Lukas Bärfuss: Die Krume Brot Rowohlt Verlag


„Unglücke geschahen keine, das Leben war das Unglück, es floss dahin und kannte nur eine Richtung, hin zur allmählichen Zermürbung. Das Geld fehlte, Fortschritte gelangen nur kurzzeitig, bevor sie vom nächsten Rückschlag zunichtegemacht wurden.“

Ein hochinteressantes leider immer noch aktuelles Thema behandelt der für sein gesellschaftskritisches Denken und Schreiben bekannte Schweizer Autor, Dramatiker und Büchnerpreisträger Lukas Bärfuss in seinem neuen Roman. Bereits der Titel weißt darauf hin: Die Krume Brot – Was, wenn kein Geld da ist, um satt zu werden? Wie überleben, wenn die Geburt und/oder das Schicksal die Weichen so stellt, dass man den Aufstieg trotz allen Kämpfens eben doch nicht schafft? Hängt die Zukunft allein vom Grad der Bildung ab oder kommt es auf die Herkunft, die Klasse, in die man hineingeboren wird an? Diese Fragen kommen hier auf und allein aufgrund dieses Thema ist dieses Buch schon lesenswert. Diese Besprechung soll vor allem von den Zitaten leben, denn diese drücken sehr gut aus, um was es in diesem mehr als lesenswerten Roman geht.

„Er begriff bald, was Adelinas Schwäche war. Zuerst konnte er es kaum glauben, er hielt es für einen Skandal, dass jemand von der Schule abgehen konnte, ohne schreiben und lesen zu lernen.“

Hauptfigur ist Adelina, aber die Geschichte beginnt lange vor ihrer Geburt. Sie beginnt mit Politik und endet mit Politk. Bärfuss beginnt mit den Großeltern und zeigt auf, wie es zu einem solchen Schicksal kommen kann. Es ist das Schicksal eines Mädchens, dessen Eltern sie nicht in ihren Qualitäten erkannten und die somit von Anfang an keinen vielversprechenden Start ins Erwachsenendasein hat. Obwohl die Eltern bereits vor ihrer Geburt von Italien in die Schweiz auswandern, gelingt der Schritt in ein wohlhabenderes Leben nicht.

„Sie hatte geglaubt, in einer funktionierenden Welt zu leben, sie hatte den Fehler bei sich gesehen, bei ihren dummen Entscheidungen, bei ihrer Gedankenlosigkeit, mit einem Mann ins Bett zu gehen, ihn ziehen zu lassen, unfähig, einen Lebensunterhalt zu verdienen, […] Es schien etwas faul zu sein, nicht nur in ihrem Leben, es schien etwas nicht in Ordnung zu sein mit der Welt.“

Adelina hat es mit Zahlen, hat aber Probleme mit dem Schreiben und Lesen, sie macht perfekte Stickarbeiten, arbeitet aber später in der Fabrik, um die Eltern mit zu unterstützen. Sie wird früh schwanger, doch der Mann ist bald weg. Alleinerziehend bildet sie sich weiter. Doch das Geld reicht nicht. Jegliche Versuche, ihrem Kind ein besseres Leben zu ermöglichen scheitern. Sie erleiden Hunger. Sie arbeitet in einer Bar und lernt einen gut situierten Mann kennen, der für sie und das Kind sorgen will, doch sie spürt, dass das alles nicht echt ist. Sie will für sich selbst einstehen. Es endet im Streit.

„Womöglich war sie verdorben, oder alle waren verdorben, und vielleicht war das die einzige Möglichkeit, sich einigermaßen schadlos zu halten in dieser Welt, eiskalte Berechnung und Verschlagenheit. So kam man weiter. […] Auf diese Weise kam man vorwärts, aber Adelina war kein solcher Mensch. Sie spürte es, sie wusste es, sie war mit jeder Faser überzeugt, dass eines Tages, wann immer er auch kommen mochte, abgerechnet würde.“

Leider geschieht dies in ihrem Fall nicht. Sie gerät auf der Suche nach ihrem Kind, dass plötzlich verschwunden (entführt worden?) ist, in falsche Kreise. Von einer politischen Organisation, in der man ihr verspricht, ihr Kind wiederzufinden, in kriminelle Machenschaften gezogen, endet es für sie böse. Sie erhält eine Gefängnisstrafe für Schmuggel über die Grenze von Italien in die Schweiz. Doch nach ihrer Entlassung trifft sie die harte Entscheidung, ihr Kind in der Obhut des Kinderheims zu belassen. Sie sieht, dass es ihm dort an nichts (Materiellem) fehlt. Die Angst, nicht hinreichend für es sorgen zu können ist zu übermächtig.

Bärfuss spinnt eine spannende, wenngleich tieftraurige Geschichte, die auch auf der Sprachebene wirkt. Sein Roman trifft ein brisantes Thema, dass auch heute in der Politik und der Gesellschaft noch mehr Beachtung braucht: Armut, Armut aufgrund der Herkunft, Kinderarmut. Und die geringen Chancen auf „Aufstieg“, die durch solch einen Lebensstart gegeben sind. Bildung ist wichtig, aber eben nicht alleinige Voraussetzung für ein gutes Leben. Eigentlich sollte das in heutigen Zeiten jedem klar werden.

Der Roman erschien im Rowohlt Verlag.

2 Gedanken zu “Lukas Bärfuss: Die Krume Brot Rowohlt Verlag

  1. Ich werde den Roman lesen, meinen ersten von Bärfuß. Das Thema deprimiert, aber kann ja nur deprimieren. Deine Zeilen haben das tiefe Betrübnis über diesen Weltzustand gut durchklingen lassen. Mich hat insbesondere überzeugt, dass das Thema auch auf der Sprachebene wirkt. Ich vertraue da ganz deinen Eindrücken. Viele Grüße!

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    • Solche Romane sind wichtig. Das Schlimme ist ja, dass der Roman einige Jahre früher spielt und sich eben nichts ändert, weil die die es nicht betrifft lieber wegschauen. Die Welt fordert Aufstiegsgeschichten. Aber es geht eben sehr oft nicht gut aus. Ich kann selbst ein Lied davon singen.
      Sprachlich ganz klar: Bärfuss ist ein versierter Autor und die Geschichte spannend konstruiert.
      Viele Grüße!

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