Tanikawa Shuntarõ: minimal Secession Verlag

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Es ist weiß wie Schnee. Auf dem Einband ist fühlbar der Titel-Schriftzug minimal eingeprägt – weiß auf weiß. Darunter steht Tanikawa Shuntarõ Gedichte. Was ich hier vor mir liegen habe ist ein Meisterwerk der Buchkunst! Ein visuelles und haptisches Erlebnis!
Da reden doch gerade alle von „Das Schiff des Theseus“ als vermeintlich schönstem Buch des Jahres, ich muss ganz klar widersprechen. Für mich ist dieses weiße Buch aus dem Secession Verlag tausend mal schöner! Ein Leuchten!

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Der Band enthält eigentlich drei Bücher und kann wie ein Leporello aufgeklappt werden. Dann liegen sie vor mir und ich sehe bereits den Kranich aufsteigen. Auf jedem der drei schwebt er ein Stück höher gen Himmel. Alle Teile bestehen aus doppelseitigem feinsten Papier, innen hellblau, außen weiß und haben einen Leinen-Buchrücken in derselben Farbe. Sie sind außerdem einzeln herausnehmbar. Da ich mich gerade selbst ein wenig mit der Buchbindekunst beschäftige, sehe ich die verschiedenen Herstellungsschritte vor mir und bin beeindruckt.

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Die Gedichte sind zweisprachig abgedruckt, auf der linken Seite, wieder in hellem Blau, das Original in Japanisch und rechts die deutsche Übersetzung. Jeder Teilband beinhaltet zehn Gedichte. Jedes Gedicht besteht aus Dreizeilern, mal vier, mal fünf, mal sechs Verse. Feinste japanische Ordnung. Ich denke sofort an ZEN. Doch die Gedichte selbst sind vom Inhalt her nicht streng. Sie sind direkt und klar, aber durchaus durchwoben von Alltäglichem. Kein Wort ist zuviel, doch jedes ist notwendig. Es ist Verdichtung par excellence. Das Lesen gleicht einer Meditation. Ich bin ganz in jedem Wort.

Wie es ist

Und wieder steht ein befreundeter Toter
hinter seinem Reisekoffer
weiß weder aus noch ein

ermüdet vom Suchen nach seiner Seele
bleiben wir zurück
hinter einem Teller Mandeljelly

der Regen lässt nach
ein Sonnenstrahl hellt den Himmel auf
Börsenzahlen flimmern über die Strasse

alles wie es ist
bewegt sich
in Richtung Erinnern

Der 1931 geborene Dichter Tanikawa Shuntarõ veröffentlichte 1952 sehr erfolgreich seinen ersten Lyrikband und hat seitdem in verschiedensten Stilarten geschrieben. Seine Arbeitsweise ist vielseitig. Zuletzt arbeitete er mit Renshi, Kettengedichten, die er unter anderem mit dem Schweizer Lyriker Jürg Halter schrieb und die unter dem Titel „Sprechendes Wasser“ als zweisprachige Ausgabe im Secession Verlag erschienen.
Die hier in „minimal“ versammelten, bereits 2002 in Japan veröffentlichten Kurzgedichte bildeten einen Bruch in Tanikawas Schreiben. So wollte er eigentlich eine Schreibpause einlegen, eine „Zeit des Schweigens“, aus der dann diese konzentrierte Lyrik hervorging.
Übersetzt wurde die vorliegende Ausgabe von Eduard Klopfenstein.

9 Gedanken zu “Tanikawa Shuntarõ: minimal Secession Verlag

  1. Ich widerspreche mit.
    Wenn wieder Budget da ist, wird es bestellt.
    (Übrigens gibt es ein wunderschönes YouTube – Video dazu. Mag aber nicht ohne Erlaubnis Links setzen)
    Danke für den Tipp
    Herzlichst
    Erich

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  2. Das sieht schon toll aus, so rein und leicht. Ich vermute, Du hast Recht mit dem schönsten Buch – obwohl, es gibt inzwischen ja doch einige richtig schöne Bücher. Dieses hier sieht jedenfalls nsch einem sehr besonderen aus .
    Danke fürs Vorstellen und
    liebe Grüße
    Kai

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    • Lieber Kai,
      Ich persönlich sagte nicht, dass es das schönste Buch ist (ich glaube, Secession hat das auf FB daraus gemacht). Superlative sind immer schwierig. Ich zog nur einen Vergleich zu einem anderen, stark beworbenen Buch. Mein ganz persönlicher Geschmack!

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  3. Wenn das, was Du sagen möchtest, nicht schöner ist als die Stille, dann schweige!

    obwohl es nicht ganz zu passen scheint, schließlich sagt uns der dichter ja etwas mit seinen gedichte, passt dieser spruch, denke ich, sehr gut auf das buch, das du vorstellst. denn es scheint ja fast so schön zu sein wie die stille….. danke, daß du mich darauf aufmerksam gemacht hast!

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  4. Liebe Marina,
    pardon, wenn wir das überinterpretiert haben. Wir dachten 1000x schöner als das „vermeintlich schönste Buch“ ist dann das schönste Buch. Ist ja auch nicht so schlimm, es ist ein schönes Buch, auf das wir ein bisschen stolz sind, denn es war alles andere als einfach, es zu einem halbwegs erträglichen Preis anbieten zu können. Ohne die Unterstützung von zwei Stiftungen, denen wir unendlich dankbar sind, hätten wir es nicht geschafft. Übrigens, das ist offiziell noch gar nicht bekannt: »minimal« hat gerade den »Good Design Award 2015« des Chicago Athenaeum: Museum of Architecture and Design und des European Centre for Architecture Art Design and Urban Studies gewonnen (pssst, noch nicht weitersagen…). Und wer das Buch noch haben möchte, sollte sich sputen: Von der ersten und mit Sicherheit einzigen Auflage haben wir noch ca. 200 Exemplare, 1800 sind weg.
    Ganz herzliche Grüße vom Secession Verlag für Literatur

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    • Liebe Secessionisten, danke für die Info! Gut, dass es noch solche Unterstützung für bibliophile Projekte gibt. Und ob es schön, schöner, am schönsten ist, mag jeder selbst entscheiden;-)
      Ich war mal so frei und hab den Video-Link entfernt. Den findet man, wen´s interessiert, ja auch so.

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