Anneleen Van Offel: Hier ist alles sicher Oktaven Verlag


Und gleich wieder so ein großartiges Romandebüt! Nach Felicitas Geduhns „Sommer“ ist es nun das Buch der Belgierin Anneleen Van Offel, das auch in einem für Belletristik weniger bekannten Verlag erschienen ist. Auch dieses hätte ich ohne Instabook nicht wahrgenommen. Bereits der Titel „Hier ist alles sicher“ weißt auf ein Paradoxon der Geschichte hin. Denn ein jüdischer Vater in Belgien will seinen Sohn vor Repressalien im „fremden“ Land schützen und zieht mit ihm nach Israel, um dort „etwas für unser Volk zu tun“. Nur dass es dort für den Sohn alles andere als sicher ist.

Van Offel hat hier wirklich eine beeindruckende Form gefunden, eine Geschichte zu erzählen und hat mich gleichzeitig auch sprachlich beeindruckt. Sehr souverän und gekonnt ist das gearbeitet und das bei einem so brisanten heiklen Thema, wie den Konflikt Israel-Palästina. Der Riss, der sich durchs ganze Buch zieht, kann nicht nur für diese schmerzliche Geschichte stehen, sondern auch für den Zustand in dieser Region.

Komm nach Israel, Mama.“ So beginnt es. Doch Lydia hat ihren Sohn, der nicht ihr leiblicher Sohn ist, seit zehn Jahren nicht mehr gesehen. Erst nach vier Wochen kann sie sich zu dem Schritt durchringen und fliegt nach Tel Aviv. Doch sie erreicht ihren Sohn nicht mehr lebendig. Vom Totenbett aus, immer dem Riss folgend erarbeitet sich Lydia die biografischen Ereignisse im Leben ihres Sohns der letzten zehn Jahre. Sie spricht mit der Ex-Freundin von Immanuel und erfährt nach und nach, was ihrem Sohn in der Zeit bei der Armee, die Pflicht für jeden jungen Israeli ist, zugestoßen ist. Hier geht sie sehr geschickt vor, konstruiert und formt den Roman in Rückblenden. Und lässt zu guter Letzt den toten Immanuel selbst zu Wort kommen.

„Später als Wachposten begriff ich, dass mein Vater und ich eigentlich schon viel länger in Israel waren. Israel entstand durch die Texte, die wir lasen, durch die Geschichten, die er mir weitererzählte, das Land ist viel älter als der Staat. Auch deshalb hättest du nie dazugehören können, selbst wenn du es gewollt hättest, weil du bloß den Staat kennst und nicht das Land.“

Lydia, die als Kinderärztin arbeitet, hat ihren Mann Joachim im Krankenhaus in ihrer belgischen Stadt kennenglernt, als sie seinen kleinen Sohn wegen einer Erkrankung betreute. Die beiden verliebten sich und zogen recht schnell zusammen. Lydia wird Immanuels Mutter. Joachim, der aus Polen stammt, hat seine Großeltern aufgrund des Holocaust verloren und seine Frau kurz nach der Geburt des Sohnes. Er wird nach und nach immer religiöser, trägt Kippa und erzieht auch seinen Sohn in Richtung dieses Glaubens. Schon da beginnt eine Krise zwischen den Eheleuten, denn Lydia fühlt sich außen vor, weil sie keine Jüdin ist. Die Beziehung zerbricht, als der Vater mit dem Sohn für immer nach Israel auswandert. Lydias Versuche mit Immanuel in Verbindung zu bleiben, werden vom Vater unterbunden, der gleich wieder neu geheiratet hat.

„Niederländisch zu lernen, fand er von Anfang an überflüssig. Ich habe das viel zu spät bemerkt. Weil wir beide nicht in unserer Muttersprache kommunizierten, waren wir auf Augenhöhe, aber irgendwie befanden wir uns dadurch in einem Zwischenreich, in dem scharfe Nuancen stumpf geworden waren, in dem Bedeutungen und Deutungen aneinander vorbeigingen. Zu oft ersetzte ich ein Wort, auf das ich nicht kam, durch einen Kuss auf seinen Mund.“

Wie schwer sich Immanuel in Israel tut, wie er seine Ziehmutter vermisst, wie er mit den neuen Verwandten schwer klar kommt, wie er immer verhaltensauffälliger wird, wie es schließlich zu einem furchtbaren Unglück in Ausübung seines Wehrdienstes kommt, das ihn vollkommen aus der Bahn wirft, das erzählt uns Van Offel ganz brillant, in dem sie nicht alles aus erzählt. Es bleiben Lücken, vieles bleibt offen, manches verwirrend. Aber die absolute Essenz des Romans ist ganz leicht zu erfassen. Selten habe ich so klug über den Israel-Palästina-Konflikt gelesen. Selten habe ich jemanden über innere Vorgänge, Gedanken, Gefühle, Beziehungen so detailliert und so spannungsreich schreiben erlebt. Selten habe ich eine Hauptfigur so gemocht. Große Empfehlung! Ein Leuchten!

Der Roman erschien im Oktaven Verlag. Übersetzt aus dem Niederländischen hat Christiane Burkhardt.

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