John Burnside: So etwas wie Glück Hörbuch 🎧 Der Diwan


Der Schotte John Burnside schreibt sowohl Romane als auch Gedichte und Erzählungen, wie sie im neuen Band „So etwas wie Glück“ zu lesen sind. Sprachlich macht ihm kaum einer etwas vor. Und auch dieses Genre beherrscht er meisterhaft. Die Geschichten sind so einfach wie komplex. Das schönste daran ist, dass sie alle Fragen offen lassen, dass sie mit der Phantasie der Leser*innen rechnen. Hier ist eindeutig die Sprache die Hauptfigur. Fast werden für mich die Inhalte zur Nebensache, weil Burnside einfach so wunderschön zu formulieren weiß. Der Schauspieler Martin Feifel interpretiert die Stories ebenso ausdrucksvoll, wie man ihn aus seinen Rollen kennt. Mitunter beinahe zärtlich, voller Hingabe. Man hätte hier niemand passenderes finden könnten. Es ist eine ungekürzte Lesung im Umfang von 490 Minuten.

Burnsides Figuren kommen direkt aus dem echten Leben. Sie könnten meine Nachbarn sein oder Arbeitskollegen. Oft leben sie in prekären Verhältnissen mit dem Wunsch nach Aufstieg, der fast nie nicht gelingt. Alle suchen sie die Liebe oder wünschen sich geliebt zu werden. Oder zumindest wenigstens gesehen zu werden. Immer zeigt sich eine Verlorenheit, eine Einsamkeit, die mir allzu bekannt ist.

Einmal ist es ein älterer Mann, der kurz vor Weihnachten in tiefster Kälte seine letzte Transportfahrt macht und dabei nachsinnt über das Verhältnis zur Tochter, zu seiner Frau, mit der alles zur Gewohnheit geworden ist. Der weiß, dass der Krebs wieder gekommen ist. Und der einen einsamen Anhalter in Frauenkleidern mitnimmt. Einmal ist es eine junge Bankangestellte, die neben ihrer Schwester, die sich nach Wohlstand, Ehemann und Kind sehnt, scheinbar verblasst, die jedoch innerlich viel lebendiger ist. Ein Mann verlässt seine Frau eines Tages ohne Erklärung und kehrt als eine Art Geist zurück.

Wir hören eine Liebesgeschichte zwischen einer 16-Jährigen und einem wesentlich älteren Schlachter in einer kleinen ehemaligen Bergarbeiterstadt. Erzählt von einem Erzähler, der sich an seine Kindheit erinnert, in der er als erstes diese Liebschaft entdeckt, aber nicht versteht. Die Familie des Mädchens duldet das natürlich nicht. Bis der Schlachthof brennt …

Eine eigenartige Geschichte, die sich nach und nach als Schauergeschichte erweist, handelt von einem Mann, der von einem Unbekannten Mails bekommt, die offensichtlich an jemand anderen gerichtet sind. Der Mann benachrichtigt den Absender jedoch nicht, sondern liest mit immer mehr Spannung die zunehmend grusliger werdenden Mails, bis diese plötzlich abbrechen. Nach einigen Wochen kommt dann eine Geschichte als Zeitungsmeldung ins Leben des Mannes, die damit in Zusammenhang steht. In keinem guten …

Auch die Geschichte „Roccolo“ ist eine schaurig-düstere Geschichte, die im hellen Licht von Italiens Amalfi-Küste spielt. Eloise, die mit ihrem Vater als Inhaberin einer kleinen Pension lebt, hat ihre große Liebe verloren, obwohl sie ihn täglich sieht. Wegen dieser unerfüllten Liebe versucht sie wieder und wieder Jungen, die mit den Eltern in der Pension Urlaub machen, in ihre seltsame Welt zu ziehen und macht sich ein Spiel daraus, sie zu manipulieren.

Aus einer meiner Lieblingsgeschichten über einen jugendlichen Sonnenbrand, der sich von Jahr zu Jahr wiederholt als eingebranntes Muster und über Menschen in der Arktis mit Eisbohrkernen ist folgendes Zitat:

„Jedes Mal, wenn ich jemanden sagen höre, Selbsterkenntnis sei der Schlüssel zu einem glücklichen Leben, muss ich lachen. […] Ist das Muster erst festgelegt, tun wir wieder und wieder, was immer wir nun einmal tun müssen. Wir können zu Therapeuten gehen oder Selbsthilfebücher lesen. Wir können aber auch einfach mit dem weiter machen, was wir immer schon getan haben oder wir werden zu jemand anderem als zu dem, der wir sind. Wie Cindy zum Beispiel. […] Sie tut, was sie zu tun zu sollen glaubt.“

Zitat aus „Sonnenbrand“

Burnside gibt jungen wie alten Menschen eine Stimme, Männern wie Frauen. Mitunter scheinen manche Passagen aus eigenen Erfahrungen des Autors zu schöpfen. Und das wäre auch nicht verwunderlich, denn fast jeder hat schon ähnliche Erfahrungen gemacht. Eine große Verletzlichkeit und Melancholie zeigen die Menschen in diesen Geschichten. Hier geht es nicht um die Macher oder die Gewinner. Manche Stories strahlen auch etwas Mystisches, etwas Geisterhaftes, etwas kaum Greifbares aus. Vermutlich ist es genau das, was sie so besonders macht.

Die Erzählungen wurden von Bernhard Robben ins Deutsche übersetzt. Das Buch erschien im Penguin Verlag. Das Hörbuch bei Der Diwan Hörbuchverlag. Eine Hörprobe gibt es hier.

Ein weiteres hier auf dem Blog besprochenes Buch des Autors:

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