Christoph Hein: Glückskind mit Vater Suhrkamp Verlag

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Christoph Hein ist einer der großen deutschen Erzähler. Sein neuer Roman „Glückskind mit Vater“ ist wieder ein großer Wurf. Wenngleich sprachlich unspektakulär findet Hein den passenden Ton für diese Lebensgeschichte, die den Zeitraum vom Ende des 2. Weltkriegs bis in die heutige Zeit umspannt und die durchaus autobiografische Züge trägt.

Es ist die Geschichte von Konstantin Boggosch, ein ehemaliger Lehrer und Schulleiter, der pensioniert ist. Eine junge Journalistin möchte ihn für die Zeitung interviewen, doch er lehnt ab, er habe nichts interessantes zu berichten. Dennoch zwingt ihn dieses Gespräch in die Erinnerung. Und der Leser darf teilhaben.

Konstantin heißt eigentlich Müller. Doch die Mutter erwirkt die Namensänderung, um ihre Söhne vor dem Vater, Gerhard Müller, Besitzer eines großen Unternehmens zu schützen, der ein hoher SS-Offizier und Kriegsverbrecher war und als solcher in Polen hingerichtet wurde. Sie bezeichnet Konstantin als ihr Glückskind, da die Schwangerschaft sie vor der Verhaftung durch die sowjetische Besatzungsmacht geschützt hat. Doch sie verheimlicht vor ihren Kindern lange, wer der Vater wirklich war und erzählt zunächst nur, er sei im Krieg gefallen. Dennoch weiß die ganze Kleinstadt darüber Bescheid und der Junge, der seinen Vater nie gesehen hat, leidet unter den Anfeindungen der Mitschüler. Als ihm wegen des Vaters verweigert wird auf die Oberschule zu gehen, plant er Hals über Kopf seine Flucht nach Frankreich. Der erst 14-jährige will in die Fremdenlegion eintreten. Zwar gelingt es ihm sich bis nach Marseille durchzuschlagen, doch will ihn dort keiner. Per Zufall findet er Arbeit in einem Antiquariat, das von einem Mitglied der Resistance geleitet wird. Er findet Freunde, geht dort zur Abendschule, in Sprachen bestens vorbereitet von seiner Mutter. Doch er hat Angst, dass seine Herkunft bekannt wird, er, der Sohn eines Nazi-Verbrechers, gefördert von ehemaligen Mitgliedern einer Widerstandsgruppe. Er schämt sich.

So kehrt er nach zwei Jahren nach Deutschland zurück, ausgerechnet knapp nach dem Mauerbau von West- nach Ostberlin, so dass die DDR-Behörden ihn zunächst für einen Spion halten. Auch gibt es da den Vermerk in der Akte, wer der Vater war.
Und so geht es weiter. Immer ist da der Vater, der als Damoklesschwert über dem Leben von Konstantin schwebt. Zwar findet er Arbeit in einem Antiquariat in Magdeburg und kann sein Abitur an der Abendschule ablegen, doch das Studium an der Filmhochschule in Babelsberg wird im verweigert. Das Lehrerstudium darf er zwar machen, aber den erhofften Schulleiterposten gibt es erstmal nicht. Andere, die getreue Parteigenossen sind, schaffen das deutlich schneller. Es ist ein auf und ab, auch wegen des tragischen Verlusts der Frau und des neugeborenen Kinds. Boggosch bleibt kaum etwas erspart.

In einer Kleinstadt gelingt es ihm schließlich zum leitenden Direktor eines Gymnasiums aufzusteigen und er findet seine zweite Frau. Doch Kinder will er nicht mehr – kann man doch nie wissen, ob der Makel, der Schatten des Vaters sich nicht auch auf die Nachkommen legt. Auch verschweigt er seine Herkunft seiner Frau gegenüber. Kontakt hält er nur mit seiner Mutter bis zu ihrem frühen Tod. Mit dem älteren Bruder, der es im DDR-System relativ schnell zu guten Erfolgen bringt und nach der Wende sogar die enteigneten Immobilien des Vaters zurückfordert und erhält, kommt es zum Bruch, er bleibt für Konstantin immer ein Fremder.

Christoph Hein schildert sehr deutlich, wie stark einen Menschen seine Herkunft prägt. Der Junge, der seinen Vater nie gesehen hat, wird sein Leben lang von ihm beeinflusst. So sehr er auch davor zu fliehen versucht, es gibt kein Entrinnen, gerade in einem System wie der DDR. Und dieses Dilemma lässt sich durchaus sehr gut nachempfinden. Hein macht dabei sprachlich keinerlei Experimente, er bleibt seiner bekannten Erzählstimme treu.

Ich habe den Roman als ein Werk über deutsche Geschichte gelesen und empfand es als sehr aufschlussreich, aber auch erschreckend, zu lesen, wie wenig Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus es tatsächlich gab. Wie unterschiedlich diese Entwicklung im Westen und im Osten Deutschlands doch verlief und wie stark die Vergangenheit auch heute noch auf uns alle wirkt.

Christoph Heins Roman ist im Suhrkamp Verlag erschienen.
http://www.suhrkamp.de/buecher/glueckskind_mit_vater-christoph_hein_42517.html

 

 

6 Gedanken zu “Christoph Hein: Glückskind mit Vater Suhrkamp Verlag

  1. Eine sehr schöne Besprechung. Ich habe das Thema der Geschichtsaufarbeitung auch deutlich aus Heins Roman herausgelesen. Auch die fehlende Aufarbeitung der DDR-Zeit deutet er an. Und ich glaube mit Blick auf beide geschichtlichen Epochen und Diktaturen gibt es bis heute noch allerhand zu tun in Sachen Aufarbeitung und Erinnerung. Viele Grüße

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  2. Sehr interessante Rezension. Ein Grund, dass Buch im Auge zu behalten. Skeptisch bin ich aber immer, wenn von „wenig Aufarbeitung“ die Rede ist. Das gehört bestimmt zur Aufarbeitung dazu. Es ist auch nicht so, dass solche Geschichten nicht bekannt gewesen wären..
    Viele Grüße von Litterae-Artesque.

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    • Sicher ist auch das Schreiben eines Romans z. B. Teil und/oder Versuch einer Aufarbeitung. Das Bekanntsein und das Wissen allein über solche Geschichten ist aber meiner Meinung nach noch keine Aufarbeitung.

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