Anna Baar: Die Farbe des Granatapfels Wallstein Verlag

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Ich befand mich mit Anna Baars Roman im Sprachrausch, alle Sinne geflutet!
Hellstes Leuchten und große Erfüllung!

Dieser Roman umfängt den Leser sofort mit seiner dichten Atmosphäre. Ich fühle mich, als bin ich direkt dabei, ich rieche das nahe Meer, neben mir rauscht der südliche Wind und ich finde mich unter den alten Olivenbäumen in Nadas Garten. Es ist mir, als begleite ich das Kind, später das junge Mädchen, die Frau und lausche ihrer inneren Stimme…

„Sag du mir, was ich sagen soll, wie du es immer getan hast, vielleicht erbreche ich dann mein Schweigen, weil meine Wirklichkeit so schlecht auf deine passt. Vielleicht speie ich dir dann alles Verheimlichte vor die schlecht durchbluteten Füße oder klappe meine Schädeldecke auf – mein Kopf dann ein aufgeplatzter Granatapfel, aus dem Millionen kleiner fleischiger Kerne explodieren.“

So erinnert sich die Erzählerin an ihre Kindheitssommer auf der Insel, die durch die übermächtige Großmutter Nada und deren mystische Geschichten, die die archaisch anmutende Insel hervorbringt, geprägt waren. Die Großmutter, in ihrer eigenen Angst verhaftet, wird zur emotionalen Erpresserin und erdrückt das Kind mit ihrer Liebe, versucht ihm den Eigensinn auszutreiben.

„Sie immer: Wen liebt Nada am meisten?
Das Kind schwieg.
Sie dann mit freundlicher Schärfe: Sag: Mich!
Das Kind wider Willen: Mich.“

Das Mädchen beobachtet, nimmt wahr. Es ist ein stilles Kind. Es lebt in zwei Welten. Im Sommer bei der Großmutter Nada auf einer kleinen Insel vor Jugoslawien – Mutterland, den Rest des Jahres in einer Kleinstadt in Österreich – Vaterland. Seit es 2 Jahre ist, bringen es die Eltern zu den Großeltern in die „Sommerfrische“. Vom wohlbehüteten Leben im Elternhaus erfährt der Leser wenig. Auch die Veränderungen durch den Jugoslawien-Krieg werden kaum erwähnt. Anna Baars Thema ist ein anderes. Das Kind bleibt hin- und her gerissen zwischen den Ländern und Sprachen – Heimat scheint beides nicht, ein Fremdsein hier wie dort.

„Da war alles benannt und verdichtet in einem einzigen Wort. Mond: ein Sommernachtshimmel, die Dunkelangst, die Sichel als Urbild der vom Erdschatten verhangenen Wechselgestalt, kaum je ganz im Licht, nur dreimal alle Sommer, und Bald ist Vollmond, bald, so flüchtig dann wie Vaters Klaviersonate, der erste Satz: die Herzschritttriolen, die Langsamkeit in Cis-Moll, weil im anderen Land, dem sommerlosen, auch kein Ankommen ist, nur ein spiegelverkehrtes Sehnen, eine spiegelverkehrte Abwesenheit.“

Die Großmutter spart an allem, Essensreste werden drei, vier mal aufgewärmt, obwohl davon allen schlecht wird, die Teebeutel werden mehrfach benutzt, Papier zum Schreiben wird rationiert. Am Vaterland der Enkelin lässt sie kein gutes Haar und von morgens bis abends arbeitet sie, im Garten, im Haus, denn sonst bringt man es ja zu nichts.
Auch im Heranwachsen bleibt die starke Verbindung zur Großmutter, die von Widerstand und Hingabe geprägt ist. Doch langsam verschiebt sich etwas, ändern sich die Gewichtungen.

„Das Geschriebene schien wahrer als das Dahingesagte, das sich, einmal ausgesprochen, im Nu verflüchtigte, wie Nadas vollmundige Versprechen – und lag nicht schon im Wort Versprechen ein Hinterhalt, der Hinweis auf ein Versehen? Im Schreiben konnte man die Vatersprache gebrauchen, die leibliche Sprache, in der man für Wochen schwieg und doch fortwährend dachte, träumte und empfand.“

Auch als Erwachsene kehrt das Kind, das Mädchen, immer wieder auf die Insel zurück und die Begegnungen mit Nada wandeln sich. Nada erzählt vom Krieg, von all den Grausamkeiten, als sie als Partisanin im 2. Weltkrieg gegen die Deutschen gekämpft hat und dabei ihre geliebte Schwester verlor. Zum ersten Mal geschieht so etwas wie eine Öffnung, ein Verständnis füreinander.
Und eines Sommers kommt Nada nicht mehr auf die Insel…

„Es waren unergiebige Tage. Die Feigen waren zu ernten, wir ließen sie verdorren, das Unkraut war zu jäten, es nahm überhand. Nada fehlte und fehlte, fehlte in allen Zimmern und Winkeln, in jedem Zwischenraum, in jeder Pflanze, jedem Stein dieses verwilderten Gartens, sogar in den Schmetterlingsflügeln und Käferlarven, in den Spiralen der leeren Schneckenhäuser, die mir einst Fundstücke waren. Eines Tages, wenn ich nicht mehr bin, wirst du sehen, wie gut du es hattest.“

Es ist eine gewaltige Geschichte. Anna Baar weiß wie man Erinnertes, Erlebtes überzeugend in echte Literatur verwandelt. Ihr autobiografischer Roman ist ein Sprachfeuerwerk, das seinesgleichen sucht. Ich war lange nicht so eingenommen von einem Roman. So sehr, dass ich es kaum schaffe zum nächsten Lesestoff über zu gehen…

Anna Baar las dieses Jahr beim Bachmann-Wettbewerb und kam bis auf die Shortlist. Der dort gelesene Text, ein Auszug aus dem Roman, und Informatives über die Autorin ist hier zu finden:
http://bachmannpreis.orf.at/stories/2708993/
„Die Farbe des Granatapfels“ ist ihr Debütroman, im Wallstein Verlag erschienen(Fadenheftung!) und derzeit auf Platz 1 der ORF-Bestenliste.

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