Durs Grünbein: Der Komet Suhrkamp Verlag


Nach „Die Jahre im Zoo“, das ich zur Lektüre ergänzend nochmals in die Hand nahm, erschien nun ein neuer Roman von Durs Grünbein. Wobei man Roman vielleicht gar nicht sagen kann. Es ist wie der Vorgänger eher biographisches Material, welches der 1962 in Dresden geborene Lyriker verarbeitet. War es bei „Die Jahre im Zoo“ das eigene Leben und Aufwachsen in Dresden während der DDR, so geht Grünbein hier einen Schritt weiter zurück und erzählt aus dem Leben seiner Großmutter Dora, die den Untergang Dresdens während des 2. Weltkriegs miterlebte und überlebte. Überhaupt scheint die Stadt hier die Hauptprotagonistin des Erzählten zu sein. Grünbein schildert die Stadt aus den Augen seiner Großmutter in größtmöglicher Schönheit. Ja, er schwärmt geradezu.

Der Komet, der dem Buch den Titel gibt, ist der Halley´sche, er taucht im Roman immer wieder auf als Naturphänomen, ebenso wie der Zeppelin, der auf den menschlich erschaffenen technischen Fortschritt hinweist. Beide werden zu Leitsymbolen dieses Textes.

Grünbeins Großeltern kennen wir bereits aus „Die Jahre im Zoo“. Der eher sprachlose Großvater, der mit dem kleinen Enkel regelmäßig einen Spaziergang zum Großen Gehege auf einer bestimmten immer gleichen Route macht. Die Großmutter Dora, die nun in „Der Komet“ im Mittelpunkt steht und aus deren Leben wir von ihrer Kindheit in einem niederschlesischen Dorf hören, bis sie schließlich als Verkäuferin in einer Kleinstadt landet, ihren zukünftigen Mann, den Schlachtergesellen Oskar kennenlernt. Sie geht zu ihm nach Dresden, was ein großer Einschnitt wird. Wir erfahren von der Arbeit Oskars auf dem Schlachthof, von den Wochenenden, an denen die jungen Leute mit Freunden ausgehen und ihr Leben genießen. Schließlich, schon mit 16 Jahren, von der Geburt des ersten Kindes, welches die Lebensfreude der jungen Leute aber nicht bremst. Wir begleiten Dora auf den vielen Spaziergängen mit dem Kinderwagen durch die Stadt. Das sind für mich die besten Sequenzen, in denen Grünbein wirklich die Besonderheit und die Schönheit der Stadt aufzeigt und damit den kommenden Verlust besonders tragisch erscheinen lässt.

Und immer wissen wir, worauf es hinaus läuft. Von der Fülle des Lebens geht es Richtung Diktatur, dann Richtung Krieg. Oskar wird zuerst nach Frankreich eingezogen, wo es ihm als Koch gutgeht, später aber nach Russland an die Ostfront. Wie die Nationalsozialisten Deutschland übernehmen wird eher allgemein erzählt, wenig davon, wie die Menschen, speziell auch die Großeltern Grünbeins das erleben. Es scheint Normalität zu herrschen. Man gewinnt sogar den Eindruck, als hätte der Krieg zunächst gar keine größeren Auswirkung auf das Leben der Menschen, vermutlich auch, weil bis zuletzt kaum Bomben auf die Stadt fielen. Kann man sich an Krieg gewöhnen? Dora geht ins Kino, Dora geht in die Museen der Stadt. Jedoch steht Dora allein mit nunmehr zwei kleinen Kindern da. Doch es gibt eine stabile Frauenfreundschaft, die stützt. Schließlich arbeitet sie in einer Fabrik. Erst als man hört, die Front im Osten wie im Westen würde näher rücken, wird klar, dass der Krieg verloren ist. Grünbein hält seinen Bericht eher neutral, weiß vielleicht auch nicht, wie die Großeltern über all das dachten. In der Nachkriegszeit herrschte ja das große Schweigen. Gut, dass er die unbeantworteten Fragen als solche direkt in den Text mit einbezieht. Letztlich versucht er ein Leben zu rekonstruieren, von dem er zu wenig weiß.

Durch ein großes Glück überlebten die Großmutter, die in jener Nacht gerade mit Scharlach im Krankenhaus lag, die Kinder, die von einer Nachbarin und Freundin mit aufs Land genommen wurden und auch der Großvater, der, zunächst vermisst, später aus Russland zurückkehrte. Wir kennen alle die Bilder der ausgebombten Stadt, die zerstörte Frauenkirche. Es grenzt an ein Wunder, dass die Familie überlebte und wieder zusammenfand.

Sprachlich fand ich die autobiographische Geschichte an manchen Stellen etwas altbacken und bieder, besonders die Frauenperspektive, als würde der Autor so schreiben wollen, wie es damals üblich war. Grünbeins Buch ist nichts desto Trotz ein wichtiges persönliches Zeitdokument. Zwar kommen mir die Hauptfiguren nicht sehr nah, aber vielleicht ist das bei dieser sehr privaten Geschichte auch gar nicht gewollt, die Stadt Dresden hingegen sehr.

Der Roman erschien im Suhrkamp Verlag.
Bereits besprochen:
https://literaturleuchtet.wordpress.com/2016/01/10/durs-gruenbein-die-jahre-im-zoo-suhrkamp-verlag/

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