Stéphanie Coste: Der Schleuser austernbank verlag


Ein ganz und gar außergewöhnlicher Roman liegt hier vor mir. Das betrifft vor allem die Thematik, die zwar in aller Munde ist. Nur eben aus einem ganz anderen Blickwinkel als wir ihn hier in Europa wahrnehmen. Es geht um Flucht. Flucht aus Kriegsgebieten in Afrika. Alle wissen von den Schicksalen unzähliger Menschen, die ihren Tod auf See auf dem Weg nach Italien, nach Lampedusa finden. Nur erzählt Stéphanie Coste, selbst geboren in Afrika, inzwischen in Lissabon und Paris lebend, in ihrem Debütroman aus Sicht der Schleußer in Libyen.

Es ist ein sehr komplexer Roman, der in aller Kürze unglaublich viel erzählt. Das liegt auch an der Dichte der Sprache, die Coste trotz der Schwere des Themas ganz wunderbar gelungen ist. Wir begegnen dem Eritreer Seyoum, der an der libyschen Küste als Schleußer lebt und der ohne jegliche Skrupel unglaublich viel Geld verdient mit seinem „Beruf“. Es ist Herbst und die letzte Überfahrt wird vorbereitet. Die erste „Lieferung“ für die Überfahrt ist bereits in einem alten Lagerhaus unter schlimmsten Bedingungen untergebracht. Man wartet noch auf einen weiteren LKW. Seyoum hat dafür seine Handlanger, während er immer mehr dem Alkohol und dem Rauschmittel Khat verfällt. Kaum dreißig ist er eigentlich trotz seines verhältnismäßigen Reichtums schon ein psychisches und physisches Wrack.

„Die Sudanesen und die Somalier, die dort seit sechs Tagen zusammengepfercht sind, haben seit gestern nichts mehr zu beißen. Wir geben ihnen nur ein bisschen Wasser, um sie am Leben zu halten. Einige zeigen in ihrer Visage die Vorzeichen der Revolte. Ich erkenne sie sofort. Ich lasse pro Tag drei oder vier von ihnen zusammenschlagen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten: Die Erschöpfung gewinnt immer, die Angst gibt ihnen den Rest. Sie sind schnell bezwungen.“

In Rückblenden wird parallel die Lebensgeschichte Seyoums erzählt, dessen Schicksal aufzeigt, weshalb so viele Menschen die Flucht wagen. Der ewige Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien, die Diktatur, der Militärstaat, Korruption und Bestechung, machen jungen Menschen jegliche Hoffnung auf eine gute Zukunft oft sofort zunichte. Seyoum selbst, Sohn eines Journalisten, war gezwungenermaßen in der Armee, war auf der Flucht durch die Wüste gekidnappt worden, schaffte es mit Müh und Not bis Libyen. Und baute sich sein „Schleußer-Imperium“ auf.

“ – Seyoum, du bist noch klein, aber du musst verstehen, dass es wichtig ist, für sein Land zu kämpfen, für die Werte der Freiheit. Und Äthiopien hindert uns seit fünfundzwanzig Jahren daran, frei zu sein. Deshalb müssen wir es bekämpfen.
Aber ich verstand nicht wirklich, worauf er hinaus wollte.“

Eine unerwartete Überraschung befindet sich im letzten LKW. Den der kommt aus Eritrea und schickt Seyoum weit in die Vergangenheit zurück. Vollkommen erschüttert, beschließt er alles hinter sich zu lassen und selbst die Überfahrt zu leiten. Wohl wissend, dass das Boot nicht annähernd seetauglich und vollkommen überladen ist.

Für mich ist dieses Buch wirklich ein Gewinn. Es klärt uns auf über die Hintergründe von Flucht und zeigt gleichzeitig die komplett korrupten Regierungen in vielen afrikanischen Ländern und ihrer Handlanger auf. Will man wirklich etwas ändern, müssten letztlich die Fluchtursachen bekämpft werden. Doch was lässt sich von Europa aus daran ändern? Wie viele Helfer wurden schon in Kriegsregionen geschickt, um aufzuklären oder zu vermitteln? Und wie viele Waffen werden dennoch immer wieder in Kriegsregionen geliefert? Warum? Weil es offenbar eben immer und überall um Macht und Geld geht. Mich macht das traurig, aber auch unsagbar wütend. Dennoch oder gerade deshalb empfehle ich dieses Buch absolut. Gut, dass Stéphanie Coste darüber geschrieben hat.

Katharina Triebner-Cabald hat das Buch aus dem Französischen übersetzt. Es erschien im mir bis dato unbekannten austernbank verlag. Eine Leseprobe gibt es hier hier. Ich danke für das Rezensionsexemplar!

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