Christian Kracht: Die Toten Kiepenheuer & Witsch Verlag

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Egal was die Medien mit diesem Buch so treiben, ob Hype oder Verriss oder Vorabinterview: Ich mag den neuen Roman von Christian Kracht! Das liegt ganz sicher an den skurrilen Gestalten, die diesen Roman bevölkern und an Krachts exzentrischer Art zu schreiben.

In fast jeder Rezension ist zu lesen, dass Kracht seine Geschichte mit enervierend vielen Adjektiven spickt. Das ist in der Tat so. Nur stört es mich nicht; ich finde es im Gegenteil erfrischend, denn Kracht verwendet ja keine verbrauchten, sondern eher selten verwendete Wörter. Manche scheint er besonders zu mögen, die kommen dann gleich vielfach vor, so zum Beispiel oszillierend oder opak. Im Kontrast dazu verwendet er dann auf der anderen Seite so niedliche Verben wie purzeln oder plumpsen. Kracht gelingen auch schöne Worterfindungen. Ironie paart sich mit Melancholie. Oft flicht er merkwürdige Symbole ein wie etwa der hellviolette Bleistift, der ein paar Seiten später zartviolett ist oder man wird informiert, dass beide  Hauptfiguren auch im Erwachsenenalter noch Nägel kauen; Symbole, die man nicht so recht zu deuten weiß, die aber den Text auf skurrile Weise vervollständigen. Es ist ein atmosphärisch dichtes Buch, dessen seltsame Stimmung nach und nach den Leser selbst durchdringt.

Das Buch beginnt mit der Beschreibung einer Live-Verfilmung eines Seppuku, also eines traditionellen japanischen Freitods. Um den Tod und um Vergänglichkeit geht es überhaupt hauptsächlich in dieser Geschichte, wenngleich man das zunächst nicht vordergründig merkt. Es ist eher so, dass man ihn hinter allem lauernd spürt. Zumindest ging es mir so beim Lesen.
Es gibt zwei fiktive Hauptfiguren, den Schweizer Emil Nägeli und den Japaner Masahiko Amakasu und eine prominente Gastfigur, nämlich Charlie Chaplin und weitere nichtfiktive Mitstreiter, darunter Heinz Rühmann, Siegfried Kracauer, Lotte Eisner, Hugenberg und Hamfstaengl. Außerdem gibt es noch zwischen all den Männern die schöne Schauspielerin Ida. Die beiden zentralen Personen werden eingangs recht ausführlich vorgestellt, das beginnt schon mit der Kindheit, die denn auch für beide höchst prägend war. Kurz gefasst: strenge Eltern, sensible, sonderliche Söhne.

„Sein Vater hatte ihn nur einmal geschlagen, wenn auch mit der Rückseite der geballten Faust ins Gesicht; Masahiko kaute an seinen Fingernägeln, und weil an ihnen nichts mehr Ernsthaftes abzuernten gewesen war, hatte sich der Junge über die Fußnägel her gemacht.“

Die Geschichte an sich spielt anfangs der Dreißiger Jahre, als die Nazis immer mächtiger werden. Der Schweizer Filmemacher Nägeli wird nach Berlin eingeladen, wo ihm von höchster Stelle, namentlich von Reichsminister Hugenberg, ein großzügiges Angebot unterbreitet wird, einen Film in Japan zu drehen, ja, eine eigene Filmgesellschaft für ihn zu gründen, um den starken Einfluss der amerikanischen Filmindustrie zu schwächen. Dort trifft er aber auch auf Lotte Eisner und Siegfried Kracauer, die gerade dabei sind sich der eigenen Sicherheit wegen aus Berlin in Richtung Paris zu bewegen und die ihm die Idee einpflanzen anstelle der erwarteten Komödie einen Schauerfilm zu drehen.

„Er muß sich etwas Neues ausdenken, etwas noch nie Dagewesenes, es muß fehlerhaft sein, ja, exakt das ist die Essenz; es reicht nicht mehr, durch Film eine transparente Membran erschaffen zu wollen, die vielleicht einem von tausend Betrachtern vergönnt, das dunkle, wunderbare Zauberlicht hinter den Dingen erkennen zu können. Er muß etwas erschaffen, das sowohl in höchstem Maße künstlich ist, als sich auch auf sich selbst bezieht.“

Nägeli fliegt schließlich nach Tokio, wo auch seine Geliebte Ida sich zur Zeit aufhält. Dort soll er mit Amakasu zusammenarbeiten, der sich allerdings gerade mit der Schauspielerin eingelassen hat. Kracht führt alle auf einem großen Bankett zusammen. Ein zur gleichen Zeit geplanter Mordanschlag , der den Premierminister und Chaplin treffen sollte, wird durch Zufall vereitelt.
Von da an klappt nichts mehr wie es geplant war. Charlie Chaplin macht allen einen Strich durch die Rechnung, er verkörpert in der Geschichte den Bösewicht, der unsere Hauptfiguren in den Tod oder zumindest mehr oder weniger in den Wahnsinn treibt. Am Schluss finden wir allein Nägeli wieder zurück  in der Schweiz, allerdings mit einem ganz anderen Film als erwartet.

Der Roman „Die Toten“ erschien im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Eine Lesprobe findet sich hier

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