Ulrike Draesner: Kanalschwimmer Mare Verlag / btb Verlag

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Der Roman „Kanalschwimmer“ der Lyrikerin und Prosaautorin Ulrike Draesner ist nun auch als Taschenbuch erschienen. Wie ich vermute, entstand er oder wurde zumindest angeregt durch Draesners Aufenthalt als poet in residence in den Jahren 2015 bis 2017 in Oxford. Denn auch der Roman spielt teilweise in dieser kleinen aber höchst bekannten englischen Universitätsstadt beziehungsweise am und im Wasser des Ärmelkanals zwischen Dover und Calais.

Ich bin zunächst hin- und hergerissen zwischen „oje, überdreht“ und „erfrischend extravagant“. Und das natürlich in Bezug auf die Sprache. Bei Draesner geht es immer vor allem um Sprache. Denn diese Geschichte des alternden Mannes, der es noch einmal wissen will und damit unbedingt auch seine Angetraute wieder zurückgewinnen will, der also mit über sechzig den Ärmelkanal an der engsten Stelle zwischen Dover und Calais durchschwimmen will, wie es tatsächlich heutzutage viele machen, wie ich bei Recherchen feststellte (auf der Suche nach Grenzüberschreitungen? dem Kick? dem wahren Ich?), ist nicht das Spannendste am Roman. Es ist schon die Sprache und auch die zunächst wenig stringent erscheinende Erzählstruktur, die im Vordergrund steht.

Es gibt enorm viele Sätze mit höchst experimentellem Charakter, auch Kombinationen, die, wie ich finde, fragwürdig sind:

„Unversehens saß er in einer Lichtmühle. Er saß auf einer Bank des Shakespeare Inn unter quietschendem Shakespeare-Schild in einem Schauer aus Leuchtkörnchen, die auf ihn heruntergemahlen wurden. Hunderte Säcke von Lichtmehl waren explodiert.“

Sehr spannend ist, was ich im Verlauf des Lesens spürte: Wenn Draesner Held Charles im Kanal schwimmen lässt, an seine Grenzen bringt bzw. grenzenlos werden lässt, dann ist die Geschichte am stärksten, dann fließt sie, wird selbst durchlässig wie Wasser.

Die in Rückblenden, während des Schwimmens von Charles erinnerten Beziehungsthemen hingegen, wirken auf mich sehr unruhig. Aber vielleicht ist das gerade die beabsichtigte und letztlich auch gelungene Konstruktion der Autorin.

Ganz am Rande steht für mich dann auch die Beziehungsgeschichte von Charles und Maude, die nach 30 Jahren noch einmal eine große Veränderung erfahren könnte, wenn es nach der Pianistin Maude ging. Sie wünscht sich eine Dreierbeziehung zusammen mit Charles ehemaligem besten Freund und Konkurrenten Silas.

Und ja, hier werde ich das so oft bei Besprechungen verwendete „in den Sog geraten“ tatsächlich auch einmal anwenden, denn es passt so schön zum Meer und dem Kanalschwimmer-Helden Charles, den ich anfangs noch skeptisch, zum Schluss hin doch durchweg sympathisch in seinem Menschlich-Sein, wenn nicht gar in seiner Menschwerdung, im Ärmelkanal begleiten durfte. Und ein Hoch auf die Autorin, die es schafft, die dringlichste Frage, die uns Leser durchs Buch treibt, ohne Antwort zu lassen: Schafft er es oder schafft er es nicht? Ein Leuchten!

Ulrike Draesners Roman „Kanalschwimmer“ erschien zuerst im Mare Verlag, nun als Taschenbuch bei btb. Eine Leseprobe gibt es hier. Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.
Zu weiteren Besprechungen hier auf meinem Blog von Ulrike Draesner:
„Mein Hiddensee“, „Eine Frau wird älter“ und zum Hörbuch „Happy Aging“.

Hinweis: Der Umstand, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, hat keinerlei Auswirkung auf meine Wahrnehmung und Rezension des Buches.

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