wie schwer überleben sein kann.

„Ihr wollt immer nur „einen Strich durch alles machen“, wie es so schön heißt. Ihr wollt mir meine Angst wegnehmen, sie verleugnen und ausstreichen und euch vor meiner Wut schützen, aber dann streicht ihr auch mich aus, „ausradieren“ nannten es die Deutschen, dann verleugnet ihr auch mich, denn all dies bin ich.“

Als später die Mutter Kontakt zu Cordelia aufnimmt, weil sie einen neuen Roman schreibt, fragt sie die Tochter nach genauen Einzelheiten ihrer Erlebnisse im Konzentrationslager, möglichst detailliert und korrekt. Ich bin hier als Leserin vollkommen sprachlos angesichts eines solchen Mangels an Sensibilität. Dass die Tochter überhaupt darauf reagiert, wundert mich. Cordelia konvertiert zum Judentum, heiratet zweimal, bekommt Kinder. Als Journalistin geht sie für viele Jahre nach Israel, kehrt aber 2006 nach Schweden zurück. Sie starb 2012 in Stockholm.

Eine weitere Besprechung gibt es bei Kulturbowle.

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