Anselm Oelze: Wallace Schöffling Verlag

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Der Debütroman von Anselm Oelze führt uns zunächst ins Jahr 1858 in eine Zeit der Entdecker, Forscher und Wissenschaftler. Die Titelfigur „Wallace“ ist zugleich Held des Romans und durchaus eine interessante Persönlichkeit. Alfred Russel Wallace gab es tatsächlich. Er wurde 1823 in England geboren und hat nur nicht die Berühmtheit von Charles Darwin erlangt, obgleich er die natürliche Selektion und die Entwicklung der Arten womöglich schon ein klein wenig früher als dieser entschlüsselte. Wallace war so freimütig, Darwin seine Ergebnisse aus der Ferne per Brief nach England zu senden und ihn um Weiterleitung und seine Meinung dazu zu bitten. Das Ergebnis war, wie wir alle heute wissen, dass Darwin das Buch „Über die Entstehung der Arten“ schrieb und unter anderem damit weltberühmt wurde.

Anselm Oelze erzählt von Wallace über einen kleinen Zeitraum hinweg, den er auf den Molukken und auf der Insel Lombok zur Forschung und Artensammlung verbringt. Dieser Teil ist recht interessant, teilweise witzig erzählt und macht neugierig auf die Figur und die Zusammenhänge. Da Oelze allerdings einen zweiten Handlungsstrang einflicht, der in der Heute-Zeit spielt und vom Nachtwächter eines naturkundlichen Museums erzählt, wird der Erzählfluß immer wieder durchbrochen. Das Springen zwischen den Zeiten, was normalerweise Spannung erzeugt, funktioniert, wie ich finde, hier nicht so ganz.

Denn die Geschichte des Nachtwächters Albrecht Bromberg, Mitte/Ende fünfzig, der eines nachts beim Bücher einsammeln in der Bibliothek auf ein Buch mit Foto von Wallace stößt und der sich dann plötzlich brennend für diese Figur und die Evolutionstheorie interessiert, wirkt auf mich nicht ganz stimmig. Dass Wallace das vollkommen in Routine eingefahrene Leben Brombergs so durcheinanderbringt, dass dieser sich so maßlos über die Ungerechtigkeit, die Wallace wiederfuhr empört, mag gerade noch angehen. Dass dieser aber dann seinen Job aufs Spiel setzt und mithilfe einer Museumsbibliothekarin, eines Antiquars und einiger Stammtischfreunde die Geschichte umschreibt, wirkt doch allzu konstruiert. Und als würde der Autor das selber merken, versieht er die Geschichte mit einem auf Wallace Insel spielenden letztem Kapitel mit offenen Ende, in dem sich der/die Leser/in dann selbst für eine Variante entscheiden muss.

Froh war ich wirklich, dass der Autor trotz der deutlichen Vorzeichen nicht auch noch ein HappyEnd mit Liebesgeschichte zwischen der jungen(!) Bibliothekarin und dem älteren(!) Nachtwächter ausgearbeitet hat.

Sprachlich bin ich hin- und hergerissen. Manche Szenen sind ganz wunderbar altmodisch erzählt mit Charme und Esprit und manche wieder total austauschbar ohne eigenen Ton. In der Story werden manche Spuren gelegt, die der Autor dann nicht weiter verfolgt, wie etwa die Erfindung des Tonicwater, die spiritistischen Aktionen einer Nebenfigur, und der Besuch bei Studienfreund Juha. Zudem ist es seit langem der einzige Roman, bei dem ich kein Zitat finde, dass ich hier dazustellen möchte. Fazit: Für naturwissenschaftlich Interessierte nett zu lesen. Ich bin gespannt, wie der zweite Roman des Autors gelingen wird.

Der erste Roman des 1986 geborenen Anselm Oelze erschien im Schöffling Verlag. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Leseexemplar.

Hier ist ein informativer Beitrag zum Thema Wallace – Darwin:

 

Eine weitere sehr wohlwollende Besprechung gibt es auf dem Blog „Buch-Haltung“.

Hinweis: Der Umstand, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, hat keinerlei Auswirkung auf meine Wahrnehmung und Rezension des Buches.

 

7 Gedanken zu “Anselm Oelze: Wallace Schöffling Verlag

  1. Die Person Alfred Russel Wallace interessiert mich sehr, da ich schon eine gute Biografie von Matthias Glaubrecht kenne und Naturwissenschaften einfach spannend finde. Nach deiner differenzierten Buchvorstellung bin ich skeptisch, ob der Roman das Richtige für mich ist.

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    • Liebe Petra,
      für Dich bringt der Roman sicher nichts Neues über Wallace. Für mich war das Neuland, deswegen interessierte mich das Thema und jetzt noch viel mehr. Aber der Handlungsstrang, der in der Gegenwart spielt, ist nicht sooo toll.
      Da fand ich Orchis, was ja rein fiktiv ist, aber sehr faszinierend erzählt, viel viel besser.
      Liebe Grüße!

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  2. Spannend, für mich hat die Aufteilung eigentlich ganz gut funktioniert, gerade als einordnende Kommentierung von Wallace‘ Schaffen, aber deine Kritikpunkte kann ich auch sehr gut nachvollziehen. Bin auch auf das Urteil meiner Mitdiskutant*innen gespannt, wenn wir hier auf offener Bühne in Augsburg über das Buch debattieren werden.

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  3. Hallo,

    bis ich das erste Mal von diesem Buch hörte, war mir Alfred Russel Wallace überhaupt nicht geläufig. Da hat Darwin sich also mit fremden Federn geschmückt? Zumindest hat es dann doch wohl seine eigene Forschung angestoßen und Wallace hätte es verdient, für seine Erkenntnisse gewürdigt zu werden…

    Romane, die verschiedene Handlungsstränge in Vergangenheit und Gegenwart erzählen, gibt es seit ein paar Jahren ja ziemlich viele, jedoch sind das dann meinem Gefühl nach meist Büchern, in denen es um ProtagonistINNEN geht.

    Ein künstliches Happy End würde mich bei so einem Buch auch eher stören…

    Von der Thematik her interessiert mich das Buch sehr, aber es klingt nicht so ganz gelungen.

    LG,
    Mikka
    [ Mikka liest von A bis Z ]

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    • Ich habe das Video dazugestellt, damit man sich vorstellen kann, wie es abgelaufen ist mit Darwin und Wallace. Lohnt sich anzusehen.
      Mehrere Handlungsstränge gibt es eigentlich schon ewig, auch zeitversetzte. Oft funktioniert das gut, schon wegen der Spannung. Ich denke, man muss das Buch lesen, um sich selbst ein Urteil zu bilden. Wenn du, wie ich, vorher noch nichts über Wallace wusstest, ist das Buch zumindest in dieser Hinsicht ein Gewinn.
      Viele Grüße!

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