Juli Zeh/Simon Urban: Zwischen Welten Luchterhand Verlag

„Ich fange an, mich selbst zu zensieren. Wo darf ich hingucken, ohne dass es eine Belästigung ist? Was darf ich sagen? Wem darf ich die Tür aufhalten? Mit wem darf ich im Fahrstuhl stehen? Ich ertappe mich dabei, meine Gedanken darauf zu überprüfen, ob sie missverständlich sein könnten. Das ist Wahnsinn, Tessa.“

Inzwischen geht es mir selbst manchmal so, dass ich dreimal überlege, ob das jemand falsch verstehen kann, ehe ich etwas in den social media Kanälen poste. Die vielen shitstorms, die sich tagtäglich beispielsweise auf Twitter ereignen, erlebe ich als schockierend. Interessant ist zum Beispiel, wie dieser neue Roman von Juli Zeh in der Presse aufgenommen wird. Hier gibt es nämlich auch bereits ein kräftiges Vor-Verurteilen, weil Juli Zeh mit ihrem Schreiben und ihrer öffentlichen Meinung nicht dem Mainstream entspricht, somit scheinbar nicht auf „der richtigen Seite“ steht. „Zwischen Welten“ zeigt mir noch einmal in aller Deutlichkeit, was da wirklich passiert und welche Auswirkungen es auf betroffene Personen hat, von allen Seiten aufgrund einer Äußerung, die oftmals bewusst falsch ausgelegt wird, angeklagt und gebrandmarkt zu werden. In diesem Roman betrifft es nicht nur eine Karriere, sondern zerstört beinahe eine Familie.

Juli Zeh und Simon Urban greifen Themen der aktuellen Debatten auf. Sie zeigen genau, wie es mit der Meinungsfreiheit aussieht, beim Thema Gendern, Rassismus, Klimawandel, Identität, eben „woken“ Themen, wie vorsichtig man sein muss, um nicht im Auge des Sturms zu landen. Zeh hat die Form eines Email-Austauschs gewählt, was mir zunächst unpassend erschien, dann aber doch stimmig war.

„Die Welt wird nicht gerechter, wenn man an der Sprache rumschraubt und alles auf einer Meta-Ebene behandelt. Das interessiert nur die Akademikerblase. Außerhalb deiner Welt sind Menschen entsetzt, dass ihre Probleme ignoriert werden, während man Kunstwerke mit Sternchen benennt.“

Hauptprotagonisten sind Stefan und Theresa. Beide kennen sich aus ihrer Studienzeit in Münster, als sie zusammen in einer WG wohnten und die allerbesten Freunde waren. Theresa, 41, lebt inzwischen in einem Dorf in Brandenburg, sie hat nach dem Tod des Vaters den Bio-Bauernhof übernommen. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne. Sie verschwand damals einfach ohne Erklärung aus dem Münsteraner WG-Leben. Stefan, 46, studierte weiter und schaffte es bis nach Hamburg in die Führungsebene im Bereich Kultur einer großen, bekannten Wochenzeitung. Er lebt als Single und hat sich ganz seiner Karriere verschrieben. Zufällig begegnen sich beide in Hamburg wieder und verbringen zusammen einen Tag an der Außenalster, der allerdings unversöhnlich im Streit endet. Zu unterschiedlich sind die Meinungen, die sie jeweils vertreten, zu eingefahren sind sie in ihrer jeweiligen Lebenssituation.

Im ersten Teil tauschen sich beide in kurzen Whats App Nachrichten aus, die oftmals wild durcheinander den anderen und dessen Meinung anklagend hin und her sausen. Hier zeigt sich, wie wenig geeignet dieser Weg ist, sich wirklich mit einem anderen Menschen auseinanderzusetzen. In diesen Nachrichten zeigt sich auch, dass Stefan wohl damals in Theresa verliebt war und womöglich immer noch ein wenig davon übrig ist.

„Wer existenziell lebt (ich), muss nicht sensationell leben (du). Wer das Existenzielle verloren hat (du), braucht die Sensation. Das unterscheidet dich und mich. Es unterscheidet Stadt und Land.“

Stefans Zeitung ist im Umbruch; er selbst sorgt mit dafür, dass Themen, wie der Klimawandel in den Vordergrund treten, lässt gar „Aktivisten“ ohne Zeitungserfahrung in der Redaktion mitarbeiten, stellt damit aber auch die Neutralität der Presse in Frage. Einige Zeit später merkt auch Stefan, dessen Mentor und Chef, ein kluger Mann mit reichem Erfahrungsschatz, der ihm viel Verantwortung überträgt, dass es eben doch aus dem Ruder geraten kann, wenn einseitig angesagte Themen die klassische Berichterstattung plötzlich dominieren soll.

