Nell Zink: Das Hohe Lied Rowohlt Verlag

Nach „Virginia“ ist es der zweite Roman, den ich von der in Bad Belzig nahe Berlin lebenden Amerikanerin Nell Zink lese und es bestätigt sich, dass diese Autorin eine ungewöhnlich gute Erzählerin ist. Ich frage mich, warum sie so selten im Feuilleton oder auf Blogs besprochen wird. Ihre Erzählweise ist so mitreißend, kraftvoll und witzig, dass es eine Freude ist. So schafft sie es mit Themen, in denen ich mich gar nicht auskenne oder für die ich mich normalerweise nicht so brennend interessiere, dass ich trotzdem bereits nach den ersten Zeilen nicht mehr von ihrer Story los komme.

In „Das Hohe Lied“ spannt sie einen Bogen vom New York der 80er Jahre über Washington DC bis übers Jahr 2016 hinaus, als Donald Trump die Wahl zum Präsidenten gewinnt. Wir lernen Joe, Daniel und Pam kennen. In einzelnen Kapiteln werden diese Hauptprotagonisten mit ihrer Herkunft vorgestellt, bis sie in der Geschichte schließlich in New York zusammen treffen. Alle drei wollen Musik machen. Alle drei können es aber gar nicht so toll. Trotzdem planen sie mit einem von Daniel getragenen Musiclabel Joes unverblümt spontane Musik zu veröffentlichen. Daniel und Pam werden ein Paar. Pam ist früh von zuhause, sprich Washington DC abgehauen und hat als Programmiererin einen guten Job gefunden. Daniel arbeitet für Zeitarbeitsfirmen. Als Pam sehr jung schwanger wird, ist es für beide trotzdem keine Frage das Kind zu bekommen. Sie engagieren Joe als Babysitter für Flora und produzieren nebenbei Musik. Unverhofft wird ein Song von Joe tatsächlich erfolgreich, er unterschreibt einen Plattenvertrag und geniesst künftig sein hedonistisches Leben. Die raffinierte drogenabhängige Freundin, die der unbedarfte Joe aufgabelt, lässt Pam und Daniel sich um ihn sorgen …

Dennoch läuft alles ganz gut, bis am 11.9.2001 in New York zwei Flugzeuge in das World Trade Center donnern. Ab diesem Zeitpunkt verändert sich das Leben. Daniel und Pam packen die kleine Flora ins Auto und fahren zu den Großeltern. Dort kommt es schließlich zum Entschluss, Flora dort im sicheren Wohnviertel zur Schule gehen zu lassen. Die beiden Alt-Punks kehren ins in die Jahre gekommene Loft nach New York zurück.

„Die Stadt hatte ihren Billigtouch verloren. […] Die Reichen waren noch reicher, und Armut war inzwischen nicht mehr praktikabel. In ganz Manhattan stand die Mittelschicht mittleren Alters inmitten der Trümmer ihrer privaten Altersvorsorge und wartete darauf, ihre Positionen im mittleren Management zu verlieren.“

Wir begleiten sowohl die persönliche Entwicklung und Ausbildung von Flora, als auch die der politischen Entwicklung der Vereinigten Staaten. Der Bankencrash, der erste schwarze Präsident, und dann der Wahlkampf, der auf die Wahl Trumps zusteuert, in dem sich Flora nach Ende ihres Studienabschlusses in Biochemie für die Grünen engagiert. Flora steht stellvertretend für die junge Generation, die mit den Sozialen Medien aufwächst und sich in diesen sicher bewegt.

„Sie war damit groß geworden, der potenziell sofortigen weltweiten Verbreitung eines jeden von ihr geäußerten Wortes eine Kosten-Nutzen-Analyse vorauszuschicken.“

Sie steht für die Generation, die sich aufgrund des Klimawandels um ihre Zukunft sorgt, die die Welt retten und sich politisch engagieren will, die sich aber auch mit einer gewissen Desillusionierung auseinandersetzen muss.

„Der Krieg gegen öffentliche Güter und privates Auskommen hatte einen Namen: Wirtschaftswachstum, Kapitalismus, der zum Kapital – den natürlichen Ressourcen, wie etwa Flüssen voller kostenlosem Fisch – im selben Verhältnis stand wie der Islamismus zum Islam. Es war ein Fetisch, der „Güter“ produzierte, die nicht „gut“ waren.“

Mit dem Ergebnis, dass Flora mehr als einmal hinterfragt, wohin die Reise gehen soll und erst recht wozu. Auch in ihren ersten Beziehungen zeigt sich dieses Schwanken, dieses nicht genau wissen wohin. Der Professor, der an der Uni ihre Arbeit betreut, der wesentlich ältere eloquente Politik-Berater, der junge unbedarfte Praktikant, der an Joe erinnert? Manchmal erfordern dann die Ereignisse doch Entscheidungen, so auch bei Flora.

Nell Zink hat einen überzeugenden, wie unterhaltsamen Roman geschrieben, der durchaus kritisch brandaktuelle Themen unter die Lupe nimmt. Zink brachte mir dabei zum Beispiel die Funktionsweise des Wahlkampfs in den USA, die mich bisher gar nicht interessiert hat oder aber auch, wie die Musikszene und der Musikbusiness wirklich funktioniert, nah. Sie ist eine kluge Erzählerin, die nie langweilt, ganz gleich um was es geht. Sie schreibt in einer ebenso flotten, wie gründlichen Sprache mit sehr gelungenem Humor. Die hohe Qualität hält sie geschickt bis zum perfekt konstruierten Schluss durch.

Der Roman erschien im Rowohlt Verlag. Übersetzt wurde es von Tobias Schnettler. Eine Leseprobe gibt es hier.

3 Gedanken zu “Nell Zink: Das Hohe Lied Rowohlt Verlag

  1. Hallo,

    ich habe gerade erst „Virginia“ von Nell Zink auf die Wunschliste gesetzt, als ich das Taschenbuch beim Durchforsten der Neuerscheinungen sah. Nun kommt auch „Das Hohe Lied“ dazu! Es klingt nach einem intelligent geschriebenen Buch am Puls der Zeit. Sehr schöne Rezension!

    LG,
    Mikka

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