Myriam Leroy: Rote Augen Edition Nautilus


Ein wenig erinnert mich dieser Roman an Doris Knechts Roman Die Nachricht“. Darin geht es auch um Stalking in sozialen Medien, um Cybermobbing. Doch Myriam Leroys autobiografischem Roman Rote Augen merkt man an, dass die Autorin Journalistin ist und fürs Theater schreibt. Ihr Text ist sachlicher gehalten, benutzt verschiedene Formen, ist anders strukturiert als ein Roman, der eine fiktive Geschichte erzählt.

Gleich eingangs werden wir mit der Stimme eines Mannes konfrontiert, der mit der Hauptfigur, einer Radiomoderatorin Kontakt aufnehmen will. Sie nimmt die Freundschaftsanfrage auf Facebook an. Anfangs geht es um Bewunderung für ihre Arbeit, dann für ihr Aussehen und schließlich will sich der Mann, mit ihr treffen. Obwohl der Mann verheiratet ist und weiß, dass sie liiert ist, zielen die Nachrichten des Mannes auf ein Treffen, womöglich sogar bei ihm oder ihr zuhause. Jeder Frau, die in den sozialen Medien unterwegs ist, dürfte so etwas bekannt vorkommen.

„Er habe wirklich nicht vor, mich abzuschleppen, erinnerte er nochmals. Es gehe nur um die Gelegenheit, mich in einem informellen Rahmen besser kennenzulernen. Er sei nämlich felsenfest davon überzeugt, dass wir uns viel zu sagen hätten.“

Was mich gleich eingangs irritiert: Es werden sämtliche Nachrichten, die die Hauptfigur über alle möglichen Kanäle von dem Mann, der sich bezeichnenderweise „Denis, the Menace“ nennt, erhalten hat, nacheinander aufgeführt. Mir fehlt hier sogleich der Gegenpart: die Antworten der Hauptfigur sind nämlich nicht mit abgedruckt. In einem Interview lese ich, dass die Autorin diese Perspektive beabsichtigt hat. Dennoch ist gut zu spüren, wie sich der Dialog, der überwiegend von der männlichen Seite ausgeht nach und nach verändert, je mehr sich die Angesprochene zurückzieht. Man, oder hier tatsächlich eher frau weiß sofort, dass das Ego dieses Mannes das nicht erträgt. Dazu mischen sich zustimmende, sie beleidigende männliche Stimmen als Kommentare auf seine social-media-posts mit ein. Es kommen von ihm Anzüglichkeiten, Beschimpfungen, dann wieder Beschwichtigungen, bevor es ganz eskaliert. Die Freunde und Kollegen der Frau, sogar ihr Partner werden hineingezogen in diesen Kampf. Freunde haben hilfreiche oder weniger hilfreiche Verhaltensempfehlungen, der Partner wird sogar direkt belästigt, was bis zur Trennung führt. Sie selbst wird krank, bekommt einen anhaltenden Ausschlag, der „rote Augen“ macht, nimmt Medikamente gegen die Angst, wird arbeitsunfähig.

„Wie ich erst später feststellen sollte, war er ein kaltblütiges Tier, das nicht besonders intelligent war, aber einen wilden Instinkt hatte, denn er hatte sofort erkannt, dass ich, wie die meisten Frauen dazu erzogen worden war, nett zu sein, kein Aufsehen zu erregen, andre nicht das Gesicht verlieren zu lassen, niemanden zu demütigen – vor allem keine Männer.“

Das Ganze endet nach Ratschlägen von Freunden und Bekannten, Polizeianzeigen, von Rechtsanwaltskonsultationen bis Hausdurchsuchung nach mehreren Jahren(!) vor Gericht … und leider für die Klägerin nicht gut. (Weiteres dazu im Interview, link unten)

Mich hat gewundert, dass die Protagonistin nicht viel eher blockiert und den Schriftverkehr rigoros abgebrochen hat. Später lese ich als irgendwie schon plausible Erklärung dafür, dass sie das selbst immer wieder hinterfragt und letztlich einfach freundlich, aber distanziert sein wollte, gerade als öffentlich bekannte Person und dass das ganze irgendwann einschlafen würde. Leider, aber erwartbar, hat es so nicht funktioniert.

Das hochaktuelle brisante Buch über Misogynie in den sozialen Medien erschien in der Edition Nautilus. Übersetzt aus dem Französischen wurde es von Daniela Högerle. Eine Leseprobe und ein interessantes Interview gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

Hinterlasse einen Kommentar