„Und verdächtig wird es in meinen Augen, wenn sich ein Mainstream entwickelt, der keinen Widerspruch mehr duldet. Wenn Leute (wie du) auf einmal blind werden für Gegenargumente und abweichende Meinungen. Wenn es keine Diskussion mehr geben soll, sondern nur noch alternativloses Handeln.“

Theresa kämpft im dörflichen Brandenburg um ihr Überleben als Landwirtin. Sie ist auf Zuschüsse vom Staat angewiesen, damit sie ihre Angestellten bezahlen kann und ihre Familie durchbringt. Die Ehe mit Basti kriselt, die beiden Jungen leiden darunter. Doch die Regierung sagt heute so, morgen so. Ein langfristiges Planen ist da nicht drin, in der Landwirtschaft gerade mit Tieren, aber notwendig. Kühe sind nicht mehr angesagt. Doch der Nachbar, der deshalb extra eine Biogasanlage gebaut und das Vieh abgeschafft hat, wird ebenfalls durch Gesetzesänderungen im Stich gelassen und steht am Rand der Insolvenz.

Warum sich Stefan und Theresa weiter austauschen, ist mir oft unklar. Sie treffen sich sogar noch einmal in Hamburg, doch auch diese Begegnung endet im Streit und in einer körperlichen Auseinandersetzung (die Stefan später sogar zum Verhängnis wird). Als sie dann jedoch beginnen, sich lange Emails zu schreiben und tiefer auf einander eingehen, scheint sich ein Weg zueinander anzubahnen. Vielleicht auch, weil sich in dieser Zeit, bei beiden so viele Widrigkeiten in der Arbeit ergeben, dass sie sich einsam fühlen und einander durch den Austausch stützen können. Fast gehen sie soweit, gemeinsame Zukunftspläne zu überlegen. Doch kommt es anders.

Stefans Chef wird aus der Zeitung gemobbt, weil er einen „falschen“ Satz sagt. Stefan ist damit gleich wieder im Rennen. Und Theresa wird selbst zur politischen Kämpferin um bessere Bedingungen für die Landwirtschaft. Für sie endet es weitaus bitterer als für Stefan, der sein Fähnchen offenbar leichter im Wind schwenken kann …

Überall gibt es Stimmen, die diesen Roman für vollkommen misslungen halten. Selten höre ich Lob. Nun ist natürlich klar, dass Juli Zehs Romane vom Inhalt leben. Sprachlich und formell gibt es da keine Highlights. Ich empfinde den Roman trotzdem als gelungen und als sehr wichtiges Zeitdokument. Mir spricht die Heldin Theresa sehr oft aus dem Herzen. Zumal ich durchaus einmal Einblick hatte, wie Landwirtschaft und generell das Leben auf dem Land/Dorf grundlegend anders funktioniert als in der Großstadt. Es ist immer gut, einmal „in den Schuhen eines anderen zu gehen“. Es ist wichtig, dass es Menschen gibt, die nicht nur mit dem Mainstream mit schwimmen, sondern mutig dagegen halten. Gerade in der Presselandschaft mangelt es meinem Empfinden nach daran. Presse sollte neutral berichten und keine politisch vermeintlich richtigen Positionen beziehen. Was Juli Zeh in Interviews bezüglich der Lesart sagt, finde ich noch wichtig zu erwähnen. Simon Urban und sie wollten damit darauf hinweisen, dass es wichtig und sinnvoll ist im Gespräch, im Austausch zu bleiben, auch wenn man vollkommen gegenteilige Meinungen vertritt.

Der Roman erschien im Luchterhand Verlag. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

