Christine Dwyer Hickey: Schmales Land Unionsverlag


Ein Buchcover von Edward Hopper? „Sea Watchers“ heißt es und gemalt wurde es 1952. 1950 spielt auch der Roman der irischen Autorin Christine Dwyer Hickey. Ihr Name war mir bisher kein Begriff, doch mit dem Roman „Schmales Land“ schreibt sie sich in mein Leserinnenherz. Ich bin ja ohnehin Fan von Romanen, die Künstlerbiographien in Literatur verwandeln und hier geht es eben um Edward Hopper, oder vielmehr um dessen Frau Josephine, oder um deren Beziehung, oder vielmehr um den kleinen Waisenjungen Michael aus Deutschland. Es ist der Klassiker: Josephine ist auch Malerin, als sie Hopper kennenlernt. Erst malen sie gemeinsam und dann ist sie irgendwann nur noch Muse beziehungsweise stellt ihre eigenen Ambitionen hinter die ihres Mannes. Sprich, sie unterstützt seine Karriere, seinen Erfolg aktiv und wird selbst immer unsichtbarer.

„Nach allem, worauf ich für dich verzichtet habe. Nach allem, was ich für deine Karriere getan habe, dir den Vortritt gelassen, mich zurückgenommen. Weil ich dachte. Irgendwann. Irgendwann bin ich dran. Irgendwann würdest du mich unterstützen. Oh, wie dumm wir Frauen doch sind. Was habe ich mir dabei nur gedacht.“

1950: Die beiden verlassen New York in Richtung Sommerfrische und verbringen ihre Zeit wie jeden Sommer in ihrem Haus am Meer auf Cape Cod. Der eine Krieg ist vorbei, doch der nächste schon wieder da. Das Ehepaar ist zerstritten, dann wieder versöhnt, ein hin und her, doch verlassen sie einander nicht. Josephine ist verbittert, weil Edward immer die Hauptfigur ist und sie am Rand steht. Zunächst meidet sie den Kontakt mit den Nachbarn, obwohl sie sich eigentlich nach Gesellschaft sehnt. Das ändert sich, als sie plötzlich Bekanntschaft mit Michael, einem 10jährigen Jungen macht, der bei den Kaplans, entfernten Nachbarn für den Sommer untergebracht ist. Er ist ein deutscher Waisenjunge, der nach dem Krieg in den USA adoptiert wurde, vom Krieg und dem Verlust der Eltern jedoch sehr gezeichnet ist. Am Meer soll er sich erholen und Richie, dem Sohn/Enkel der Kaplans Gesellschaft leisten. Doch die beiden kommen nicht miteinander klar. Michael ist oft sehr direkt und ehrlich und hat gleichzeitig eine sehr scheue Art. Mit Josephine, die er Mrs. Aitch nennt, freundet er sich an, kommt sie besuchen im Haus und so kommen sich beide mit ihren Eigenarten näher und schließen einander nach und nach ins Herz.

In diesem Sommer kommt Edward kaum voran mit dem Malen, obwohl er fast täglich zu Erkundungstouren aufbricht und Skizzen mitbringt. Der Funke will nicht überspringen. Josephine versucht zu helfen, doch beide sind zu gereizt. Über Michael entsteht schließlich ein Kontakt zu den Kaplans. Man trinkt Tee miteinander, redet über den Sommer am Meer. Von den Kaplans werden sie schließlich zu einer Party anlässlich des Labor Days eingeladen. Edward ist bald fasziniert von der schönen, aber todkranken Katherine, die im Haus der Kaplans zu Gast ist und die auch Michael heimlich verehrt. Michael hat das Meer noch nie gesehen, ist ängstlich. Auch gegenüber Menschen. Er baut sich einen Unterschlupf in den Dünen und sammelt kleine Dinge, die er im Haus oder am Strand findet und taucht einfach ab, wenn es ihm zu viel wird. Sicherlich ist er traumatisiert von Kriegserlebnissen, doch näheres aus Michaels Vergangenheit erfahren wir nicht. Seine Adoptiveltern werden kurz erwähnt.

Die Spannung in der Geschichte steigert sich hin bis zum Höhepunkt: der Party am Labor Day. Josephine ist nervös und aufgeregt, gleichzeitig fühlt sie sich minderwertig gegenüber den anderen. Penibel plant sie beispielsweise, wann und wie man einen Blumenstrauß überreichen könnte, damit möglichst im Gedächtnis bleibt, dass er von ihnen, den Hoppers, kommt. Damit und mit vielem anderen, z. B. auch mit Eifersucht, treibt sie Edward mitunter zur Weißglut. Edward hingegen verheimlicht ihr, dass der befreundete Galerist, der Josephines Bilder ausstellen sollte, dieses in einem Brief ablehnt. Er hält sie nicht für gut genug. Josephine indessen wartet sehnlichst auf den Brief mit einer Zusage. (Natürlich findet sie es später heraus.)

Wie Hickey die Reibereien und auch die noch so kleinen Missverständnisse der Hoppers beschreibt, ist große Erzählkunst. Sie schafft eine Atmosphäre, die oft drückend ist, wie die Sommerhitze. Auch Michael, für mich die eigentliche Hauptfigur ist eindringlich ausgearbeitet und kommt mir sehr nah. Michael schafft es sogar zeitweise, wenn auch unbewusst, die Hoppers sich wieder annähern zu lassen. Mir scheint, auch Michael merkt, was auch ich zu erkennen glaube: die Hoppers lieben einander innig, trotz aller Streitigkeiten, brauchen diese sogar, um sich nah zu bleiben.

„Und dann wird es doch noch ein sehr netter Spaziergang. In der Luft ist noch die Sommerlust, die Wege schäumen vor Wildblumen, die nicht ahnen, dass ihre Tage gezählt sind. Geißblattduft überall, fast ein bisschen zu viel. Außerdem lockt am Ende dieses wirklich sehr angenehmen Gangs immerhin eine Party. Und was wäre schöner – als eine Gartenparty an der Schwelle zum Nachsommer?“

Den Höhepunkt, das Fest, beschreibt die Autorin ganz faszinerend genau. Sie, und damit wir Leser, blickt hinter die Kulissen, sieht kleine und große Gesten und wirkt entlarvend. Die Reichen und Schönen werden zu Überheblichen und Verlogenen. Für Michael geht das Fest nicht gut aus, für ihn ist der Labor Day der letzte Tag seines Aufenthalts. Er wird eines Diebstahls beschuldigt, den er nicht begangen hat und wird von den Adoptiveltern abgeholt. Gut, dass die Hoppers den tatsächlichen Dieb kennen und das „Missverständnis“ aufklären können … Und letztlich hat Edward am Ende des Sommer dann auch das Bild gemalt, dass wirklich stimmig ist.

Ein Leuchten für dieses Buch, das als Sommerlektüre aber auch sonst immer bestens geeignet ist!

Schmales Land erschien im Unionsverlag. Übersetzt aus dem Englischen hat es Uda Strätling. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

Hinterlasse einen Kommentar