Gerda Blees: Wir sind das Licht Zsolnay Verlag

Von Licht und Liebe leben? Geht das?

Schon die Leseprobe hat mir gefallen. Wie geht das weiter? Die Niederländerin Gerda Blees erzählt in ihrem Debütroman „Wir sind das Licht“ eine Geschichte, die vor allem auch formal gelungen ist und zwar so, dass der Inhalt tatsächlich durch die Erzählweise noch gewinnt.

Es geht um eine Erwachsenen-WG in einer niederländischen Stadt, die aus vier Personen besteht und unter dem Motto „Klang und Liebe“ unter der Führung von Melodie van Hellingen eine gut gemeinte, aber mitunter fragwürdige Lebensart praktiziert. Aus der Liebe zur Musik gibt Melodie, die als junge Frau an der Musikakademie Cello studierte, aber leider nicht den Erfolg hatte, den sie und ihre Eltern sich wünschten, zunächst Cello-Unterricht und später auch Seminare, in denen zusammen gesungen und musiziert wird. Melodie steht mit ihren Eltern, vor allem mit dem Vater nicht auf gutem Fuß und will ihre eigene ganzheitlich-spirituelle Wunschfamilie gründen und lädt Teilnehmer der Seminare zur Gründung einer Gemeinschaft ein. So ziehen Muriel und Petrus ein, und schließlich noch Elisabeth, Melodies ältere Schwester. Dass Melodie als Leiterin sehr bestimmt das Heft in die Hand nimmt und dabei ziemlich übergriffig über das Tun und Wirken der anderen bestimmt, oft so suggestiv, dass die anderen es nicht merken, nimmt letztlich fatale Ausmaße an.

Als Nacht von Welt bringt uns nichts so schnell aus dem Konzept, aber wir finden es schon auffällig, dass Menschen in einem Land wie diesem freiwillig Hunger leiden, obwohl die Nahrung buchstäblich in Reichweite ist. Als wollten sie gegen den herrschenden Überfluss protestieren.“

Dieser Textauszug zeigt gleich doppelt, wovon diese Geschichte lebt. Zum einen von dem natürlich unmöglichen Versuch, von Lichtenergie als ausschließlicher Nahrung zu leben, was womöglich indischen Meistern oder asketischen Fakiren gelingen mag. Zum zweiten, und das ist der eigentliche Clou des Romans, ist jedes Kapitel aus der Sicht eines Gegenstands oder eines Dings erzählt. So berichtet eben im ersten Kapitel die Nacht, wie sich der Tod von Elisabeth zuträgt. Elisabeth, die, wie wir damit von Anfang an wissen, an Unterernährung gestorben ist. Der Arzt, der ihren Tod feststellt, sieht das und meldet es der Polizei. Diese versucht aufzuklären, wie es dazu kommen konnte und welchen Teil die Mitbewohner dazu beitrugen. So erfahren wir vom Tatort, wie es im Haus aussieht, von den Nachbarn, das „die“ immer schon etwas komisch waren, so erfahren wir von den Eltern etwas über Melodies und Elisabeths Familie. Wir hören Elisabeths toten Körper sprechen und das World Wide Web. Wollsocken und Kugelschreiber (Witzigstes Kapitel!) kommen zu Wort, aber eben auch die Erzählung selbst (die sich über die Autorin beschwert), die Zweifel und schließlich auch die Kognitive Dissonanz. So erfahren wir nach und nach, bruchstückhaft, was da los ist mit dieser WG und wie es, möglicherweise, zu diesem Geschehnis kommen konnte.

„Und ganz langsam setzen wir auch bei Muriel und Petrus die Rädchen des Selbstbetrugs in Gang. Keiner der beiden hatte in den letzten Tagen das Gefühl, bei den anderen zu sein. Sie fühlten sich allein und isoliert. Aber jetzt wird ihnen klar, dass dieses Gefühl nicht zu einem Bewohner der Wohngruppe Klang und Liebe passt, und die Erinnerungen an ihre Erfahrungen in der Zelle werden schleunigst angepasst.“

Die Bewohner, die kurzfristig in Untersuchungshaft kommen und verhört werden, da unterlassene Hilfeleistung im Raum steht, kommen während dieser Bedenkzeit, einer Zeit, die sie einmal nicht alle gemeinsam verbringen, zu Entschlüssen, wie es nun im Leben weiter gehen soll. Melodie bleibt Melodie, bleibt weiter die Manipulierende, sie kann nicht aus ihrer Haut. Doch das Licht selbst erzählt uns am Schluss, ob es jemandem gelingt, sich aus deren ungutem Einfluss befreien zu können …

Der Roman erschien im Zsolnay Verlag. Übersetzt hat es Lisa Mensing. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

Eine weitere Besprechung gibt es auf dem Blog Letteratura.

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