5 Gedanken zu “Juli Zeh/Simon Urban: Zwischen Welten Luchterhand Verlag

  1. Nun ist die Behauptung, der Roman werde deswegen vorverurteilt, „weil Juli Zeh mit ihrem Schreiben und ihrer öffentlichen Meinung nicht dem Mainstream entspricht“, ja nun selbst auch nichts anderes als eine Vorverurteilung, die impliziert, die Presse könne den Roman nicht deswegen schlecht finden, einfach, weil er das vielleicht ist. Was ich nicht beurteilen kann, weil ich ihn noch nicht gelesen habe.
    Was die Forderung angeht, die „Presse sollte neutral berichten“, bin ich der Ansicht, dass es so etwas wie „die Presse“ doch gar nicht gibt. Zwischen der Berichterstattung zu ein und demselben Thema liegen zwischen „taz“, „Zeit“, „Welt“, „Bild“ und „Compact“ Welten, teilweise mehrere. Und alle würden für sich – in den meisten Fällen zu Recht – in Anspruch nehmen, „neutral“ zu berichten und im Falle einer einer bestimmten Positionsbeziehung selbige deutlich mit „Kommentar“ zu kennzeichnen.
    Und letztlich: Der Klimawandel beispielsweise hat mit „Wokeness“ so viel zu tun, wie die Spielvereinigung Unterhaching mit der Champions League. Ohnehin sollte man mit Begrifflichkeiten, die gerne von der Neuen Rechten gekapert wurden, eher umsichtig umgehen, weil die Reaktion auf die eigene Meinungsäußerung dann allenfalls darin besteht, dass jemand anderer eine Gegenmeinung äußert. Und eben so sollte es ja auch sein. Wenn nun aber jemand möglichweise in der Sache mehr oder weniger recht hat, dafür aber mit Begrifflichkeiten wie „Sozialtourismus“ oder „kleine Paschas“ um sich wirft, muss er sich die Frage gefallen lassen, ob das nicht auch ohne diese Begrifflichkeiten gegangen wäre. Vorsichtig sein muss deswegen aber niemand, Widerspruch aushalten muss man dagegen schon.
    Nach langer Vorrede zurück zum Thema. 😉
    Ich schätze an Juli Zeh, dass sie mich mit ihren Büchern oftmals ein bisschen aus meiner Komfortzone holt und ein bisschen zum Widerspruch auffordert. Vor diesem Hintergrund werde ich mich früher oder später sicher auch mit „Zwischen Welten“ beschäftigen. Was ich dagegen nicht so schätze, ist dass sie sich mit der Betitelung ihrer Romane in letzter Zeit so verrannt hat. Nach „Unterleuten“, „Über Menschen“ und „Zwischen Welten“, dürfte der nächste Roman dann vielleicht „Neben Figuren“ oder ähnlich lauten. 😉

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    • Danke für Deinen Kommentar!
      Diese Vor-Verurteilung gab es ja schon bevor der Roman erschienen ist/gelesen wurde.
      Wenn man den Roman gelesen hat und die Position Stefans kennt, die sich von der seines Chefs eben in der Nicht-Neutralität unterscheidet, erschließt sich, was ich meine.
      Was den Klimawandel betrifft, stimme ich zu. Es kann sich meiner Meinung nach aber nicht alles um dieses eine Thema drehen. Weil Du die „Komfortzone“ nennst: Menschen, die armutsbetroffen sind und prekär leben müssen, kennen diese Zone schon lange nicht mehr und haben mehr damit zu tun, überleben zu können. Hohe Energiepreise (zum Klimanutzen) sind da halt kontraproduktiv. Würde da etwas geändert, würde sich auch vieles andere verbessern. Selbst die rechten Parteien hätten dann weniger Zulauf. Alles meine persönliche Meinung. Mir war die Hauptprotagonistin sehr nah, weil ich tatsächlich aus eigener Erfahrung weiß, wie es in der Landwirtschaft zugeht, wo ja unser aller Nahrung herkommt.
      Ich würde auch ihren nächsten Roman „Neben Figuren“ wieder lesen. 😉

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      • Zugegeben, zumindest ein Vorabexemplar sollte man gelesen haben, ansonsten ist jegliche Kritik relativ substanzlos und basiert allenfalls auf vorherigen Lesererfahrungen und der Vermutung, was vom neuen Roman zu halten ist.

        Die von dir genannte Problematik ist eine extrem komplexe. Denn einerseits muss man die Existenz von Menschen im Hier und Jetzt sichern, andererseits dafür Sorge tragen, dass aber eben auch noch Generationen nach uns kommen werden und die sich vielleicht im Hinblick auf uns nicht fragen sollten: „Wie konnten die so blöd sein!?“

        Im Moment beschäftigt man sich damit, entweder mit der Gießkanne Hilfen auch an Personen zu verteilen, die die gar nicht nötig hätten, oder aber Bedürftige mit zusätzlichen Mitteln zu versorgen, die nicht mal reichen, die gestiegenen Preise auszugleichen.

        Man könnte sich natürlich auch mit großen Lösungen befassen. Mit der Frage eines bedingungslosen Grundeinkommens vielleicht. Oder mit der, warum existenzielle Dinge des Lebens – Energieversorgung, Gesundheitsversorgung, Pflege, meinetwegen sogar das Internet – überhaupt in erster Linie profitorientierten Unternehmen überlassen werden.

        Dafür müsste man aber erst mal wieder unvoreingenommen miteinander reden. Gesamtgesellschaftlich gesehen. Wenn Juli Zeh mit diesem Roman ihren Beitrag leistet und nicht in „Man darf überhaupt nichts mehr sagen in diesem Land!“ einstimmt, dann hat sie schon viel erreicht.

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