Wolfgang Hildesheimer: Das Paradies der falschen Vögel Edition Büchergilde

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Bereits 1953 ist diese Geschichte von Wolfgang Hildesheimer, der 1916 als Sohn jüdischer Eltern geboren wurde und der auch in der berühmten nachkriegsdeutschen literarischen Gruppe 47 verkehrte, erstmals erschienen. Ein witziges intelligentes Schelmenstück ist ihm damit gelungen, das aber auch allerhand zwischen den Zeilen lesen lässt und das zudem zeitlos ist. Was den großen Zauber dieser Ausgabe aus der Edition Büchergilde ausmacht, sind die fabelhaften Illustrationen (frei erfundener) falscher Vögel von Monika Aichele.

 

Um falsche Vögel geht es in Hildesheimers Geschichte, um Fälscher, genauer gesagt Kunstfälscher, noch genauer gesagt, um Fälscher, die die Künstler, die sie fälschen auch zuvor noch erfinden und in der Geschichte verankern. Mit gefälschten, fantasievoll erfundenen Daten. Frei erfunden, doch mit Ähnlichkeiten zu tatsächlich vorhandenen Ländern, ist auch die Gegend, wo Hildesheimer seinen Fälscher, Robert Guiscard, ansiedelt. Es handelt sich um die Procegovina, an die direkt Blavazien angrenzt, mit dem es auch immer wieder Auseinandersetzungen bezüglich des genauen Grenzverlaufs gibt. Unschwer ist darin der Balkan zu erkennen.

„Der Maler Ayax Mazyrka, der >Procegovinische Rembrandt< benannt, eine der bedeutendsten Erscheinungen der Kunstgeschichte, hat niemals existiert. Seine Werke sind gefälscht, und die Geschichte seines Lebens ist eine Fiktion.“

Wer dies dem Leser gleich eingangs unterbreitet, ist die Hauptfigur der Geschichte, Anton Velhagen, den es aber eigentlich auch nicht mehr gibt. Zumindest nicht mehr unter diesem Namen. Als Velhagen eines Tages per Post vom Ableben seiner Tante Lydia erfährt, beginnt er seine Geschichte aufzuzeichnen. Anton, der bei seiner skurrilen Tante, einer Kunst- und Krempel-Sammlerin, aufwächst entdeckt schnell seine Liebe zur Malerei. In Lydias Haus lernt er auch Onkel Robert kennen, der sich später als gewiefter Kunstfälscher entpuppt.

„In den Augen der Öffentlichkeit galt er einfach als Kunstsachverständiger und Sammler, daher auch sein Lebensstil durchaus nicht ungewöhnlich schien. Denn alle, die etwas mit Kunst zu tun haben, sind reich, außer den Künstlern.“

Robert Guiscard, dessen Kopf später auch die Idee des Volkskünstlers Mazyrka entsprang, hatte als Meisterschüler der Künste angeblich die Mona Lisa gefälscht. Er reiste durch die Lande, fälschte, wo er konnte, und kam schließlich durch seltsame, für den Leser ausgesprochen witzige, Umstände – eine Frau ist im Spiel und ein Zugschaffner – in das kleine Land Procegovina auf dem Balkan. Dort entsprang schließlich die Geschäftsidee, einen eigenen großen Maler für das Land zu erfinden, was in der Tat gelingt und dem Land Touristenströme und eine gefüllte Staatskasse einbringt. Als Anton Velhagen in die Procegovina reist, hat Robert bereits den Posten des Kultusministers eingenommen. Anton, der sich nahe der Landesgrenze niederlässt, um in Ruhe mit seiner Malerei voran zu kommen, wird in die absurdesten Ereignisse verstrickt, die schließlich bis zum Identitätsverlust führen, und die sich auszudenken einer besonders reichen Phantasie bedarf …

Hildesheimer hatte sie offenbar. Er macht sich lustig über den Kunstbetrieb und die dazugehörige Politik und stellt gleichzeitig in Frage, was wirklich echt ist und was falsch. Ihm ist eine witzige, schräge Geschichte gelungen, die enormen Spaß macht. Auch sprachlich zieht er alle Register. Ich bin begeistert, da es so selten kluge und dennoch humorvolle Bücher gibt. Ein ungefälschtes Leuchten!

Im Anhang des Buches finden sich ein Nachwort zu den falschen Vögeln von Monika Aichele. Auch sie schwelgt in Vogel-Fälschungen, die herrlich anzusehen sind und deren Erläuterungen sich direkt auf Hildesheimer Fälscherparadies beziehen.

Das Buch ist selbst ein Kunstwerk. Es ist in changierendem Leinen gebunden, mit silbrig eingeprägtem Titel, fadengeheftet und mit zwei Lesebändchen ausgestattet. Die Illustrationen sind eigens für das Buch entstanden mit Tusche, digital coloriert und auf feinstem Papier gedruckt. Erschienen ist das Buch in der Edition Büchergilde. Eine Kostprobe gibt es hier .

Wer mehr über Wolfgang Hildesheimer lesen möchte, dem sei die Biographie empfohlen, die Monika Vasik kürzlich auf fixpoetry vorgestellt hat.