Kjartan Hatløy: Die Lippen verlangen nach Ocker edition offenes feld

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Der Norweger Kjartan Hatløy, Jahrgang 1954, ist in seinem Heimatland als Lyriker durchaus bekannt. Er hat dort bereits viele Gedichtbände veröffentlicht. Sein neuester Band wurde in einer norwegischen Zeitung immerhin auf einer Doppelseite vorgestellt. So etwas ist hierzulande gar nicht denkbar. Hatløy lebt in Westnorwegen und arbeitete als Werftarbeiter und als Landwirt. Und er ist der Onkel von Karl Ove Knausgard.

In deutscher Sprache ist nun zum ersten Mal eine Sammlung seiner Gedichte erschienen, zusammengestellt und übersetzt von Klaus Anders, der den Autor schon lange kennt und selbst Lyrik schreibt.

„ich gehe vorbei
spüre die Lippen verlangen nach Ocker
will in dem Gelben wohnen
[…]“

Was mir sofort zu den Gedichten einfällt ist Tiefe. Hatløy bleibt niemals nur an der Oberfläche. Selbst wenn viele der Gedichte als Naturlyrik benannt werden könnten, gibt es immer darunter auch eine zweite Schicht eine weitere Lesart. Für mich gründen sie auf großer Naturverbundenheit und auf reinster Wahrnehmung. Niemals sind sie lau. Hatløy hält Zwiesprache mit seiner Welt, seine Sprache entspringt womöglich einer gewissen Hellsichtigkeit.

„Bevor die Julisonne aufsteht
sammelt sie sich eine Weile im Heuschreckenlaut
mitten im Luchsauge wohnt sie ein wenig
und mitten in unserer Erwartung
im gelben Blut verbirgt sie sich
und dann, sehr tief: in allen Menschenhänden für den Ernst einer Zeit“

Im ersten Teil des Bandes finden sich Gedichte in freien Versen, formlos. Oft erinnern sie an Haikus. Später löst sich die Verform auf, entwickelt sich hinein in eine Art Kurzprosa. Diese Texte erzählen kleine Geschichten, skizzieren Bilder, die ich als Leser aufgenommen habe und abgeglichen mit dem was in mir ist. Sie haben mir letztlich am Besten gefallen.

„Dies ist mein Kiesweg, ich sehe ihn gut, er ist mein kleiner bleicher Weg, doch plötzlich scheint er mehr Licht als Weg zu sein.“

Vielleicht hätte der Dichter auch Maler werden können, denn ein besonderes Farbspektrum durchwandert seine Verse. Er malt mit Worten. Immer wieder taucht Gelb auf, Ocker und Grün. Und blaue Krähen, rote Katzen und schwarzer Wacholder.

„eine kleine spätrote Wolke
sprang auf wie eine blaufliegende Krähe
dunkelblau
grüßt sie die Klippe den Berg steilt vor seinen 2 leuchtenden Fjorden
[…]“

Oft findet sich in den Gedichten eine spirituelle Dimension, etwas Meditatives entsteht, sehr konzentriert auf die Essenz, sehr kraftvoll. Für mich sind es Gedichte der Stille, mehr als wohltuend in dieser lauten Zeit. Ein Leuchten!

Der Gedichtband erschien in der edition offenes feld, in der auch der letzte Lyrikband von Klaus Anders „Ätna“ erschien und in der auch sonst allerhand lyrische Perlen zu entdecken sind.
Einen weiteren Band mit norwegischer Lyrik von Olaf H. Hauge, ebenfalls von Klaus Anders übersetzt, habe ich bereits hier besprochen.

6 Gedanken zu “Kjartan Hatløy: Die Lippen verlangen nach Ocker edition offenes feld

  1. Ich entdecke in der skandinavischen Literatur immer wieder, welch große Rolle die Natur und die Beziehung zwischen Mensch und Natur spielen. Sie unterscheidet sich da von anderen Literaturen, wie ich finde, und macht sie einzigartig. Vielen Dank für diesen wunderbaren Geheimtipp und schön, dass Du das Buch vorstellst. Viele Grüße

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    • Ja, das erlebe ich auch so. Und habe ja selbst ähnliches gerade auf Hiddensee erfahren. Der Ort, an dem man schreibt, und vermutlich auch malt, prägt das Entstehende. Ich habe von Kjartan bereits vor einem Jahr Gedichte in der Zeitschrift von offenes feld gelesen (in der auch einige von meinen abgedruckt wurden) und habe mich sehr auf den Lyrikband gefreut.
      Sein Verhältnis zu Knausgard ist allerdings wohl aufgrund seiner Romane eher angespannt…

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  2. Alleine der Titel ist schon sehr aufsehenerregend.
    Ich frage mich immer wie Lyrik eigentlich übersetzt wird. Das ist sicher eine sehr schwierige Aufgabe für den Übersetzer. Da ist ein persönlicher Kontakt sicher sehr hilfreich, auch dass der Übersetzer selber Lyriker ist.

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