Katrin Schumacher: Liste der gebliebenen Dinge Leykam Verlag


Katrin Schumacher ist Literaturwissenschaftlerin und ich kenne sie als Kritikerin aus der Literatursendung „Buchzeit“ von 3sat. Sie war auch Literaturredakteurin beim MDR. Nun ist sie als Autorin unterwegs und ihren Debütroman lernte ich kennen durch eine halbstündige Lesung auf hr2-Kultur (link siehe unten), die ich wirklich großartig fand. Ich bedaure, dass es hier kein Hörbuch gibt. Andererseits ist das Buch schon von außen ein sogar haptischer Genuss. Der Schutzumschlag mit dem farbenfrohen Stilleben, welches sich auf dem Einband darunter wiederholt, aber eben farblos, in changierendem Grau weist auch bereits auf den Inhalt hin.


Es ist eine Geschichte, die nirgendwo hin will. Eine Geschichte, in der die Sinnlichkeit eine Hauptrolle spielt. Es wird gerochen, geschmeckt, berührt, gespürt, geliebt. Die Natur und ihre Produkte, Pflanzen, Tiere, überbordend im Verlauf eines Sommers. Das „Stirb und Werde“. Aber auch die Kunst. Die Malerei, die Fotografie, die Kochkunst. Und zwei verliebte Frauen. Das Ganze lebt in einer poetischen, innigen Sprache auf und wird in diese eingebettet. Wer Wörter wie „lawede“ und „saumselig“ verwendet, hat sofort meine ungeteilte Aufmerksamkeit.

Es ist die Liebesgeschichte zweier Frauen, die beide Künstlerinnen sind. Die eine, Mirren, malt, würde ihre Bilder aber am liebsten behalten, die andere, Kato, zeigt ihre Kochkunst, die sie anhand von alten Gemälden mit Stillleben auswählt und für ihre wohlhabenden Kunden fotographisch aufbereitet. Sie lernen sich in einem Museum in einer Stadt in den Niederlanden kennen und versinken sogleich in der Betrachtung eines Stilllebens und im Gespräch über Quitten.

„Als ich sie zum ersten Mal sah, betrachtete sie gerade die Quitten auf einem Gemälde von Frans Snyders. Ein Gemälde, das eigentlich Unmögliches darstellte: Quitten, Pfirsiche, Trauben, Pflaumen, Feigen, Kirschen und Erdbeeren, alle gemalt wie frisch gepflückt. Und doch Früchte, die niemals zusammen reif werden. Eine Allegorie der überirdischen Fülle, vor der stand sie in dem hohen, dunkelrot gestrichenen Raum an der Längswand mit den goldenen Zierleisten, stand vor den Quitten und überlegte, erzählte sie später, wie man sie vor vierhundert Jahren wohl zubereitete.“

Beide sind fasziniert voneinander und fallen sofort in eine Beziehung. Mirren hält sich oft in Katos Wohnung auf, in der es immer kulinarische Entdeckungen gibt, die auch das Liebesspiel bereichern. Die Darstellung erweitert sich durch einige Figuren mehr, die aber kaum in Erscheinung treten und verengt sich wieder, als die beiden in eine kleine Stadt in Mirrens Heimatland ziehen. Ein recht seltsames, undurchsichtiges Ereignis, bei dem Mirren unter Drogeneinfluss steht, vertreibt sie. Dazu kommt dann die „Bude“, eine kleine Hütte im Wald, spartanisch ohne jeglichen Komfort, die sich die beiden nach ihren Wünschen herrichten und in der sie dicht mit der Natur leben. Hier kommt es zu Irritationen, zu merkwürdigen Bewegungen in den Wänden. Mitunter kommt beiden der Geruchssinn abhanden. Es gibt einen verschwundenen See, einen vorhandenen Fluss. Wasser ist wichtig und wird in der Zisterne gesammelt. Katos Kindheit am Bach bleibt geheimnisvoll und unausgesprochen. Zu spüren ist sehr deutlich, dass das Weltgeschehen Unheil in sich trägt.

„Wir haben etwas herausgefunden, denke ich, als wir im Dunkeln nebeneinander vor unserer alten Bude sitzen und merken, dass wir den Geruchssinn verlieren oder – und das ist der andere Gedanke – die Welt ihren Duft verliert.“

Schumacher macht diesen Roman durch außergewöhnliche Be- und Umschreibungen selbst zu einem Kunstwerk. So viele Bilder entstehen beim Lesen. Das Quittengelee scheint durch die Buchstaben hindurch zu duften. Die Natur scheint zum Greifen nah. Der Rückzug aus der „Menschenwelt“ lässt die Hauptfiguren sich noch mehr in ihre eigene sinnliche Welt vertiefen. Aufgrund der mäandernden Geschichte, die mal hier hin, mal dort hin streift, oft geheimnisvoll und zurückhaltend, könnten plotorientierte Leser*innen etwas unruhig werden. Mir gefällt gerade das sehr. Das Buch ist anspruchsvoll. Das liegt auch daran, dass man der Autorin die Freude am Fabulieren direkt anmerkt. Sie webt kleine Märchen mit ein, kurze lyrische Ideen. Oft zeigen sie die Welt zwischen Aufblühen und Vergänglichkeit. Stillleben – Natura morta. So heißt auch das letzte Kapitel. Katrin Schumachers Debüt zeugt von großem Können. Ein Leuchten!

Liste der gebliebenen Dinge“ erschien im Leykam Verlag. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

https://www.ardaudiothek.de/episode/erste-romane/erste-romane-liste-der-gebliebenen-dinge-2-5-oder-autorinnenlesung-von-katrin-schumacher/hr2-kultur/13215419

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